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Nicht der Leistungsdruck, der Zeitgeist treibt in den Suizid 

Benoît Violier, Küchenchef des Hôtel de Ville in Crissier (VD).
Benoît Violier, Küchenchef des Hôtel de Ville in Crissier (VD).
Bild: KEYSTONE
Kommentar

Nicht der Leistungsdruck, der Zeitgeist treibt in den Suizid 

Nach dem Tod von Benoît Violier ergehen sich die Beobachter in Spekulationen darüber, ob die dünne Luft und der immense Druck in den obersten Sphären der Spitzengastronomie töten. Das tun sie nicht. Die Motive für den Suizid liegen in den Persönlichkeitsstrukturen der Betroffenen und wandeln sich mit dem Zeitgeist. 
02.02.2016, 15:4202.02.2016, 16:27
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Nach dem Selbstmord des waadtländischen Spitzenkochs Benoît Violier herrscht eine grosse Betroffenheit.

Als erste Reaktion im Umgang mit dem Freitod des Spitzenkochs ist eine hitzige Debatte über den Leidensdruck der Chefs in der Spitzengastronomie entbrannt. Der Grundtenor lautet: Die weltbesten Chefs stünden unter einem dermassen immensen Druck, ständig perfekte Produkte und Dienstleistungen anzubieten, dass dieser in vielen Fällen zu Depressionen und letztlich Suizid führe. 

Leistungsdruck und Performance-Erwartungen werden allenthalben als Mörder der Spitzenköche ausgemacht. Und gleichzeitig auch für die hohen Suizid- und Depressionsraten in der westlichen Welt.  

Die These greift jedoch zu kurz, denn objektiv erkennbare externe Faktoren und Ereignisse sind höchst selten das Motiv für Selbstmord. Angehörige und Freunde eines jeden Selbstmörders oder einer jeden Selbstmörderin fragen sich: Warum hat er oder sie das getan? Er hatte doch alles? Sie war doch so erfolgreich? 

Das Motiv, sein eigenes Leben zu beenden, kann logischerweise nur in der festen Überzeugung begründet liegen, dass dieses völlig wertlos sei, also in der kompletten persönlichen Selbstentwertung des Suizidalen. Eine andere Legitimation gibt es nicht, sich des Kostbarsten, das man hat, zu entledigen.   

Was jeweils zur dieser fixen Idee führt, man sei komplett wertlos, liegt einerseits in der Biographie und der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen begründet. Der Feldherr stürzt sich nach verlorener Schlacht ins Schwert, weil er sich nur als Feldherr sieht und als solcher wertlos geworden ist. Die verschmähte Liebhaberin nimmt sich nach der Zurückweisung ihres Angebeteten das Leben, weil sie nur noch und mit jeder Faser Liebhaberin und als solche wertlos geworden ist. Und der beste Koch nimmt sich eben das Leben, weil er dessen Wert nur noch im Dasein als bester Koch sieht, was er nicht immer sein und schon gar nicht für immer bleiben kann. 

Andererseits – und das ist der weit weniger gewichtige Faktor – können gesellschaftliche Normen, die sich mit dem Zeitgeist wandeln, dabei helfen, sich wertlos zu fühlen. Waren im 19. Jahrhundert eine Scheidung, Homosexualität oder Dienstuntauglichkeit subjektiv durchaus Gründe, sich wertlos zu fühlen, ist das heute nicht mehr der Fall. In der westlichen Konsum- und Leistungsgesellschaft des beginnenden 21. Jahrhunderts sind Armut und Erfolglosigkeit die grösseren Risikofaktoren für eine Selbstentwertung als gesellschaftliche Nonkonformität. 

Aber entscheidend ist und bleibt die extreme Persönlichkeitsstruktur, hier wie dort und jetzt wie früher, die solche Anforderungen von aussen dermassen verinnerlicht und übernimmt, dass bereits das geringste vermeintliche Versagen zur kompletten Selbstaufgabe führt. 

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13 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Charlie Brown
02.02.2016 17:55registriert August 2014
"Das Motiv, sein eigenes Leben zu beenden, kann logischerweise nur in der festen Überzeugung begründet liegen, dass dieses völlig wertlos sei, also in der kompletten persönlichen Selbstentwertung des Suizidalen. Eine andere Legitimation gibt es nicht, sich des Kostbarsten, das man hat, zu entledigen."

Man kann derart unter Depressionen leiden, dass man als einzigen Ausweg den Tod und damit ein Ende seines Leidens sieht. Wenn es um Depressionen geht, greift eine "logische" Erklärung viel zu kurz. Ich bin sehr enttäuscht von diesem Kommentar.
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Homelander
02.02.2016 20:20registriert Oktober 2014
Oje... können wir jetzt bitte aufhören darüber zu schreiben?! Und ihn ruhen lassen? Und die Angehörigen? Auch wenn niemand der Medien den Hinterbliebenen nachstellt. Muss dann jetzt auch noch mit Stammtischpsychologie «analysiert» werden? Er hat seinem Leben ein ENDE gesetzt. Ende.
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azoui
02.02.2016 19:55registriert Oktober 2015
Lieber Author, lieber Maurice Thiriet

Um seinem Leben ein Ende zusetzen, und diese zu kommentieren, braucht einiges, nein vieles mehr, als diese von Ihnen geschriebenen Allgemeinplätze.
Ich kenne einen Menschen, der seinem Leben ein Ende gesetzt hat. Selber habe ich mir schon einige Gedanken über Selbstmord gemacht. Die Quintesenz daraus, ich habe grosse Achtung vor solchen Menschen, ich suche keine Gründe für ihre Entscheidung.
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