Es ist kalt in Sissach, eiskalt. Und dunkel. Ich nehme extra den früheren Zug. Denn die Verkündung der Metzgerei Häring, öffentlich zwei Schweine auf dem Dorfplatz zu schlachten, sorgte im Vorfeld für viel Aufruhr – vor allem bei Tierrechtlern.
Doch als der Zug langsam in den Bahnhof im beschaulichen 6733 Seelendorf einrollt, ist der Einzige, der mich begrüsst, dicker Nebel. Keine Tierschützer, kein gar nichts. Heisst für mich: Zuerst einmal Kaffee und Gipfeli, man weiss ja nie, wie lange mir der Appetit noch erhalten bleibt.
«Das Quieken, das ist das Schlimmste», erzählten mir mehrere Personen im Vorfeld. Mir macht etwas anderes Sorgen: Das Blut. Kein Wunder also, betrete ich die mit einem weissen Sperrband abgesperrte Zone mit etwas weichen Knien. Vorbei an einem Dutzend stumm demonstrierenden Tierrechtlern, die sich doch noch eingefunden haben, geht es um eine Hausecke ins grüne Zelt hinein.
07:50 Uhr: Zahlreiche Menschen haben sich bereits um den quadratischen Bereich versammelt, in dem Metzger Rolf Häring letzte Erklärungen gibt. Mit dem ersten Schlag der Kirchenglocke – es ist acht Uhr – wird eines der zwei Schweine aus dem Stroh geholt. Ruhig trottet es, das rechte Hinterbein an einen Strick gebunden, aus dem Käfig.
Im Publikum herrscht Totenstille. Es hört sich an, als würden alle kollektiv den Atem anhalten. Dann setzt der Metzger zum Bolzenschuss an. Zwei Finger breit über dem Auge der Sau drückt er ab. Das Tier ist unmittelbar hirntot und fällt zu Boden.
Vor dem, was jetzt kommt, hat Häring am Anfang gewarnt. «Die Sau wird nach dem Bolzenschuss stark zittern. Das kann verstörend sein, ist aber ein natürlicher Vorgang», erklärte er. Tatsächlich beginnt das Tier, sobald am Boden, mit den Hinterbeinen wild und krampfartig zu zucken und zu zappeln.
«Der nächste Schritt ist das Entbluten», sagt Rolf Häring, der jeden einzelnen Schritt detailgenau erklärt. Ich schlucke leer, als er sich mit dem Messer nähert. Mit einer Hand fixiert er den Kopf der Sau, mit der anderen sticht er ihr, dicht hinter dem Ohr, quer in den Hals.
Die Halsschlagader des Tiers ist durchtrennt. Das Blut schiesst schwallartig und mit hohem Druck aus der Wunde. Mir ist ziemlich mulmig zumute. Doch ich zwinge mich, trotz der immer grösser werdenden Blutlache, weiter hinzusehen. Die wenigen Kinder in der ersten Reihe haben ihre Jacken bis zu den Augen hochgezogen.
Mit Unterstützung eines Mitarbeiters, der die rote Flüssigkeit in einem Becken auffängt, pumpt Metzgermeister Häring rund vier Liter Blut aus dem Körper des mittlerweile toten Schweins. Die Zuschauer haben sich vom ersten Schock erholt.
Aufgeregtes Stimmengewirr ertönt, als Häring mithilfe von zwei Angestellten die rund 130 Kilogramm schwere Sau in einen hölzernen Trog hievt. Dort wird sie mit dampfend heissem Wasser übergossen.
Während der Metzgermeister mit viel Körpereinsatz die Borsten des Schweins mit einer dicken Stahlkette abschabt, wird das zweite Schwein aus seinem Strohbett geholt. Als ahne es sein Schicksal, stürmt es quiekend in Richtung Ausgang. Nur mit viel Kraftaufwand und einem Becken voller Apfelschnitze können es die Metzger aufhalten. Der zweite Bolzenschuss ertönt.
Unterdessen ist es taghell geworden. Immer mehr Menschen scharen sich um das Schlachtzelt und versuchen, auf Zehenspitzen einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Aus dem ersten Schwein im Trog ist jegliche Farbe gewichen. Bleich und leblos liegt es da. Zu dritt heben die Metzger das Tier auf einen Tisch. Mit einem Abflammgerät, einem übergrossen Bunsenbrenner, werden die übriggebliebenen Borstenhaare weggebrannt. Sie sind nicht für den Verzehr geeignet.
Stechender Verbrennungsgeruch und Rauch wabern durch das Zelt, als die Metzger, wiederum zu dritt, das Schwein kopfüber an einem hölzernen Gestell aufhängen. Da schaukelt es nun, dampfend von der Hitze des Feuers, mit gespreizten Hinterbeinen.
Mit einem kleinen, spitzigen Messer schneidet Häring den Bauch des Tiers auf. Er entfernt nacheinander die zusammenhängenden Organe Lunge, Herz und Leber und hängt sie an einen Haken. Dick- und Dünndarm kommen in einen weissen Kübel. Der anwesende Tierarzt inspiziert die aufgehängten Organe und überprüft sie auf sichtbare Krankheiten.
«Jetzt kommen wir zu einem heiklen Moment», ruft Häring in die Menge. «Das Spalten der Sau, dafür brauchen wir ein grösseres Messer». Und in der Tat: Das Messer des Metzgers hat frappante Ähnlichkeit mit einem Samurai-Schwert. Damit trennt er die aufgehängte Sau in der Mitte durch. Im Querschnitt sieht das Tier aus wie im Lehrbuch. Der Rippenbogen ist gut erkennbar.
Sobald der Metzger das Tier fein säuberlich in zwei Hälften geteilt hat, hievt er eine Hälfte über die rechte Schulter und legt sie auf einen Tisch. Die Schweinehälfte liegt nun direkt vor mir. Ich blicke auf Auge und Ohr, wo nur noch klaffende Löcher sind. Beide wurden am Anfang rausgeschnitten, da sie nicht verzehrbar sind.
Mit schnellen und geübten Handgriffen trennen die Metzger die Schweinehälfte in Stücke auf. «Je nachdem, ob man mehr Fleisch oder mehr Wurst will, wird das Tier unterschiedlich aufgeteilt», erklärt Häring. Und tatsächlich: Die einzelnen Partien sind gut erkennbar – die Spareribs, die Haxen, der Speck, das Kotelett.
«Für die Wurstverarbeitung werden die einzelnen Fleischstücke weiter zerkleinert und gewürzt», erklärt Metzgermeister Häring. Die feinen Stücke dreht er anschliessend durch den Fleischwolf. Heraus kommt «Gehacktes». Diese Masse mengt er tüchtig weiter, würzt sie noch einmal nach und füllt sie dann in die zuvor gesäuberten Därme.
Ich habe genug gesehen. Und mir geht es, trotz anfänglich mulmigen Gefühls, erstaunlich gut. Ich habe mich gefürchtet vor der «Show»-Metzgete, wie sie in vielen Medien, auch bei watson, angekündigt wurde. Doch die Schlachtung der zwei Sissacher-Schweine war alles andere als eine «Show». Es war eine lehrreiche Demonstration aller Vorgänge, die in einem Schlachthof im 10-Sekundentakt maschinell ausgeführt werden.
Metzger Häring und seine beiden Mitarbeiter behandelten die Tiere stets mit sehr viel Würde und informierten das Publikum mit ihrem Fachwissen.
Eine Leberwurst ass ich trotzdem nicht. Dazu waren mir die vier Liter Blut noch zu präsent und der Appetit zu lau. Aber Schweinefleisch werde ich auch in Zukunft essen. Mit einem noch viel stärkeren Bewusstsein, um was es sich da eigentlich handelt: Ein Lebewesen, dem sehr viel Respekt gebührt und ein Handwerk, mit dem sich jeder einzelne Fleischkonsument einmal auseinandersetzen sollte.