Martin Landolt war
müde und gereizt. Den SP-Angriff auf seinen Glarner Nationalratssitz
hatte er abgewehrt, seine Partei war mit einem blauen Auge davongekommen, dennoch wirkte der BDP-Präsident in der
SRF-«Elefantenrunde» alles andere als zufrieden. Auf die Frage,
ob er den Sitz «seiner» Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf
verteidigen werde, verweigerte Landolt eine konkrete Antwort:
«Darüber muss die Bundesversammlung am 9. Dezember entscheiden.»
Landolts lustloser
und defensiver Auftritt sorgte am Wahlabend für Gesprächsstoff. Warum warf er sich nicht für Widmer-Schlumpf in die
Bresche, obwohl ihm SP-Präsident Christian Levrat und indirekt auch
CVP-Chef Christophe Darbellay ihre Unterstützung signalisierten? Nur
wenige kamen auf die offensichtliche Antwort: Martin Landolt wusste
bereits, dass EWS nicht mehr kandidieren will. Er hatte keine Lust,
sich nur um der Show willen für sie einzusetzen.
Einiges spricht
dafür, dass die BDP-Bundesrätin nicht zur Gesamterneuerungswahl
antreten wird. Gegen aussen hält sie sich bedeckt, und im Finanzdepartement gibt es keine Anzeichen für einen Rücktritt, wie ein
Insider erklärt. Die «Schweiz am Sonntag» allerdings berichtete
unter Berufung auf einen «Vertrauten», Widmer-Schlumpf habe ihren
Entscheid «bereits gefällt». Also bevor klar war, wie sich das
Parlament in den nächsten vier Jahren zusammensetzen wird.
Dies könnte auf
einen Abgang hindeuten. Auch andere Gründe sprechen dafür:
Ihre Wiederwahl vor
vier Jahren konnte EWS mit dem Erfolg der «neuen Mitte» und der
Niederlage der SVP legitimieren. Nun hat die SVP mit fast 30
Prozent Wähleranteil und elf Sitzgewinnen einen Triumph eingefahren.
Die BDP kam mit zwei Sitzverlusten wie erwähnt glimpflich davon, in
Graubünden aber musste sie eine schwere Niederlage einstecken. Die
BDP ist in Widmer-Schlumpfs Heimat noch halb so gross wie die
SVP, aus der sie 2008 hervorgegangen war.
Die Resultate der
anderen Mitte-Parteien sprechen ebenfalls nicht für ihren Verbleib
in der Landesregierung. Vor allem die Grünliberalen wurden
regelrecht gerupft. Ihre Bundeshausfraktion wurde beinahe halbiert, von zwölf auf sieben Sitze. Die Finanzministerin könnte zum Schluss kommen,
dass die Zeit für einen zweiten SVP-Sitz reif ist.
Die Ausgangslage ist
ähnlich wie bei der Blocher-Abwahl 2007: SVP und FDP haben in der
Bundesversammlung keine Mehrheit. Rein rechnerisch könnte es für
Eveline Widmer-Schlumpf reichen. Doch in dieser Rechnung gibt es
viele Unbekannte. Erhält sie genügend Unterstützung aus der CVP?
Ihr wichtigster Fürsprecher Christophe Darbellay kehrt nicht nach
Bern zurück.
Führende Köpfe wie
Fraktionschef Filippo Lombardi und der Zuger Nationalrat und mögliche
neue Parteipräsident Gerhard Pfister haben ihr die Unterstützung
entzogen und sich für einen zweiten SVP-Sitz ausgesprochen. Falls
ein beträchtlicher Teil der CVP-Fraktion dieser Vorgabe folgt,
könnten ihr vermutlich auch einige «Überläufer» aus der FDP
nicht mehr helfen. Ein knappes Resultat ist auf jeden Fall
programmiert.
Der vor drei Jahren
verstorbene Leon Schlumpf wurde 1979 für die SVP in den Bundesrat
gewählt und trat acht Jahre später zurück. Für seine Tochter
könnte dies ein Anreiz sein, es ihm gleichzutun und ebenfalls nach
acht Jahren ihr Amt zur Verfügung zu stellen. Wie ihr Vater hätte
sie zwei Legislaturperioden regiert.
Natürlich gibt es
auch Argumente für eine erneute Kandidatur von Widmer-Schlumpf. Ihr
wird allgemein – ausser von Seiten der SVP – ein sehr guter Job
attestiert. Umfragen zeigen, dass eine relative Mehrheit der
Bevölkerung die heutige Konstellation im Bundesrat bevorzugt. Die
Bündnerin hat auch bewiesen, dass sie zäh und hart im Nehmen ist.
Ausserdem könnte sie ein «Zückerchen» anbieten und einen
vorzeitigen Rücktritt im Verlauf der Legislaturperiode in Aussicht
stellen.
Trotzdem bleibt es
fraglich, ob sie eine demütigende Abwahl riskieren will. Tritt sie
zurück, kann sie erhobenen Hauptes abtreten. Ihren Entscheid will
sie bis Ende Oktober bekannt geben. Vielleicht geschieht dies bereits
am kommenden Mittwoch, nach der Bundesratssitzung.