No Billag ist Geschichte. An der Medienkonferenz der Vollgeld-Initianten am Donnerstag aber wurde die Initiative aus der Mottenkiste hervorgeholt. Mit dem Nein zu No Billag habe das Stimmvolk am 4. März gezeigt, dass es die SRG als Service Public brauche, sagte Jean-Marc Heim, Westschweiz-Koordinator des Initiativkomitees. Das Geldwesen, «eine noch wichtigere Infrastruktur des Landes», müsse «erst recht eine Sache der öffentlichen Hand sein».
Geldschöpfung als Teil des Service Public: Mit solchen Botschaften versuchen die Vollgeld-Initianten, ihre nicht ganz einfache Materie im Hinblick auf die Volksabstimmung vom 10. Juni an den Mann und die Frau zu bringen. Wenn die Geschäftsbanken kein Geld mehr erzeugen können, sondern nur noch die Nationalbank, werde das Finanzsystem stabiler und sicherer.
Die Idee tönt verlockend, doch Ökonomen warnen, dass die Schweiz sich mit der Vollgeld-Idee auf unerprobtes Terrain wagen würde. Noch radikaler ist eine weitere Volksinitiative, die sich erst im «Embryonalstadium» befindet: Sie will längerfristig alle bestehenden Steuern und Abgaben durch eine Mikrosteuer im Promillebereich auf dem gesamten Zahlungsverkehr ersetzen.
Der Zürcher Ökonom Felix Bolliger, die treibende Kraft hinter der Mikrosteuer, bezeichnete seinen Vorschlag in einem Infosperber-Beitrag selbst als «revolutionär». Die Steuer soll nach Angaben der Initianten Schritt für Schritt eingeführt werden. Den Anfang wollen sie beim Bund machen: Mehrwertsteuer und direkte Bundessteuer sollen durch die Mikrosteuer ersetzt werden.
«Es ist an der Zeit, unser Steuersystem grundlegend neu aufzustellen», hielten Bolliger und sein Mitstreiter Jacob Zgraggen in einem Gastbeitrag für den «Tages-Anzeiger» fest. Auf den ersten Blick wirkt ihr Vorhaben verlockend. Für «Normalsterbliche» könnte der Ersatz der Fiskalabgaben durch eine minimale Steuer auf Zahlungen eine beträchtliche Entlastung bringen. Zumal die Initianten in erster Linie grosse Transaktionen an den Finanzmärkten im Visier haben.
Für das Vollgeld gilt ähnliches. Spontan leuchtet es ein, dass nur die Nationalbank Geld «herstellen» sollte. Viele Menschen glauben fälschlicherweise, dass dies schon heute der Fall ist. Bei genauer Betrachtung sind Vollgeld wie Mikrosteuer keineswegs unproblematisch. Die Schweiz würde sich damit im Alleingang auf geldpolitische Experimente einlassen.
Woher aber kommt diese seltsame Lust auf die Geld-Revolution? Sie entspringt in erster Linie einem tiefen Misstrauen gegenüber dem heutigen Finanzsystem, insbesondere den Banken. Die grosse Finanzkrise von 2008 spielt dabei eine zentrale Rolle. Bund und Nationalbank mussten damals die stolze UBS in einer Hauruck-Übung vor dem Untergang retten.
Die Vollgeld-Initianten wiesen am Donnerstag explizit darauf hin. Sie appellieren unverhohlen an Ressentiments gegenüber den Grossbanken UBS und CS, die 50 Prozent des Schweizer Geldes herstellen, sich aber zu 60 bis 80 Prozent im Besitz ausländischer Investoren befinden würden. Allerdings hat das Initiativkomitee ein grosses Problem: Es besteht aus lauter No-Names.
Die Mikrosteuer-Initiative kann mit grösseren Kalibern aufwarten. Im Komitee sitzen der frühere Bundesratssprecher Oswald Sigg, der ETH-Professor und Unternehmer Anton Gunzinger und der Zürcher Uniprofessor Marc Chesney, ein Kritiker des heutigen Banken- und Finanzsystems.
Sigg hatte sich bereits für das bedingungslose Grundeinkommen eingesetzt, das vor zwei Jahren klar abgelehnt wurde. Schon damals schlug er vor, das Grundeinkommen durch eine Mikrosteuer zu finanzieren, «ohne dass es jemandem wehtut», wie er im Interview mit der «Schweiz am Sonntag» erklärte. Trotz des damaligen Neins soll die Volksinitiative nun lanciert werden.
Zur Umsetzung aber stellen sich Fragen, bei der Mikrosteuer wie beim Vollgeld. Wenn die Geschäftsbanken nicht mehr direkt Kredite vergeben dürfen, sondern sich das Geld erst bei der Nationalbank besorgen müssen, könnte die Vergabe komplizierter und teurer werden, fürchten die Gegner.
Das grösste Problem der Vollgeld-Initianten aber ist die Schweizerische Nationalbank (SNB). Sie will dieses «Geschenk» nicht, sondern spricht sich dezidiert dagegen aus: «Eine radikale Umgestaltung des schweizerischen Finanzsystems ist nicht angebracht und würde grosse Risiken mit sich bringen», heisst es in einem Positionspapier zur Vollgeld-Initiative.
Vollgeld-Initiant Reinhold Harringer meinte am Donnerstag, die Nationalbank wolle das Begehren «nicht richtig verstehen». In seiner ersten Stellungnahme zur Vollgeld-Initiative habe SNB-Präsident Thomas Jordan sie als «interessantes Konstrukt» bezeichnet. Heute warnt Jordan, eine Annahme würde «die Schweizer Volkswirtschaft in eine Phase grosser Unsicherheit stürzen».
Die Initianten räumen ein, dass die Abstimmung gegen den Widerstand der Nationalbank schwer zu gewinnen sein wird. Trotz der Turbulenzen um den Euro-Mindestkurs geniessen die SNB und ihr Präsident eine hohe Glaubwürdigkeit. Auch von der Politik ist kaum Unterstützung zu erwarten. Im Nationalrat waren nur einzelne Mitglieder von SVP, SP und Grünen für das Vollgeld.
Ein ähnliches Problem erwartet die Mikrosteuer-Initiative, sofern sie überhaupt zustande kommt. Der Rückhalt in der Politik dürfte gering sein. Auch in diesem Fall warnen Experten vor Problemen bei der Umsetzung. Gerade die grossen Finanztransaktionen würden «innert Kürze ins Ausland verlagert», sagte der Freiburger Ökonom Reiner Eichenberger der «Berner Zeitung».
Mikrosteuer-«Erfinder» Felix Bolliger schlug im Infosperber vor, die Verantwortlichen in einem solchen Fall nach «altem» Muster zu besteuern, «nämlich aufgrund von Einkommen und Gewinn». Damit aber würde das System eher komplizierter als einfacher. Die Schweiz könnte zudem erneut unter Druck des Auslands geraten, wenn sie eine solche «Dumpingsteuer» einführt.
Die Mühen der EU bei der Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf Börsengeschäfte zeigen, wie schwierig es ist, eine solche Systemänderung in einem global operierenden Geschäft durchzusetzen. Für die meisten Experten ist deshalb klar, dass ein Alleingang der Schweiz, ob beim Vollgeld oder bei der Mikrosteuer, ein riskantes Experiment ist.
«Wagen wir den Systemwechsel», schreiben Felix Bolliger und Jacob Zgraggen im «Tages-Anzeiger». Sie werden Mühe haben, das Stimmvolk davon zu überzeugen. Wenn es ums Geld geht, mögen Herr und Frau Schweizer keine Experimente. Das zeigt auch das wiederholte Scheitern von linken Umverteilungs-Initiativen in den Volksabstimmungen der letzten Jahre.
Die NZZ bringt es auf den Punkt: «Man würde die Sache zwar gern ausprobiert sehen, um etwas zu lernen, doch ob die Schweiz das Versuchskaninchen spielen soll, ist eine ganz andere Frage.»