Wenn der Richter die Beschuldigten lobt statt tadelt, dann handelt es sich um einen aussergewöhnlichen Fall. So passiert am deutschen Oberlandesgericht Naumburg. Wie bereits die zwei Vorinstanzen sprach der zuständige Richter die drei Tierschützer frei und liess es sich nicht nehmen, ihre Tat zu loben: Sie hätten dafür gesorgt, dass «endlich etwas geschah».
Angeklagt waren drei Tierschützer von Animal Right Watch, weil sie 2013 in eine Schweinemastanlage mit 60'000 Tieren eingedrungen waren. Dort filmten sie Missstände in der Tierhaltung. Nachdem das ARD-Magazin «Brisant» die Aufnahmen veröffentlichte, gingen die Behörden gegen den Tierhalter vor. Dieser wiederum verklagte die Aktivisten.
Der Hausfriedensbruch sei nicht rechtswidrig gewesen, hielt der Richter jedoch in seinem Urteil fest und fällte damit einen überraschenden Entscheid. Mit dem gefährdeten Tierwohl habe ein rechtfertigenden Notstand bestanden. Weiter rügte der Richter die Behörden, die zuvor nicht reagiert hätten, obwohl es genügend Hinweise gab. «Es ist bewusst vertuscht worden, was geschehen ist.»
«Es ist ein offenes Geheimnis, dass dass Behörden teils Missstände tolerieren und bewusst wegschauen. Auch bei uns in der Schweiz», sagt Tobias Sennhauser, Präsident von «Tier im Fokus» und verweist auf den Fall Hefenhofen. Dieser wurde im vergangenen Jahr publik: Auf dem Hof des Pferde-Quälers Ulrich K. verendeten mehrere Tiere, ohne dass die Behörden einschritten. Erst die Fotos einer Mitarbeiterin von K. brachte der Fall ins Rollen.
«Tier im Fokus» bekommt immer wieder Bilder von Aktivisten zugespielt, die möglicherweise unerlaubt in Ställe eingestiegen sind. Ein Teil des Materials wird jeweils auf der Website der Tierrechtsorganisation veröffentlicht. «Solche Bilder braucht es, um die ungeschminkte Realität zu zeigen», argumentiert Sennhauser, der sich über das Urteil aus Deutschland freut.
Es ist aber fraglich, ob auch ein Schweizer Gericht zugunsten der Aktivisten entscheiden würde, wie ein früherer Fall zeigt, der aber bereits 17 Jahre zurück liegt. Eine damals 55-Jährige deckte die Horrorzustände auf einem Thurgauer Hof auf. Ihr Anwalt versuchte anschliessend, den Einbruch ebenfalls mit einer Notstandssituation zu rechtfertigen. Doch das Gericht bestrafte nicht nur den Viehändler, sondern auch die Tierschützerin. Diese liess die Busse von 200 Franken aber unbeeindruckt. Sie betonte, zukünftig nicht anders handeln zu wollen: «Ich werde bestimmt nicht tatenlos weiterlaufen, wenn ich sehe, dass jemand Tiere misshandelt.»
Im Schweizerischen Strafgesetzbuch sei der Rechtfertigungsgrund «Notstand» sehr eng formuliert, erklärt Juristin Vanessa Gerritsen. Sie ist die stellvertretende Geschäftsleiterin der Stiftung für das Tier im Recht. «Nach der aktuellen Lehrmeinung ist das Tierwohl darin nicht enthalten.» Sie sieht aber eine andere Möglichkeit, wie Tierschützer vor einem Schweizer Gericht Recht bekommen könnten und verweist auf den Strafrechtsprofessor Franz Riklin. Gemäss dessen Auffassung könnte der Hausfriedensbruch mit der Wahrnehmung berechtigter Interessen begründet werden.
Fritz Rothen ist der Geschäftsführer von IP Suisse, einer Vereinigung von Bäuerinnen und Bauern. Er findet es falsch, wenn Tierschützer nach einem Einbruch ungeschoren davon kommen. «Ein Stalleinbruch mitten in der Nacht ist für die Tiere der pure Stress. Vor allem dann, wenn für die Fotos noch Blitzlicht eingesetzt wird. Nicht selten sterben dabei Tiere an einem Herzinfarkt oder werden in der Massenpanik erdrückt», sagt Rothen. Die dadurch gestorbenen Tiere würden dann von den Tierschützer fotografiert und als Beweis für die Missstände veröffentlicht.
Rothen versucht, Tierschützer auf einen einfacheren, unspektakulären Weg hinzuweisen, wie sie bei vermuteten Missständen vorgehen können. «Einfach uns anrufen. Dann geben wir innert 24 Stunden eine unangekündigte Kontrolle in Auftrag.» So klappe die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Tierschutz STS sehr gut, berichtet der Geschäftsführer der IP Suisse, bei der 10'000 Höfe angeschlossen sind. Jene die Tiere halten, werden einmal pro Jahr kontrolliert. Auch ohne Verdacht.
Der Schweizer Tierschutz STS betont auf Anfrage, in der Regel sei es nicht notwendig einzubrechen, um an belastendes Material zu kommen. Dieser Ansicht ist übrigens auch der deutsche Richter, der die Tierschützer freisprach. Er betonte, das Urteil sei «kein Freibrief für tatsächliche oder selbst ernannte Tierschützer».