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SVP im Wahlkampf unter dem Eindruck des toten kleinen Aylan

Polit-Campaigner Louis Perron konstatiert einen sanften Kurswechsel der SVP in Sachen Asylpolitik.
Polit-Campaigner Louis Perron konstatiert einen sanften Kurswechsel der SVP in Sachen Asylpolitik.
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Polit-Campaigner Louis Perron im Interview: «Grossen Schaden nimmt der Wahlkampf der SVP wegen des Flüchtlingsdramas nicht»

Das tägliche Flüchtlingsdrama an den Grenzen Europas ist das unvorhergesehene Topthema im Schweizer Wahlkampf. Der Politkampagnen-Profi Louis Perron über den Wahlkampf inmitten von Bildern toter Kinder und verzweifelter Mütter, welche Parteien politischen Profit aus der Situation schlagen können – und welche nicht.
09.09.2015, 10:5010.09.2015, 10:41
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Herr Perron, können Sie das Bild des kleinen toten Aylan ertragen?
Louis Perron: Schlecht.

Vielen Leuten geht es gleich. Die Stimmung bezüglich Asylsuchender und Flüchtlinge hat gekehrt von diffuser Angst in Betroffenheit und teilweise auch Hilfsbereitschaft. Was ändert dies für den Wahlkampf von SVP und FDP? 
Der öffentliche und mediale Diskurs hat geändert – und dies in erstaunlich kurzer Zeit. Die Auswirkungen auf den Wahlkampf sind allerdings unklar. Vielleicht sind sie kleiner, als Sie meinen. Das Bild des kleinen toten Aylan sowie die Nachricht, dass Flüchtlinge in einem Kühllaster erstickt sind, führen dazu, dass sich die gemässigteren Stimmen in der öffentlichen Arena lautstärker zu Wort melden.

«Das harte Einfahren mit markigen Sprüchen, (...) ist so nicht mehr machbar.»

Und auch auf den politischen Diskurs stärkeren Einfluss nehmen?
Ja. Das muss aber nicht heissen, dass Zuwanderungsskeptiker, das klassische Potential der SVP, ihre Meinung geändert haben. Ganz grundsätzlich ändern wenig Leute während eines Wahlkampfes die Meinung. Die Effekte entstehen durch Mobilisierung und Demobilisierung der eigenen Leute.

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Auch wenn das so ist, ergibt sich für den Wahlkampf eine völlig neue Ausgangslage. Insbesondere für die SVP, die ungeachtet der jüngsten Ereignisse auf die Asylpauke haut. Schadet oder nützt ihr die Situation?
Sicher ist das Timing für die SVP sehr ungünstig. Das harte Einfahren mit markigen Sprüchen, was wohl für die heutige Sondersession zum Thema Asyl geplant war, ist so nicht mehr machbar. Aber der Schaden wird sich in Grenzen halten.​

«Es hat Nuancen in der SVP-Kommunikation drin, die es vorher nicht gegeben hat.»

Weshalb? Die öffentliche Meinung dreht komplett und die SVP bleibt unbesehen auf Kurs.
Nicht ganz. Am Montag machte der Blick eine Titelgeschichte zum Umschwung in der Asyldebatte. Ich fand dabei bemerkenswert, dass die SVP-Tenöre offenbar nicht erreichbar waren oder nichts gesagt haben. Das heisst für mich nichts anderes, als dass man verunsichert war und die Kommunikationsstrategie überdenken wollte.

Was sie nicht getan haben. Brand und Föhn sprechen weiterhin von Asylmoratorium und Armee an der Grenze.
Ja, aber es hat Nuancen in der SVP-Kommunikation drin, die es vorher nicht gegeben hat. Brand sagt, dass ein weiterer starker Zustrom kaum verkraftbar wäre und dass man sich auf Zustände wie in Österreich vorbereiten müsse. Das ist ein kleiner, aber gewichtiger Unterschied zur vorherigen Kommunikation, welche sagte, dass es in der Schweiz bereits ein «Asylchaos» gibt.

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«Die offizielle SP kann eigentlich nur verlieren, wenn sie über Asyl spricht. Deshalb tut sie es auch nicht im grossen Stil.»

Also nochmal: Nützt oder schadet das der SVP?
Wir haben im Moment weder qualitative noch quantitative Daten dazu. Der lehrbuchmässige Ablauf des SVP-Wahlkampfes ist sicher gestört. Meine Einschätzung ist, dass es die Kampagne der SVP wohl etwas weniger effektiv macht. Aber die Partei ist nach wie vor präsent und deckt beim dominierenden Thema ein klares «Marktsegment» ab. Allenfalls kann die SVP aus dem Asylthema jetzt nicht so viel Profit schlagen, wie sie es könnte, wenn es das Bild von Aylan oder die Toten im Kühllaster nicht gegeben hätte. Aber grossen Schaden nimmt der Wahlkampf der SVP wegen des Flüchtlingsdramas nicht.

Wieso versucht die Linke nicht mehr aus dem Flüchtlingsdrama zu machen? Das wäre doch eine Chance.
Für die SP nicht. Für die SP ist die Asylthematik ein Minenfeld. Jede Umfrage vergangener Asylabstimmungen zeigt, dass ihre Basis der SP in der Asylpolitik nicht geschlossen folgt. Einige SP-Wähler sind bei diesem Thema ganz einfach weniger links als die Parteileitung. Die offizielle SP kann eigentlich nur verlieren, wenn sie über Asyl spricht. Deshalb tut sie es auch nicht im grossen Stil. Für die SP ist diese zugespitzte Flüchtlingssituation im Wahlkampf fast noch unangenehmer als für die SVP, welche wenigstens noch in Erscheinung treten kann.

Louis Perron
Der promovierte 38-jährige Politologe dirigiert mit Perron Campaigns Wahl- und Abstimmungskämpfe in der Schweiz und im Ausland. Vor seiner Selbständigkeit arbeitete Perron bei der Politberatungsfirma The Mellman Group in Washington. (thi)
«Philipp Müller möchte der SVP ein Stück weit das Wasser abgraben.»

Und die SP nicht?
Weniger. Die SP möchte eigentlich gerne über die Rentensicherung und den Service Public reden. Aber das geht jetzt gerade nicht so gut oder geht total unter. Ironischerweise war es Peter Bodenmann, der schon 1995 konstatierte, dass immer nur ein Thema den Wahlkampf prägen und entscheiden könne. Und das ist dieses Jahr eines, bei dem die SP schlecht mitreden kann.

Und wie sieht es im übrigen linken Spektrum aus?
Für die Grünen und die linken Kleinparteien in der Westschweiz ist es weniger schwierig, das Flüchtlingsdrama zu bewirtschaften. Nach dem Hitzesommer und den Problemen um das Atomkraftwerk in Beznau ist dies nun ein weiteres Thema der Tagesaktualität, welches den Grünen helfen sollte, ihre drohende Niederlage abzufedern.

Philipp Müller, der FDP-Präsident ist auch zurückgekrebst, von einem Asylchaos will er jetzt plötzlich nichts mehr wissen. Ist ein solcher Kurswechsel nützlich oder schädlich im Wahlkampf?
Die FDP hat ein Problem. Im Frühling hat sie dank Frankenstärke und Wirtschaftsthemen gewonnen. Nun sind die Konjunkturdaten besser als angenommen, das Thema ist aus den Medien verschwunden, beziehungsweise wird vom Asylthema überlagert. Und bei diesem ist die FDP gespalten. Philipp Müller möchte der SVP ein Stück weit das Wasser abgraben. Daneben gibt es aber auch einen klassisch liberalen Flügel. Man darf nicht vergessen, dass das Asylrecht historisch gesehen ja keine linke oder sozialistische Erfindung ist.

Kann die CVP vom unablässigen Gepolter der SVP profitieren?
Die CVP hat beim Thema Asyl das gleiche Problem wie die FDP mit einem Hardliner-Flügel um Gerhard Pfister und dem Luzerner Gesundheitsdirektor Graf und einem gemässigteren katholisch-konservativen, humanistischen Flügel. Dieser meldet sich jetzt vermehrt zu Wort und pocht auf die christlichen Traditionen. Ich kann mir vorstellen, dass der momentane Umschwung in der öffentlichen Debatte im kleinen Rahmen dazu führt, eine vermehrte Abwanderung zur SVP zu verhindern.

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