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Wirtschaft

So diskutierte die «Arena» nach den «Paradise Papers» über Ungleichheit

Moderator Jonas Projer diskutierte mit Thomas Matter (SVP), Ruedi Noser (FDP), Jean Ziegler und Jacqueline Badran (SP).
Moderator Jonas Projer diskutierte mit Thomas Matter (SVP), Ruedi Noser (FDP), Jean Ziegler und Jacqueline Badran (SP).Bild: screenshot srf

Tote Kinder im Kongo, Mani Matter und die Moral – der «Arena»-Zoff zu Glencore und Steuern

Trägt die Schweiz eine Mitschuld an der Armut Afrikas? Ist Steuervermeidung legitim? Die neusten Enthüllungen aus den «Paradise Papers» zur Offshore- und Rohstoffbranche warfen Fragen auf, die für zünftigen Streit zwischen SVP-Banker Thomas Matter und Drittwelt-Freund Jean Ziegler sorgten.
18.11.2017, 00:1518.11.2017, 18:19
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Eins vorneweg: Es gibt für bürgerliche Politiker angenehmere Themen für einen Auftritt in der «Arena», als wenn es um die Machenschaften des Zuger Rohstoffriesen Glencore geht. Dieser war von Moderator Jonas Projer eingeladen worden, einen Vertreter in die Sendung zu schicken – Glencore lehnte ab. Einen Konzern zu verteidigen, der mit vergifteten Böden, Schmiergeldzahlungen und Ausbeutung in Verbindung gebracht wird und selber die Öffentlichkeit scheut, ist kein Spass.

In der Sendung, welche sich nebst Rohstoffhandel auch mit Steuervermeidung und der Ungleichheit auf der Welt befasste, fiel diese undankbare Aufgabe zwei Zürcher Politikern zu: FDP-Ständerat und Unternehmer Ruedi Noser sowie SVP-Nationalrat und Banker Thomas Matter. Ihnen gegenüber standen SP-Nationalrätin Jacqueline Badran und der streitbare Soziologe Jean Ziegler aus Genf, ehemaliger SP-Nationalrat sowie UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung.

Die Polit-Sendung begann für einmal mit Musik:

«Dene wos guet geit
giengs besser
giengs dene besser
wos weniger guet geit.»
Mani Matter

Diese Zeilen sang der 1972 verstorbene Troubadour Mani Matter im Video-Einspieler. Das nachdenkliche Lied zur Frage, ob eine gerechtere Welt möglich ist, eröffnete eine engagiert geführte Diskussion, deren Teilnehmer sich zwar meistens zuhörten, aber nichts schenkten.

Schweizer Unternehmen verhielten sich weltweit vorbildlich, meinte SVP-Nationalrat Thomas Matter zu Beginn der Sendung – und gab sich als weit entfernter Verwandter des Berner Liedermachers zu erkennen. «Ich sehe das Problem nicht», meinte Matter. Die Firmen würden schliesslich Arbeitsplätze in armen Ländern schaffen und so für Wohlstand sorgen. Ausserdem sei der Dritten Welt am meisten geholfen, wenn es der Ersten Welt gut gehe, ergänzte er später.

Video: streamable

Das wollte SP-Frau Jacqueline Badran nicht durchgehen lassen. Die Schweiz mache sich auf verschiedene Arten mitschuldig an Armut und Ungleichheit auf der Welt: Das Bankgeheimnis schütze weiterhin afrikanische Diktatoren und deren Familien dabei, Gelder aus ihren bitterarmen Ländern wegzuschaffen. Und das Steuerregime ziehe Rohstofffirmen an, welche in Afrika auf dubiose Weise wirtschafteten.

Beim Thema Steuern schob FDP-Ständerat Noser den schwarzen Peter an die Europäische Union weiter. EU-Staaten wie Irland oder die Niederlande seien viel stärker für die umstrittenen Steuerpraktiken internationaler Grosskonzerne verantwortlich als die Schweiz.

Diesem Argument Nosers stimmte Jacqueline Badran zwar zu. Mit einem Ökonomie-Abschluss der St.Galler Wirtschafts-Kaderschmiede HSG ausgestattet, wies sie in einem flammenden Plädoyer aber darauf hin, dass das momentane weltweite Steuersystem mit seinen Offshore-Oasen sämtlichen Volkswirtschaften schade.

Video: streamable

Die Strategie der bürgerlichen Vertreter Noser und Matter, beim Thema Steuervermeidung jeweils auf stossendere Beispiele aus anderen Ländern zu verweisen, fasste Moderator Jonas Projer nach einem Drittel der Sendezeit prägnant zusammen: «Wir nicht, und die anderen auch.»

Nach der zahlenlastigen, stark wirtschaftlich argumentierten Startphase hatte Jean Ziegler einen starken Moment, als er Grundsätzliches ansprach. Die Haltung, die anderen seien schliesslich Halunken, also könne man auch ein Halunke sein, sei die schlimmstmögliche Haltung. «Wir müssen verteidigen, dass die Schweiz Gutes tut für die Welt.» Das Offshore-Geschäft entziehe den Staaten dringend benötigtes Geld, das dann bei den Geberstaaten etwa für die verheerende Hungerkrise im Osten Afrikas fehle.

Video: streamable

Und noch etwas anderes bewirkte Ziegler: Seine Erzählungen aus den humanitären Katastrophengebieten der Dritten Welt wie dem Ostkongo liessen erahnen, wie selbstbezogen und abstrakt Diskussionen über globale Themen von Schweizer Politikern sonst geführt werden. Der in der Wolle gefärbte Linke Ziegler – er diente in Genf einst als Che Guevaras Chauffeur – brachte eindeutig Farbe in die «Arena».

Ebenso emotional wie Zieglers Plädoyer für eine bessere Welt war Ruedi Nosers Empörung über die umstrittene Parteinahme Zieglers für den venezolanischen Präsidenten Nicolas Maduro. Die international kritisierten Militärprozesse gegen Maduros politische Gegner hatte Ziegler in einem Zeitungsinterview verteidigt: «Ich habe mich für die Schweiz geschämt, als ich das gelesen habe», so Noser.

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Die zunehmend von gegenseitigen Unterbrechungen geprägte Diskussion an den Stehpulten erhielt nach einer Dreiviertelstunde eine willkommene Unterbrechung. Publikumsgast George Estermann, Teamleiter Logistik, kündigte an, er wolle sich «mit einfachen Worten» ausdrücken.

Der Profit sei immer vor der Moral gekommen: «Jetzt ist es Zeit, die Moral wieder etwas in den Vordergrund zu stellen». Jeder im Saal trage wohl ein «Ohrenplämpeli» oder sonst ein Schmuckstück aus Gold: «Daran klebt Blut und eigentlich müssten wir es fortwerfen», meinte Estermann.

Video: streamable

Den bürgerlichen Diskussionsteilnehmern unterstellte er, die Möglichkeiten der Schweiz kleinzureden. Das Land habe es schliesslich in nur 150 Jahren geschafft, vom Armenhaus Europas zu einem der reichsten Länder der Welt zu werden: «Wir sollten nicht sagen, die Schweiz kann nichts tun.» Eine junge Frau aus dem Publikum gab Estermann recht: Was die Schweiz gegen die Armut tun könne, müsse getan werden.

Die Vehemenz, mit der FDP-Mann Ruedi Noser auf die Wortmeldung von Logistiker Estermann und der jungen Frau reagierte, wirkte unsouverän: Er griff diese «Normalbürger» argumentativ an, als wären sie rhetorisch geschliffene Politiker.

Danach leitete ein Einspieler-Video zum letzten Thema des Abends über: der Konzernverantwortungs-Initiative. Sie will Schweizer Unternehmen eine Sorgfaltspflicht auferlegen, sich auch im Ausland an Mindeststandards bezüglich Menschenrechten und Umweltvorschriften zu halten. Die Initiative will Betroffenen das Recht geben, in der Schweiz gegen fehlbare Konzerne zu klagen.

Thomas Matter wollte davon nichts wissen. Die Initiative zeige einmal mehr, «dass gut gemeint das Gegenteil von gut ist». Die Initiative schade dem Werkplatz Schweiz. Diese Kritik konterte Andreas Missbach von der NGO Public Eye gekonnt. Mit dem «Untergang des Werkplatzes» habe man schon 1877 gegen das erste Fabrikgesetz argumentiert, welches Kinderarbeit verbot.

Video: streamable

Die Diskussion über die Konzernverantwortungs-Initiative drehte sich in der Folge hauptsächlich um deren mögliche Umsetzung. Noser und Matter malten das bürokratische Monster einer Sorgfaltspflicht an die Wand, welche unverdächtige Schweizer KMUs durch Mehraufwand belasten würde.

NGO-Vertreter Missbach wies dieses Szenario als völlig übertrieben zurück. Die Sorgfaltspflicht komme nur bei Firmen zum Zug, welche in risikobehafteten Branchen wie etwa dem Gold- oder Rohstoffhandel tätig sind.

«Weshalb müssen sich Schweizer Unternehmen vor der Konzernverantwortungs-Initiative fürchten, wenn sie sich doch so vorbildlich verhalten, wie ihr immer behauptet?»
Jacqueline Badran

Über die möglichen Folgen einer Initiative herrscht selten Einigkeit. In den Diskussionen darüber entscheidet sich, ob sich das Ja- oder das Nein-Lager durchsetzt. Das Nein-Lager aus Ruedi Noser und Thomas Matter schien argumentativ noch nicht besonders sattelfest zu sein. Die von Matter erwähnte Sorgfaltspflicht für sämtliche Lieferanten entblösste Jacqueline Badran als unwahre Behauptung – sie gilt nur für direkte Tochterfirmen.

Badran gehörte denn auch der letzte Punktgewinn des Abends in Form einer rhetorischen Frage an Matter und Noser: «Weshalb müssen sich Schweizer Unternehmen vor der Konzernverantwortungs-Initiative fürchten, wenn sie sich doch so vorbildlich verhalten, wie ihr immer behauptet?»

Paradise Papers: Die Steuertricks der Reichen und Mächtigen

Video: srf
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142 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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CreatorsWolf
18.11.2017 01:29registriert April 2015
Was soll dieser schwachsinn von wegen streitbarer soziologe jean ziegler? Nur weil sich jemand gegen das mainstream denken stellt
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ströfzgi
18.11.2017 09:43registriert April 2016
Matter und Noser ... Sehen vor lauter Gier nur noch das Gute im Bösen. NESTLE - genau Herr Matter! - schickt Ihnen Geschenke. Dass Sie aber gleichzeitig für humanitäre Katastrophen verantwortlich sind, blenden Sie aus. Ich bin dem Kapitalismus überhaupt nicht abgeneigt, aber was die beiden Saubermänner da vertreten haben ist doch unter aller Sau. http://webdoku.bottledlifefilm.com/index.html

Einen Ziegler - ob man ihn nun mag oder nicht - so runter zu putzen und jeweils ein "oh neeii" zu stöhnen, wenn er zu sprechen beginnt, zeigt die krankhafte Überheblichkeit der Beiden. Pfui!
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i schwörs
18.11.2017 11:21registriert April 2016
Laut SVP Mann muss man nichts tun, da alles bereits vorbildlich läuft. Laut FDP-Mann gibt es Probleme, aber man kann eh nichts tun. Es ist immer dasselbe: kommen Ideen, was gegen Misstände zu tun wäre, heisst es entweder "eh kein Problem" oder "s ist zwar schlimm, aber man kann eh nichts tun". Haben diese Leute eigentlich auch Ideen, was gegen die grassierende Umweltzerstörung und unmenschlicher Ausbeutung zu tun wäre, oder können die nur NEIN sagen? Ausser bei Panama und Paradies, sowas mögen die. Die Initiative ist übrigens anzunehmen: setzt um, was in der UN beschlossen ist.
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«Erster wirklicher Stresstest für die Schuldenbremse»: Ökonom ordnet drohendes Defizit ein
Beim Bund drohen Defizite von bis zu vier Milliarden Franken. Wie schlimm ist das? Und wie hat man in der Vergangenheit darauf reagiert? Ökonom Thomas M. Studer, der zur Geschichte der Bundesfinanzen seine Dissertation verfasst hat, gibt Auskunft.

Jahrelang schrieb der Bund Überschüsse. Jetzt drohen Defizite in Milliardenhöhe. Verglichen mit früher: Wie schlecht steht es um die Bundesfinanzen?
Thomas M. Studer:
Um das vergleichen zu können, stellt man das Defizit ins Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP). Bei jährlichen strukturellen Defiziten von 2 bis 4 Milliarden Franken, wie sie der Bund erwartet, sind das gemessen am aktuellen BIP rund 0,25 bis 0,5 Prozent. In der Schuldenkrise der 1970er-Jahre waren es bis zu 0,9 Prozent, in den 1990er-Jahren sogar bis 2 Prozent. So schlimm ist es heute noch nicht. Was die Geschichte aber zeigt: Es ist schwierig, aus einer Defizitphase herauszukommen, wenn man mal drin ist.​

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