Donald Trump macht alle anderen zu Statisten. Selbst Bundespräsident Alain Berset in seinem eigenen Land. Am Freitag gegen 11 Uhr sitzt er wie ein Bittsteller auf der Wartebank, bis ihn der US-Präsident, der verspätet unterwegs ist, zu ihm lädt. Der Amerikaner gibt sich als Herr im Haus. Und die Gastgeber, euphorisiert über ihren Coup, den mächtigsten Mann der Welt hierhergeholt zu haben, überlassen ihm diese Rolle. Als Trump um 14 Uhr die Bühne im Kongresszentrum betritt, spielt eine Kapelle auf, ähnlich wie eine Militärmusik bei einem offiziellen Staatsempfang. Diese Ehre, so sagen auch langjährige Davos-Besucher, liess WEF-Gründer Klaus Schwab noch keinem Redner zuteilwerden.
Der 79-jährige Professor ist der Gegenentwurf zu Trump: Distinguiert, diplomatisch, politisch korrekt. Doch vor dem US-Präsidenten verneigt er sich. «Lassen Sie mich gratulieren zu Ihrer historischen Steuerreform», begrüsst er ihn, «sie wird der Weltwirtschaft einen enormen Schub geben.» Schwab kritisiert Trumps Kritiker: Der Präsident werde oft «fehlinterpretiert.» Trump gibt die Komplimente zurück. Er spricht den WEF-Gründer mit «Klaus» an und preist die Veranstaltung als «grossartiges Forum».
Bundespräsident Alain Berset, der als Sozialdemokrat kaum etwas mit Trump gemeinsam hat, äussert nach seinem Treffen mit dem US-Präsidenten nur Nettigkeiten. Auch er ist stolz: Darauf, als erster Schweizer Bundespräsident seit 18 Jahren wieder einen US-Präsidenten zu treffen. Damals, im Jahr 2000, war Bill Clinton in Davos zu Gast, und Adolf Ogi kam zur Ehre.
Stolz ist Berset aber auch auf die Länge des Treffens: Mehrfach wiederholt er, Trump habe sich 40 bis 45 Minuten Zeit genommen für ihn. Vorgesehen waren offenbar 30 Minuten.Nicht nur das WEF und die offizielle Schweiz, die mit fünf Bundesräten in Davos vertreten war, fühlen sich geehrt, dass Trump da ist. Der US-Präsident dominiert seit zwei Wochen die Schlagzeilen. Der «Blick» hiess Trump am Donnerstag mit der Schlagzeile «Welcome, Mr. President» willkommen – am Freitag signierte dieser begeistert ein Exemplar dieser Ausgabe.
Im Gegensatz zum G20-Gipfel in Hamburg vergangenen Sommer gibt es hierzulande bis auf die Demo vom Dienstag in Zürich keine grösseren Protestaktionen gegen den umstrittensten Präsidenten der US-Geschichte. Ausschreitungen bleiben vollständig aus.
Davos bewilligt zum ersten Mal seit Jahren keine Kundgebung mehr im Ort. Der viele Schnee dient als willkommene Rechtfertigung. Polizisten sind derart erpicht darauf, Protest zu unterbinden, dass sie glatt einen NZZ-Journalisten verhaften, der einen Einsatz gegen Jugendliche fotografiert.
Statt Protest gibt es Willkommenssalven und Klamauk. Und das aus allen Schichten. Schweizer WEF-Teilnehmer versuchen die Aufmerksamkeit des Präsidenten mit Fragen wie «is Switzerland also great?» zu erheischen, als er durchs Kongresszentrum läuft. In Davos überbieten sich Restaurants mit Trump-Kreationen. Die fantasievollste ist noch ein Burger, dessen Käsekruste an die Frisur des Präsidenten erinnert. In der Region um den Flughafen Kloten stehen sich die Menschen am Donnerstag auf die Füsse, um die Landung des präsidialen Flugzeuges Air Force One zu beobachten.
Finanzminister Ueli Maurer schwärmt schon am Mittwoch für Trump. Nach einem Treffen mit seinem amerikanischen Amtskollegen Steven Mnuchin zeigt er sich begeistert. Bei einem Gespräch mit Journalisten wird er nicht müde zu betonen, dass die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten um ein vielfaches besser laufe als noch zu Obamas Zeiten. Maurer hat Ähnliches schon früher gesagt, doch nun spürt man, dass er mit seiner Einstellung gegenüber Trump nicht mehr allein ist.
Das hat auch mit der EU zu tun. Die Auftritte von Merkel und vor allem Macron hätten das diesjährige WEF zum EU-Festival machen können. Doch Merkel wirkt kraftlos, und Macron verzückt die globalisierten Manager mehr als die Schweizer Verantwortungsträger.
Amerika und die Schweiz seien zwei starke Volkswirtschaften mit starken Finanzplätzen, sagt Maurer. Man könne in Verhandlungen für beide Seiten vorteilhafte Vereinbarungen erreichen. Und er deutet an: Mit der EU ist es nicht nur komplizierter, man ist an den einzelnen Mitgliedstaaten auch nicht gleich stark interessiert.
Zur USA-Show passt, dass der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gar nicht erst nach Davos reiste. Er soll mit einer Grippe im Bett liegen. Doch schon bevor er absagte, war klar: Mit Bundespräsident Alain Berset wollte er sich ohnehin nicht treffen.
Davos, so schien es lange, ist in diesen Tagen Trump-Land. Doch während der Rede des 71-Jährigen herrscht im überfüllten Kongresssaal eine seltsame Stimmung. Die Atmosphäre ist anders als der Eindruck, den man erhalten hat, als der US-Präsident durch die Gänge des Kongresszentrums schritt, Hände schüttelte, für Fotos posierte und Komplimente entgegennahm.
Als Trump bei seinem Auftritt die «Fake News»-Presse geisselt, sind Buhrufe zu hören, und am Ende seiner Rede ist der Applaus verhalten. Es wirkt fast demonstrativ. Trump – man sieht es seinem Gesicht an – realisiert das sehr wohl. Viele Teilnehmer klatschen nicht, nur ein paar wenige stehen respektvoll auf. Beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron gab es vom Plenum eine Standing Ovation. Die Halle ist grossmehrheitlich mit Nicht-Schweizern gefüllt: Diese Teilnehmer – die von Trump noch vor kurzem verspotteten Globalisten, die er nun umwirbt – teilen die helvetische Begeisterung offensichtlich nicht.
Und dann ist Trump auch schon wieder weg. Die schwarzen Limousinen bringen ihn zum Flugfeld. Die Polizei erfüllt die Wünsche des Präsidenten, sperrt die Strasse, stellt die Eskorte. Später wird Polizeikommandant Walter Schlegel die Zusammenarbeit loben. Ob die Amerikaner nicht doch unangemeldete Waffen mit sich führten, könne er nicht garantieren, doch der Secret Service habe sich an alle Abmachungen gehalten. Den Amerikanern – ihnen vertraut man.
Dann hebt die blaue Air Force One ab in Zürich Kloten. Und die Schweiz kommt wieder langsam auf den Boden.