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«Kriminelle Organisationen stammen längst nicht mehr nur aus Italien»

Schliessfächern kommt bei der organisierten Kriminalität im Tessin eine wichtige Rolle zu.
Schliessfächern kommt bei der organisierten Kriminalität im Tessin eine wichtige Rolle zu.Bild: KEYSTONE
Mafia im Tessin

«Kriminelle Organisationen stammen längst nicht mehr nur aus Italien»

An einer Podiumsdiskussion am Mittwochabend in Lugano plaudert der Tessiner Generalstaatsanwalt John Noseda aus dem Nähkästchen. Längst kämen kriminelle Organisationen nicht mehr nur aus Italien, sagt er. Das Tessin ziehe auch Grosskriminelle aus Osteuropa oder China an.
15.01.2015, 00:42
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Die Schattenwirtschaft habe sich globalisiert, sagte der Tessiner Generalstaatsanwalt Noseda bei einer Veranstaltung von «TicinoSicuro». Osteuropäische Gruppierungen versuchten den Markt der Prostitution im Südkanton zu kontrollieren - die chinesische Mafia nutze den Bankenplatz Lugano zur Geldwäscherei. 

 Das Verbrechen hätte sich mit den Kapitalströmen beschleunigt und sei deshalb immer schwerer zu kontrollieren. Und dies trotz einer in den vergangenen 30 Jahren verstärkten Regulierung bei Banken und Treuhändern, die schwarze Schafe stärker sichtbar gemacht hätten, sagte der Generalstaatsanwalt.  

Findig und florierend

Diese suchten sich jedoch «Nebenkanäle», beispielsweise hätten jüngst private Firmen Bankschliessfächer von geschlossenen Bankfilialen angemietet. Sie entzögen sich so dem geltenden Regelwerk - ihre Klienten parkten dort Schmiergelder und Einnahmen aus dem Drogenhandel zwischen, sagte Noseda.

Die Prostitution versuchen osteuropäische Gruppierungen zu kontrollieren.
Die Prostitution versuchen osteuropäische Gruppierungen zu kontrollieren.Bild: SIGIT PAMUNGKAS/REUTERS

Doch auch ausserhalb des Banken- und Finanzsektors sei die Wirtschaft von kriminellen Organisationen unterwandert - und diese seien dabei äusserst wandlungsfähig: Bedienten sie in den 1970er Jahren noch den Drogenhandel, drangen sie in der Folgezeit in das boomende Bauwesen im Tessin vor. 

«Bei aktuelleren Ermittlungen konnten wir auch mafiöse Verstrickungen im Unterhaltungs- und Freizeitbereich nachweisen», sagte Noseda. Hier endeten jedoch die Parallelen zum südlichen Nachbarn.

Verwaltung bleibt noch ausgeklammert

Das organisierte Verbrechen habe in der Schweiz keinen direkten Einfluss auf die politische Verwaltung und öffentliche Einrichtungen. «Hier bezahlt niemand Schutzgeld», sagte der Mitorganisator der Diskussionsrunde im Anschluss gegenüber der Nachrichtenagentur sda.

Der Bauboom im Tessin zog auch kriminelle Kräfte an. (Symbolbild)
Der Bauboom im Tessin zog auch kriminelle Kräfte an. (Symbolbild)Bild: KEYSTONE/TI-PRESS

Der Tessiner Strafanwalt Edy Salmina, der ebenfalls als Podiumsgast geladen war, warnte davor, die Gefahr aus dem organisierten Verbrechen für eine zu starke Regulierung zu instrumentalisieren. Ansonsten drohe dem Wirtschaftsstandort Tessin, beispielsweise bei der Unternehmensgründung, gegenüber anderen Regionen der Schweiz weiter ins Hintertreffen zu geraten. 

Nicht die Summe der Gesetze und Regeln bewirke einen wirkungsvollen «Schutz» vor der Mafia, sagte Salmina. Das zeige das Beispiel Italien, wo seit mehr als 30 Jahren Anti-Mafia-Gesetze erlassen würden - trotzdem seien vier grosse Mafia-Netzwerke weiterhin einflussreich.

Hohe Hürden für Mafia-Verfolgung in der Schweiz

Eines von ihnen ist die 'Ndrangheta, gegen die in der Schweiz auch die die Bundesanwaltschaft ermittelt. Dabei erschwerte die bestehende Rechtslage ihnen eine Strafverfolgung: Die Anforderungen für eine Verurteilung wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation seien in der Schweiz sehr hoch, sagte Bundesanwalt Michael Lauber in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag».

Bundesanwalt Laubers Interview

«Die reine Mitgliedschaft reicht für eine Verurteilung nicht aus, darin ist sich die herrschende Lehre einig», sagte er. Es brauche den Nachweis, dass jemand die Organisation in ihrer kriminellen Aktivität konkret unterstützt habe - beispielsweise indem jemand als Anwalt, Treuhänder oder Berater tätig war, sagte der Bundesanwalt. (trs/sda)

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