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Gratis-Säckli adé? Von wegen! So bluffen Migros und Coop mit den Verschleiss-Zahlen

Gratis-Säckli adé? Von wegen! So bluffen Migros und Coop mit den Verschleiss-Zahlen

ARCHIVBILD ZU JAHRESBILANZ 2016 DES DETAILHAENDLERS COOP -- Ein Plastiksaeckchen von Coop wird eingescannt, welches ab heute in zehn Coop-Filialen im Rahmen einer Testphase fuer 5 Rappen verkauft wird ...
Noch immer gehen im Coop-Konzern zahlreiche Säckli gratis über die Theke.Bild: KEYSTONE
Die Detailhändler feierten einen massiven Rückgang beim Verschleiss von Einwegsäckchen. Die hohen Zahlen sind aber nur der eine Teil der Wahrheit.
13.12.2017, 04:2413.12.2017, 15:00
Daniel Fuchs / Nordwestschweiz
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Mit italienischem Akzent nehmen Mitarbeiterinnen die Bestellungen für Take-away-Kaffee entgegen. Im Kühlregal liegen einzeln und in viel Karton und Plastik verpackt sizilianische Süssspeisen. Es riecht nach frisch gebackener Focaccia. Willkommen bei Sapori d’Italia im Bahnhof Aarau, dem ersten und bisher einzigen Convenience-Shop von Coop, der auf italienische Spezialitäten setzt.

Vor dem Lokal stehen die Abfall- und Recycling-Kübel der SBB. Sie quellen mit fortgeschmissenen Verpackungsmaterialien des Italien-Shops über. Im Laden bezahlen Kunden an der Kasse. «Darf es ein Säckli sein?», fragt die Verkäuferin. Was das Säckli denn koste, fragt der Kunde. «Nichts», antwortet die Coop-Angestellte, «Sie sollen sich hier schliesslich fühlen wie in Italien.»

6,5 Millionen Säckli alleine in Pronto-Shops

Italienisches Essen gekoppelt mit viel Verpackung soll hier also die Italianità verströmen, mit der Coop das Testlokal bewarb. Dabei vermeldete der Basler Detailhandelsriese erst vor kurzem an der Seite der Konkurrentin Migros einen Einbruch des Plastiksäckli-Verschleisses zugunsten der Umwelt. Um 80 bis 90 Prozent sei die Nachfrage nach den Raschelsäckchen an den Supermarkt-Kassen eingebrochen, seit die Detailhändler den Preis auf fünf Rappen pro Säckli festgelegt hätten. Migros hatte das Gratis-Säckli im Herbst 2015 aus ihren Supermärkten verbannt, Coop zog Anfang 2016 nach.

Was die beiden Schweizer Grossisten allerdings nur nebenbei erwähnen: Gratis-Säckli gibt es nach wie vor in den Fachgeschäften der beiden Firmen, zum Beispiel in den Heimwerk-Geschäften Coop Bau + Hobby und Migros Do it + Garden oder in den kleineren Convenience-Shops von Migrolino und Coop Pronto. In der verkündeten Reduktion von bis zu 90 Prozent sind die Gratis-Säckli aus diesen Läden nicht einberechnet. 6.5 Millionen Stück sind es in den Pronto-Shops, wie eine Sprecherin mitteilt. Ebenfalls nicht berücksichtigt für die Berechnungen sind die transparenten Gratis-Säckli für Früchte und Gemüse (wie es sie auch in normalen Coop- und Migros-Supermärkten gibt).

Hinzu kommen die Gratis-Tragetaschen, die es etwa für Textilien oder in den Fachmärkten gibt. Mit aller Konsequenz verbannen weder Migros noch Coop die Gratissäcke aus ihren Märkten.

Bald kostets auch bei Migrolino

Zumindest Migros geht nun einen Schritt weiter. Wie die «Nordwestschweiz» weiss, plant die Migros-Tochter Migrolino bereits in ein paar Wochen die Einführung des kostenpflichtigen Plastiksacks. Per 1. Januar sollen auch Kunden in Migrolino-Shops einen Fünfräppler fürs Säckli bezahlen. Anders bei Coop: Bei Sapori d’Italia und den von der Coop Mineralöl AG geführten Coop-Pronto-Shops will man von kostenpflichtigen Plastiksäckli nichts wissen. Das Einkaufsverhalten in Convenience-Shops unterscheide sich eben stark von jenem in Supermärkten, so die Sprecher. Die Kundschaft mache dort viel mehr Spontan- und Kleineinkäufe. Coop betont, diese Praxis entspreche der Branchenvereinbarung, hinter der auch das Bundesamt für Umwelt steht. Die Detailhändler führten die Säckli-Gebühr an den Supermarkt-Kassen freiwillig ein und kamen so einem Schweizer Plastiksackverbot zuvor.

Wer sich mit Gratis-Säckli eindecken will, der kann das trotzdem weiterhin tun. Zum Beispiel in einem Bau+Hobby-Geschäft in der Berner Agglo: Dort suchen Rentner nach den richtigen Schrauben. An der Kasse können sie sich frei mit Einwegsäckli bedienen. Diese liegen beim Förderband gleich rollenweise auf. Und Einwegsäckli bedeutet hier auch wirklich Einwegsäckli. Sie sind so dünn, dass sich kantige Werkzeuge oder Schrauben nur schwer sicher nach Hause bringen lassen. Kaum stabiler sind die RecyclingSäckli mit Strichcode der Migros, die versuchsweise an den Self-Checkout-Kassen in der Do-It-Filiale der Berner Innenstadt aufliegen. Anders als in einem Migros-Supermarkt gibt es hier das erste Säckli pro Einkauf gratis.

Um italienisches Flair ist Coop im neuen Sapori d’Italia gleich auf allen Ebenen bemüht, wie das eingangs erwähnte Zitat der Kassiererin beweist. Was sie nicht weiss: Mit einem generellen Plastiksack-Verbot hat Italien die Gratis-Sack-Kultur bereits 2011 aus den Läden verbannt.

Shoppen kann richtig aufregend sein - mit diesen 9 Typen!

Video: watson/Knackeboul, Madeleine Sigrist, Lya Saxer
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58 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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AfterEightUmViertelVorAchtEsser___________________
13.12.2017 08:47registriert August 2017
Kunde kauft Spaghetti Carbonara im schwarzen Plastikschäleli mit dem transparenten Platikdeckel. Dazu ein Menusalat mit gleicher aber unwesentlich kleinerer Plastikverpakung. Und zum Dessert ein Joghurt im Plastikbecher.
Kunde: "Können sie mir noch Plastikbesteck mitgeben, damit ich es essen kann?"
Verkäufer: "Kein Problem, Sie können auch zwei Sets Plastikbesteck, dass im transparenten Plastikbeutel verpakt ist, mitnehmen"
Kunde: "Und vielleicht noch ein Plastiksäckli. Ich kann nicht alles in den Händen halten"
Verkäufer: "GEHTS NOCH!!! WOLLEN SIE EIGENTLICH DEN PLANETEN ZERSTÖREN!!!"
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Hardy18
13.12.2017 05:53registriert Oktober 2015
„Fühlen sie sich wie in Italien“ ... hin, zu den Traumstränden die vollgestopft mit Plastiksäckli sind. Steigen sie in eine Welt, die rundherum nur aus Plastik besteht, ganz wie in Italien. Für hartgesottene, gibts hier Gratis das zwei Meter Säckli, wickeln sie sich damit ein und fühlen sie sich wie eine Verspielte Robbe am Italienischen Strand die nur zu Ihrem Vergnügen angespült wurde. 😏
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Hexentanz
13.12.2017 08:11registriert November 2014
Ist sowieso ein Witz.. 2 Tonnen weniger Plastik Säckli und dafür wieder 20 Tonnen Migrosmania oder des Pendant von coop. Sehts einfach ein, es ist Marketing, nicht mehr und nicht weniger.

(Die Tonnen zahlen sind fiktiv zur Veranschaulichung)
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