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«Ich bin in einem Masse beschimpft und bedroht worden, wie ich es noch nie erlebt habe»

Thomas Hurter im Exklusiv-Interview

«Ich bin in einem Masse beschimpft und bedroht worden, wie ich es noch nie erlebt habe»

Thomas Hurter, als Militärpilot und Nationalrat die zentrale Figur im Gripen-Geschäft, spricht über die Gründe für die Niederlage an der Urne, Drohungen an seine Familie und darüber, was er nicht mal seiner Frau sagen kann.
19.05.2014, 07:2417.11.2015, 11:52
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Thomas Hurter, SVP Schaffhausen, Linien- und Militärpilot war erst ein Jahr zuvor in den Nationalrat gewählt worden. Und dann zum Präsidenten des Parlamentariergrüppchens, das die Evaluation der Kampfflugzeuge überwachen sollte. Als er 2008 in Emmen auf den Militärflugplatz zur Präsentation des Gripen wollte, liessen ihn die Militärpolizisten nicht hinein. Er stand nicht auf der Gästeliste und sie erkannten ihn nicht. Er musste sagen: «Ich bin Thomas Hurter, Nationalrat und Präsident der parlamentarischen Subkommission Tiger-Teilersatz.» Erst dann wurde er durchgelassen. 

Thomas Hurter
Der 51-jährige ehemalige Berufsmilitär- und heutige Linienpilot sitzt seit 2007 für den Kanton Schaffhausen im Nationalrat. Hurter ist derzeit Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates (SIK-N) und war Präsident der Subkommission Evaluation Tiger-Teilersatz. 
In seiner Funktion als Präsident der Subkommission hat Hurter die Evaluation der drei Flugzeugtypen Rafale, Eurofighter und Gripen eng begleitet und den Bundesrat in der Typenwahl beraten. Nachdem der Bundesrat sich trotz Kritik am Evaluationsverfahren und des Modells Gripen seitens der Subkommission für den Gripen entschieden hatte, vertrat Hurter den Entscheid im Parlament. Jedoch verlangte er von Saab und der Schwedischen Regierung zusätzliche Sicherheiten. Anfang April geriet er in die Kritik, weil er öffentlich ausführte, dass auch dann Kampfflugzeuge beschafft werden müssten, wenn die Gripen-Finanzierung an der Urne abgelehnt würde.

Nun, sechs Jahre später, amüsiert ihn die Episode. «Das würde mir heute vermutlich nicht mehr passieren», sagt Hurter. Als Chef der «Pilotenfraktion» im Parlament, Präsident der Subkommission und zuletzt Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats, war er seit 2007 Dreh- und Angelpunkt in der verhinderten Beschaffung der neuen Kampfjets. Er wollte den Gripen nicht, aber er wollte ein Kampfflugzeug für seine Luftwaffe. Also kämpfte er halt für den Gripen. Sechs Jahre lang. Er drängte auf mehr Sicherheiten, verzögerte das Geschäft, geriet in die Kritik und weibelte doch bis zuletzt mit unermüdlichem Einsatz für den Gripen. 

Am Tag der finalen Entscheidung hielt er sich der Öffentlichkeit fern. Wie wir seit gestern wissen, war das vielleicht die richtige Entscheidung. 

watson: Herr Hurter, heute war Abstimmung und Sie waren nirgends zu sehen, empfangen uns stattdessen in Ihrem Garten. Warum?
Thomas Hurter: Einerseits habe ich schon lange zugesagt, eine Einladung als Ehrengast am Slow-Up in Schaffhausen teilzunehmen und Velo zu fahren. Andererseits haben die Medien Anfang April im Zusammenhang mit diesem unsäglichen sogenannten «Plan B» soviel Dreck über mich ausgeleert und nicht korrekt wiedergegeben, was ich sagte, dass ich keine Lust hatte, jetzt auch noch den Erwartungen der Medienvertreter zu entsprechen, wann ich wo zu sein habe. Und: An so einem Tag, an dem alle über schnelle Jets reden, ist es doch ein schöner Kontrast, Velo zu fahren.

«Während dieser Zeit kommen vielleicht zwei neue VBS-Bundesräte ans Ruder, es werden drei neue Parlamente gewählt.»

Wenn Sie den ganzen Prozess der Kampfjetevaluation vom Entscheid, den Tiger F-5 zu ersetzen, bis zum jetzigen Volksentscheid in einem Wort beschreiben müssten, welches würden Sie wählen? 
Odysee! Eine veritable Odysee war das. Das ganze hat zwar nicht 20 Jahre gedauert, aber immer noch viel zu lange. Ursprünglich redete man von fünf bis sieben Jahren, die das ganze Geschäft in Anspruch nehmen würde. Nun sind es zehn geworden. Wenn wir ein neues Evaluationsverfahren machen irgendwann in der Zukunft, dann dauert es vielleicht gar 12 Jahre. Während dieser Zeit kommen vielleicht zwei neue VBS-Bundesräte ans Ruder, es werden drei neue Parlamente gewählt. 

Ja, das lässt sich nicht vermeiden.
Und die müssen alle immer wieder neu eingearbeitet und überzeugt werden. Aus meiner Sicht ist das der Tod eines jeden Beschaffungsgeschäftes. Das muss in Zukunft in kürzerer Zeit ablaufen. 

Trotzdem Ihres Einsatzes hat das Stimmvolk den Gripen 53,4 Prozent abgelehnt, das heisst bei weitem nicht nur linke Kreise. Woran lag es Ihrer Meinung nach?
Es ist uns zu wenig gelungen, der Bevölkerung klar zu machen, dass wir jetzt die Erneuerung der Luftwaffe an die Hand nehmen müssen und das dies das richtige Flugzeug dafür sei. Sicher aber auch an der langen Dauer des Geschäftes. Die Leute haben doch irgendwann gedacht, dass da etwas nicht stimmen kann, wenn man so lange um Prozente und Konventionalstrafen feilscht. Auch deswegen müssen wir diese Beschaffungsprozesse verkürzen, schneller entscheiden. Evaluieren, eine Offerte einholen und dann von mir aus darüber abstimmen. Aber rascher. Viel rascher. Sonst laufen wir Gefahr, dass mit uns überhaupt niemand mehr Geschäfte machen will. Besonders nach diesem Abstimmungsausgang.

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Sie meinen, dass nach langen Auseinandersetzungen in den Räten auch noch das Stimmvolk ein Geschäft beerdigen kann, schreckt Handelspartner ab? 
Das auch. Dass man die Finanzierung in eine Fondslösung gepackt hat, die referendumsfähig war, war ein Fehler. Es geht nicht darum, eine Beschaffung am Volk vorbei zu schmuggeln. Aber Beschaffungsgeschäfte sollten über die Rüstungsprogramme abgewickelt werden. Selbst der GSoA-Vordenker Andi Gross sagte 2007, dass Finanzreferenden die Planung und den Betrieb des VBS verunmöglichen. Eben weil die Prozesse so verlängert werden. Die Volksinitiative als Mitsprache steht der Bevölkerung aber weiterhin zu.

«Dass man die Finanzierung in eine Fondslösung gepackt hat, die referendumsfähig war, war ein Fehler.»

Es war nicht nur die Volksabstimmung. Auch Bürgerliche, FDP-Präsident Philipp Müller und nicht zuletzt Sie und ihre Subkommission, die die Jet-Evaluation überwachte, haben sich dem Gripen in den Weg gestellt und immer neue Zusagen und Sicherheiten von den Schweden und Saab verlangt. 
Ja, aber Sie müssen auch sehen: Dass wir den Gripen kaufen sollen, hat der Bundesrat entschieden. Da hatten weder Herr Müller noch das Parlament etwas zu melden. Und der Bundesrat hat sich für das Geschäft mit den grössten Risiken entschieden. Wir standen als Parlamentarier in der Pflicht, den Steuerzahler abzusichern. Wir mussten sicherstellen, dass wir zum vereinbarten Zeitpunkt kriegen, was wir bestellt haben. Und dass wir es auch zu dem Preis kriegen, der ausgemacht worden ist. Dann muss man halt um Anzahlungen, Sicherheiten und Konventionalstrafen feilschen und das beste herausholen, sonst ist an einen Sieg in einer Volksabstimmung ja überhaupt gar nicht zu denken.

Die Pro-Kampagne war auch nicht fehlerfrei. Ärgert Sie diese Aneinanderreihung von Fettnäpfen nicht, nachdem Sie sich so lange und aufreibend für ein Gelingen der Operation eingesetzt haben? 
Ich weiss nicht, ob das so entscheidend war am Ende. Vielleicht die Botschafter-Leaks am ehesten. Wenn man drei Wochen vor der Abstimmung vom Vertreter eines fremden Staates als Versammlung von Hampelmännern dargestellt wird, dann ist das sicher nicht förderlich.

«Ein Botschafter muss doch wissen, dass er nicht der Einzige ist, der auf seine Berichte Zugriff hat und dass diese an die Öffentlichkeit gelangen können.»

Hat Sie das persönlich getroffen, dass der schwedische Botschafter Per Thöresson meldete, er hätte Sie «umgedreht»? 
Ja. Ich war enttäuscht von den Schweden und stelle gleichzeitig eine massive Überschätzung bei Thöresson bezüglich seiner Fähigkeiten fest, Parlamentarier «auf den Weg zu bringen». Übler war aber, dass man herauslesen konnte, wie eng die Schweden mit dem zuständigen Bundesrat, Ueli Maurer, zusammengearbeitet haben und ihn dann sogar noch als grösstes Risiko bezeichneten. 

Stimmt doch... 
Quatsch! Es war sehr viel Eigenlob in diesen Berichten und ich glaube, das hat extrem geschadet. Es ist einfach unprofessionell. Ein Botschafter muss doch wissen, dass er nicht der einzige ist, der auf seine Berichte Zugriff hat und dass diese an die Öffentlichkeit gelangen können. Wenn man schon solche Dinge aufschreibt und rumschickt, dann muss das, was man schreibt, wenigstens stimmen. Und das war ja nicht der Fall. Das hat mir persönlich natürlich schon zugesetzt, denn das kommt nicht gut an, wenn ein fremder Staat in der Form mitmischt.

Der schwedische Botschafter wird doch wohl noch mit dem zuständigen Bundesrat sprechen dürfen. Das ist sein Job. 
Ja, aber wenn er schreibt, er habe über den stellvertretenden VBS-Generalsekretär Einblick in Dokumente gehabt, bevor diese in den Bundesrat gekommen seien, dann ist es entlarvend. Zumindest, wenn es stimmt. Das VBS sollte das klären.

Wo vermuten Sie das Leck? 
Es kam ja über das schwedische Radio. Gut möglich, dass im Thöressons Art nicht nur mich stört, sondern auch Leute im diplomatischen Korps Schwedens... Aber ich weiss es nicht. Es interessiert mich auch nicht so sehr.

Um nochmal auf «Ihren» Plan B. zurück zu kommen…
...es gibt keinen Plan B! Ich habe damals nur erwähnt, dass auch die F/A-18 einmal ersetzt werden müssen und zwar über das normale Rüstungsprogramm. Wie übrigens sämtliche Rüstungsbeschaffungen bisher getätigt wurden. Ich hoffe natürlich auch sehr, dass es eine neue Evaluation gibt. Die Armee und die Luftwaffe sind immer noch unbestritten, und ich unterstütze die Luftwaffe darin, einsatztauglich zu sein.

«Ich bin in einem Masse beschimpft und bedroht worden, wie ich es noch nie erlebt habe.»

Werden Sie sich dann nochmals so reinhängen, wollen Sie es sich nochmals antun? 
Gute Frage. Ich weiss es nicht. Ich verdanke der Luftwaffe viel und ich gebe ihr gerne auch etwas zurück. Aber es hat in den vergangenen sechs Jahren verschiedene sehr schwierige Situationen gegeben. Ich habe den Entscheid des Bundesrates für den Gripen vertreten und mir damit nicht nur Freunde gemacht. Man hat mich hart kritisiert, gesagt, wir verzögerten die Geschäfte mit unseren Kritikpunkten, obwohl wir nur das Beste herausholen wollten. Ich müsste wohl länger in mich gehen, bevor ich sagen würde: Jawohl, das mache ich nochmals.

Das tönt nach einem «Nein». 
Was mir wirklich zugesetzt hat, war, wie sehr die Leute einen falsch verstehen wollen. Nicht nur die Medien oder Parteikollegen. Ich bin in einem Masse beschimpft und bedroht worden, wie ich es noch nie erlebt habe. Auch von wildfremden Leuten per Mail, auch bezüglich meiner Familie. Da kann man schon sagen, das gehöre halt zur Politik dazu, aber ich habe mich sicher mehr als einmal gefragt: ‹Warum tust du dir das eigentlich noch an?›

«Vergessen Sie es. Das hab ich niemandem gesagt. Nicht mal meiner Frau.»

Insbesondere, weil Sie den Gripen gar nie wollten? 
Der Gripen wurde in den Evaluationsberichten an letzter Stelle genannt und er hatte punkto operationeller Wirksamkeit nicht die Bestnoten erhalten. Ich hätte ein anderes Flugzeug gewählt, aber ich muss und kann als Politiker mit der Auswahl des Bundesrates leben.

Welches Flugzeug hätten Sie genommen?
Das sage ich nicht. Sonst würden mich alle an meinen Interessen als Militärpilot und nicht an mehr meiner politischen Arbeit messen.

Aber jetzt können Sie es doch sagen. 
Vergessen Sie es. Das hab ich niemandem gesagt. Nicht mal meiner Frau.

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