Anne-Shelton Aaron ist nervös. Es ist Super Tuesday und in Amerika gehen die Vorwahlen in die entscheidende Phase. Wie viele ihrer Landsleute finden an diesem Abend ins Hotel Warwick beim Genfer Bahnhof? Anne präsidiert den Schweizer Ableger der weltweit aktiven «Democrats abroad», der Ausland-Demokraten also. Sie hat den Salon Mont Blanc gemietet und ihn mit 40 Freiwilligen nach der eigenwilligen, amerikanischen Art dekoriert: Rote, blaue und weisse Ballone zieren den Raum mit den golden schimmernden Tapeten. Viel Stoff, viel Plüsch, dicke Luft.
Schachtelweise Merchandise-Artikel, T-Shirts und Anstecker, liegen auf. Julia Gray preist sie den Wählern an. Die Wahlgenferin engagiert sich freiwillig im Wahlkampf für die Demokraten. «Ich fühle mich sehr wohl in der Schweiz», sagt sie. «Trotzdem fühle ich mich verpflichtet, bei der Präsidentenwahl zu helfen. Es ist meine patriotische Pflicht.»
In der anderen Ecke des Raums und im Schutz aufgestellter Sichtwände die Urne: Zwischen dem Werbematerial und ihr müssen mindestens zehn Meter liegen.
In Genf ist alles bereit für das erste von zwei Vorwahl-Happenings der Demokraten in der Schweiz. Am Samstag steigen die «Primaries», wie solche Vorwahlen heissen, in Zürich. In Genf trudeln die ersten Wähler ein. Sie duzen sich. Sie kennen sich. An diesem Feierabend können registrierte Mitglieder oder Sympathisanten ihre Stimmen abgeben. Es geht um die parteiinterne Ausmarchung und darum, wen die demokratische Partei im Herbst ins Rennen um das Weisse Haus schickt. Vor einer Handvoll Zuhörer sezieren zwei New Yorker den sich immer mehr zum Spitzenkandidaten der Republikaner mausernden Donald Trump, der wie sie aus New York stammt.
Wir reihen uns mit Chris, einem Kalifornier, ein. Am Desk angelangt, erhält er gegen den vorgehaltenen Ausweis einen Wahlzettel. Chris muss Wohnadresse und Telefonnummer angeben. Auch die letzte Wohnadresse in den USA darf nicht fehlen. Sie ist wichtig, weil Ausland-Amerikaner nur mit einer registrierten Heimat-Adresse wahlberechtigt sind. Für im Ausland geborene Amerikaner, die nie in den USA gelebt haben, gelten je nach Bundesstaat andere Regeln.
Für Ausland-Republikaner, die «Republicans overseas», ist der Heimatstaat noch wichtiger. Anhänger müssen sich rechtzeitig bei ihrer Partei registrieren und können nur an der Vorwahl ihres Heimatstaats teilnehmen. Anders die Demokraten: In Genf können auch Bürger aus Staaten wählen, in welchen die Vorwahlen bereits vorbei sind. Die Ausland-Demokraten organisieren so ihre eigene weltweite Vorwahl und schicken die Stimmen eigens in die Parteizentrale. «Wir sind der 51.US-Bundesstaat», sagt Anne bildhaft.
In der Zwischenzeit hat Chris seinen Zettel in die Urne eingeworfen. Für Hillary Clinton. Sein Partner Joseph und die adoptierten Kinder sind bei ihm. Auch Joseph stimmt für Hillary. Ist amerikanische Politik für die Familie überhaupt relevant? Chris überlegt und sagt: «Europäische und schweizerische Politik betrifft uns wahrscheinlich viel mehr als die Frage, wer der nächste US-Präsident wird.» Und Joseph ergänzt: «Vor allem die Homo-Gesetzgebung machte uns zu schaffen.» Für die Adoption ihrer Töchter musste das schwule Paar extra nach Frankreich.
Mit seinen homophoben, ausländerfeindlichen und frauenverachtenden Äusserungen ist Donald Trump, der an diesem Abend in der Heimat noch richtig durchstarten wird, eine Reizfigur. Anne seufzt und lässt sich erschöpft auf einen der Stühle mit der durchgesessenen Polsterung fallen. Die letzte Ära Bush hat sie geprägt. «Nie wieder Bush», dachte sich die zweifache Mutter. Doch es kam anders: Seit Trump ernsthafte Präsidentschaftsaussichten hat, wünscht sich die frühere Bush-Gegnerin einen wie George W. geradezu zurück.
Am Schluss wird es Hillary Clinton sein, die Trump stoppen kann. Dessen ist man sich in Genf bewusst. Doch der Abend birgt eine Überraschung: Nur 104 der Schweiz-Amerikaner wählen Clinton. 112 stimmen für Sanders.