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Wirtschaft

Fortschritt besteuern, Veraltetes belohnen – gehts noch?

Self checkout at Coop Sihlcity in Zurich, pictured on January 29, 2015. (KEYSTONE/Christian Beutler)

Self Checkout im Coop Sihlcity am 29. Januar 2015 in Zuerich. (KEYSTONE/Christian Beutler)
Die zunehmende Verbreitung von Self-Scanning-Kassen ist Roger Deneys ein Dorn im Auge.Bild: KEYSTONE
Kommentar

Fortschritt besteuern, Stillstand belohnen – geht's noch?

Ein Genfer SP-Mann will die Ausbreitung von Self-Scanning-Kassen bremsen, indem jeder einzelne Automat mit einer monatlichen Steuer von 10'000 Franken belegt werden soll. Das ist rückwärtsgewandt und dumm. In einem anderen Kontext geführt, wäre die Diskussion über eine Roboter-Steuer aber sinnvoll.
29.07.2017, 12:2903.08.2017, 21:06
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Wir sind alle ersetzbar. Die Konkurrenz lauert nicht nur in Gestalt von gescheiteren, schnelleren und besseren Mitbewerbern, die sich auf dem Arbeitsmarkt tummeln. Sondern mehr und mehr auch in Form von Robotern. Schlagzeilen, wonach Maschinen schon in naher Zukunft jeden zweiten Job in der Schweiz überflüssig machen, verunsichern.

Weltweit zerbrechen sich Wissenschaftler und Politiker den Kopf darüber, wie die gewaltigen Erschütterungen, die dem Arbeitsmarkt noch bevorstehen, abgefedert werden können. Im Kleinen hat nun auch ein Genfer Sozialdemokrat einen Vorschlag lanciert: Mit einer happigen Steuer auf Self-Checkout-Kassen will Roger Deneys Verkäuferinnen davor schützen, von Robotern ausgebootet zu werden.

Fortschritt soll bestraft werden, das Verharren in veralteten Strukturen belohnt.

10’000 Franken pro Automat und Monat scheinen dem Politiker dafür angemessen. Allein Coop müsste so im Kanton Genf jährlich rund 22 Millionen zusätzlich an Steuern abliefern. Ein Grossteil der Gelder – 70 Prozent – sollen in Form von «Prämien» an Geschäfte fliessen, in denen ausschliesslich Menschen aus Fleisch und Blut die Kunden bedienen. So soll die «Ausbreitung von automatischen Kassen gebremst werden», argumentiert Deneys.

Roger Deneys, est candidat pour l'election au conseil National, photographie, lors du congres du parti socialiste genevois, ce samedi 14 mars 2015 a Geneve. Les citoyens et les citoyennes suisses ...
Roger Deneys, Absender des Vorstosses.Bild: KEYSTONE

Anders ausgedrückt: Fortschritt soll bestraft werden, das Verharren in veralteten Strukturen hingegen belohnt. Eine solche Logik ist rückwärtsgewandt und kurzsichtig.

Die Traktoren von Bauern? Ersetzen Feldarbeiter! Die Bankomaten? Denkt doch nur an die wegrationalisierten Schalterangestellten!

Zurecht wiesen zahlreiche Leser in den Kommentarspalten darauf hin, dass dann konsequenterweise auch andere Maschinen mit einer Strafsteuer belegt werden müssten. Die Traktoren von Bauern? Ersetzen Feldarbeiter! Die Bankomaten? Denkt doch nur an die wegrationalisierten Schalterangestellten! Und erst all die Computer in Büros? Was dadurch an menschlicher Schreib- und Rechenarbeit verschmäht wird!

Im Zuge der Industrialisierung und Automatisierung verschwanden zahlreiche Berufe von der Bildfläche – mit teils gravierenden Folgen für die einzelnen Arbeiter. Dafür entstand gleichzeitig eine Vielfalt an neuen Jobs, primär im Dienstleistungsbereich. Diese Entwicklung wird sich im Zuge der Roboterisierung fortsetzen – wohl in einem viel rasanteren Tempo, als wir es uns bisher gewohnt waren.

Die intelligenten Roboter kommen: Diesen Jobs geht's an den Kragen

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Die intelligenten Roboter kommen: Diesen Jobs geht's an den Kragen
Paket-Drohne von Amazon: Quadrokopter mit Autopilot könnten den klassischen Paket- und Postboten überflüssig machen.

quelle: apa / amazon
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Taxifahrer braucht es nicht mehr, wenn das automatisierte Fahren erst voll ausgereift ist. Auch für den Pöstler könnte das letzte Stündchen geschlagen haben, wenn Drohnen die Päckchen einst zuverlässig vor den Haustüren absetzen können. Es ist wichtig, dass sich die Politik Gedanken darüber macht, was mit diesen Menschen passiert. Investitionen in Weiterbildungen sind nötig, damit sich Betroffenen neue Perspektiven auftun.

Bisher führte die Automatisierung, allen Unkenrufen zum Trotz, nicht zu einer höheren Arbeitslosigkeit. Allerdings sind sich Ökonomen uneinig, ob es auch in Zukunft gelingen wird, die wegfallenden Jobs durch neue zu kompensieren. Lautet die Antwort «Nein», dann steht unser System tatsächlich vor einer gewaltigen Herausforderung. Denn: Roboter bezahlen weder Steuern noch Sozialabgaben.

Gates schlägt vor, die Einnahmen in Bereichen einzusetzen, in denen menschliche Empathie auch in Zukunft unverzichtbar ist. Etwa in der Pflege oder in der Pädagogik.

Die Idee einer Automaten-Steuer, wie sie Roger Deneys vorgebracht hat, ist deshalb im Grundsatz nicht falsch. Auch Microsoft-Gründer Bill Gates oder der Genfer Rechtsprofessor Xavier Oberson haben schon dafür geworben. Im Nationalrat ist zudem ein Postulat der Genfer Grünen Lisa Mazzone hängig, das den Bundesrat auffordert, Steuern und Sozialbeiträge für Roboter zu prüfen.

Gates schlägt vor, die Einnahmen in Bereichen einzusetzen, in denen menschliche Empathie auch in Zukunft unverzichtbar ist. Etwa in der Pflege oder in der Pädagogik. Auch sollen die wegrationalisierten Mitarbeiter damit für neue Jobs geschult werden. Mazzone plädiert dafür, dass die Menschen den technologischen Fortschritt für sich nutzen – und die zusätzliche Freizeit, die dank der Roboter-Arbeit entsteht, geniessen. Weniger Stress und eine bessere Gesundheit der Bevölkerung wären die Folgen, ist sie überzeugt.

Lisa Mazzone, conseillere nationale Les Verts GE, pose pour le photographe, ce vendredi 13 novembre 2015 a Geneve. Presidente des Verts genevois, Lisa Mazzone, 27 ans, sera la plus jeune elue a Berne  ...
Grünen-Nationalrätin Lisa Mazzone.Bild: KEYSTONE

Im Unterschied zum Genfer Vorstoss hätte die Roboter-Steuer von Gates oder Mazzone also keinen strafenden Charakter. Sie beträfe nicht willkürlich einzelne Maschinen in einer einzelnen Branche. Und sie wäre nicht von der Motivation beflügelt, Fortschritt um jeden Preis zu verhindern.

Roboter arbeitet als Rezeptionist in belgischem Krankenhaus

Video: reuters

19-jähriger Informatiker entwickelt einen Roboter, der mit Oculus Rift gesteuert wird

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IRE, der fahrbare Roboter, wird mit einem Gamepad gesteuert. Die Oculus Rift sorgt für die Sicht.
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178 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Zeit_Genosse
29.07.2017 13:55registriert Februar 2014
Die Frage ist wie Fortschritt definiert wird. Fortschritt in einer Gesellschaft könnte sein, dass wir nicht alles automatisieren was sich automatisieren lässt und damit Arbeit den Menschen zugestehen. Oder man entfernt den Menschen aus dem Arbeitsprozess und verteilt die Unternehmensgewinne über Steuern den Menschen. Was nützen viele Maschinen, wenn es den Menschen dabei schlechter geht. Es wird dazu keinen globalen Konsens geben und der Kapitalismus befeuert die menschenleere Erzeugung von Produkten und DL. Bioprodukte erhalten eine neue Bedeutung. "Made by Human"!
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Ohniznachtisbett
29.07.2017 16:52registriert August 2016
Würde dann auch eine Steuer auf DER GERÄT anfallen?
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elmono
29.07.2017 15:37registriert April 2014
SP bringt neue Idee. Enthält das Wort Steuer. Überraschung hält sich in Grenzen.
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