Sag das doch deinen Freunden!
Coop duzt seine Kunden in den «To go»-Filialen. Dabei bleibt es vorläufig, das Konzept wird nicht ausgeweitet: «Wir haben nicht vor, unsere Kunden in sämtlichen Filialen zu duzen», sagt Mediensprecherin Andrea Bergmann. Tendenziell komme das Du bei den Jüngeren aber gut an. Es gebe jedoch auch junge Menschen, die mit Sie angesprochen werden wollen.
Bei der Konkurrentin Migros gibt es keine offizielle Weisung, die Kunden in den Filialen bewusst zu duzen. Sie werden laut Mediensprecherin Monika Weibel nach wie vor per Sie angesprochen. SportXX-Filialen in der Deutschschweiz sind die Ausnahme. «Da ist das Duzen unter Verkäufern und jüngeren Kunden schon fast üblich», sagt Weibel. Gerade in der Beratung komme das bei der jüngeren Kundschaft gut an. Zudem sei das Duzen vor allem in den Sozialen Medien üblich. Ausnahmen gebe es nur dann, wenn Kunden die Migros auf diesen Plattformen per Sie ansprächen.
Das Thema polarisiert und es gibt grob zusammengefasst zwei Lager:
Diese Gruppe ist der Meinung, das Siezen stehe für Respekt. Sie duzen nur Menschen, die sie gut kennen. Es geht ihnen auch um Nähe (Du) und Distanz (Sie).
Für diese Partei ist klar: Siezen ist veraltet und baut unnötige Barrieren auf.
Ich bin ein Anhänger des Dus. Für mich gibt es keinen Grund, das jetzige System aufrechtzuerhalten. Es schafft nur Probleme und Unsicherheiten. So musste ich mir verschiedene Techniken aneignen, um das für mich unangenehme Sie zu umgehen. Spaziere ich in einen Laden oder in eine Bank, grüsse ich konsequent mit «Hallo». Zum Abschied sage ich im Notfall «Einen schönen Tag», lieber jedoch einfach Tschüss. Noch schwieriger finde ich es bei Mails. Um nicht «Sehr geehrte Frau» und «Sehr geehrter Herr» schreiben zu müssen, beginne ich mit «Guten Morgen» oder «Guten Abend». Kurz vor dem Mittag und Feierabend bin ich jeweils etwas ratlos. Noch komplizierter wird es bei der Grussformel. Riecht «Herzliche Grüsse» schon zu stark nach Du, muss ich «Beste Grüsse» schreiben? Ohne die unnatürliche Sie-Regel müsste ich mir diese Gedanken nicht mehr machen und mein Alltag wäre ein klein wenig einfacher.
Nicht nur macht das Sie das Leben komplizierter, es führt auch zu zum Teil obskuren Situationen. Sprechen Lehrer ab einer gewissen Stufe ihre Schüler mit Sie und dem Vornamen an, wirkt das eher lächerlich als stilvoll. Alles andere als stilvoll war es auch, als mir während der Lehre gewisse Direktoren nach vier Gläschen Rotwein am Freitag an einem Olma-Stand euphorisch das Du antrugen, um es am Montag im Firmen-Gang unter vier Augen wieder rückgängig zu machen. Das gehe nicht, weil sich andere Lehrlinge dadurch benachteiligt fühlen könnten.
Solch unangenehme Szenen würden durch eine einheitliche Handhabung wegfallen. Chefs, die ihre Autorität nur mit Hilfe des Sies durchsetzen können, haben meiner Meinung nach sowieso ein charakterliches Problem. Dasselbe gilt für Kunden, die sich durch ein Du des Kassierers in ihrer Privatsphäre verletzt fühlen.
Wofür bitte soll Distanz denn gut sein? Ich auf jeden Fall habe kein Problem damit, Menschen, die ich nicht kenne oder nicht mag, zu duzen. Im Gegenteil: Es schafft sofort eine gewisse Vertrautheit. Meldet sich die Restaurantbedienung bei der telefonischen Tischreservation mit Sonja und reserviert mir einen Tisch auf Felix, ist das Verhältnis bereits beim Eintreten ins Lokal ein entspannteres als am Ende eines Abendessens während sich Kellner und Gast siezen.
Längere Aufenthalte in den USA waren für mich ebenfalls Beweis dafür, dass das Du entkrampft und zu häufigeren sowie ungezwungeneren Kontakten führt. Dass wir Europäer die US-Amerikaner ihrer spontanen Art wegen als oberflächlich bezeichnen, finde ich schlicht arrogant. Den Spruch «In den USA hast du nach einer Woche 20 Freunde und nach einem Jahr vielleicht noch einen» finde ich ebenso unpassend wie unwahr. Einige anfangs oberflächliche Gespräche endeten in Freundschaften. Und wenn nicht, was ist daran so schlimm? Lieber einen oberflächlichen Austausch als gar keinen.
Doch wir müssen gar nicht soweit suchen. Es gibt auch Beispiele auf unserem Kontinent. Die Schweden machen es uns vor. Sie haben die sogenannte Höflichkeitsform in den 1960er und 1970er-Jahren abgeschafft. In Schweden wirst du geduzt und mit dem Vornamen angesprochen, auch wenn du noch nie zuvor ein einziges Wort mit der Person gewechselt hast. Ausgenommen sind lediglich Mitglieder des schwedischen Königshauses. Haben die Schweden deshalb weniger Respekt voreinander? Im Gegenteil. Trotz oder vielleicht gerade wegen des Duzens gehen sie respektvoll und freundlich miteinander um, die Kommunikation ist unbeschwerter. Ein bisschen weniger Verkorkstheit würde uns Schweizern gut stehen.
Gilt es noch einen letzten Einwand zu entkräften. Böse Zungen finden die ganze Diskussion unnötig, da bei Coop und Migros reale Menschen in Kürze sowieso bald gänzlich durch das Self-Checking ersetzt würden. Dem entgegne ich: Umso mehr müssen wir soziale Kontakte fördern, und genau das würde ein Du für alle bewirken.