Von einer «medienpolitischen Sensation» schrieb der Sonntagsblick: Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse schwenkt in der Service-public-Debatte überraschend auf den Kurs der SVP ein. Er unterstützt einen Gegenvorschlag der Partei zur «No Billag»-Initiative, wonach künftig jeder Haushalt maximal 200 Franken Radio- und TV-Gebühren pro Jahr zahlen soll. Dies entspräche einer Halbierung der heutigen Gebühren.
200 Franken reichten, um «demokratiepolitisch wichtige Leistungen» anzubieten, schreibt Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer in einem Brief an die bürgerlichen Nationalräte, aus dem die Zeitung zitierte. Dass der Wirtschaftsverband die SRG zu einer solchen Radikalkur zwingen will, provozierte erstaunte Reaktionen. Denn vor zwei Jahren machte sich die Economiesuisse noch für das neue Radio- und TV-Gesetz stark – und damit für eine Gebühr von rund 400 Franken pro Haushalt.
Auf den zweiten Blick ist der Positionsbezug allerdings nicht mehr ganz so überraschend. Denn was der «Sonntagsblick» nicht schreibt: Der SVP-Gegenvorschlag brächte den Unternehmen gewichtige finanzielle Vorteile. So ist die Gebührenreduktion auf 200 Franken für Private nur ein Teil des Plans. Weiter heisst es im Text: «Unternehmen bezahlen keine Abgabe.»
Für die Betriebe geht es um Millionen: Letztes Jahr lieferten sie insgesamt 41 Millionen an Radio- und TV-Gebühren ab. Und mit dem neuen Radio- und Fernsehgesetz dürfte sich der Betrag künftig vervielfachen: In seiner Botschaft bezifferte der Bundesrat die erwarteten Einnahmen bei den Unternehmen auf rund 200 Millionen Franken.
Das neue Abgabesystem tritt voraussichtlich 2019 in Kraft. Dabei gilt: Je mehr Umsatz, desto höher die Abgabe. Während kleine Firmen mit einem Umsatz unter 500’000 Franken gar nichts bezahlen müssen, schlägt die Abgabe für grössere Konzerne mit 400 bis 39’000 Franken zu Buche. Letzteres gilt für Unternehmen mit einem Umsatz von über einer Milliarde.
Am Donnerstag debattiert der Nationalrat über «No Billag» und den Gegenvorschlag der SVP. Regula Rytz, Präsidentin und Medienpolitikerin der Grünen, zeigt sich über die «Kehrtwende» von Economiesuisse «erstaunt und irritiert». Einerseits zeige das Vorgehen, wie stark der Wirtschaftsverband «unter der Fuchtel der SVP» stehe. Andererseits verdeutliche es, dass die Wirtschaft ihre eigenen Interessen über jene der Gesellschaft stelle.
Der Service public sei für die Demokratie und den nationalen Zusammenhalt von grösster Bedeutung, so Rytz. «Es ist billig, wenn sich die Wirtschaft hier einfach aus der Verantwortung stehlen will.» Die Haushalte müssten in dem Fall den Service public alleine finanzieren, so die Grüne. «Die Kioskfrau und die Bauarbeiter müssten zahlen, während sich die grossen Konzerne um ihre Verantwortung foutierten.»
Gregor Rutz, SVP-Nationalrat und Vater des Gegenvorschlags zur No-Billag-Initiative, wertet das Vorpreschen der Economiesuisse hingegen als Reaktion auf die «Service-public-Diskussion, die auf ganzer Linie enttäuscht hat». Der Bundesrat sei nicht bereit gewesen, offen über den künftigen Auftrag der SRG zu diskutieren. «Obwohl sich die Voraussetzungen mit den Möglichkeiten des Internets stark verändert haben und wir eine Fülle an privaten Medienangeboten haben wie nie zuvor.»
Insofern spreche sich Economiesuisse für einen Mittelweg zwischen zwei Extremen aus: «Es beruhigt mich, dass die Wirtschaft weder eisern am Status quo festhalten will wie der Bundesrat, noch eine totale Privatisierung anstrebt wie die No-Billag-Initianten.» Absprachen zum Gegenvorschlag habe es zwischen der Economiesuisse und der SVP keine gegeben, so Rutz.
Dass die Unternehmen von der Gebührenpflicht ausgenommen werden sollen, ist laut Rutz denn auch nicht als Gefälligkeit an die Adresse der Firmen zu verstehen: «Eine GmbH kann nicht fernsehen», hält er fest. Deshalb sei es nur logisch, wenn juristische Personen keine Abgaben entrichten müssten. «Die Besitzer und die Mitarbeiter der Unternehmen bezahlen ja bereits als Privatpersonen.» Economiesuisse wollte sich auf Anfrage nicht weiter äussern.
Die Chancen, dass der SVP-Gegenvorschlag zur «No Billag»-Initiative tatsächlich vors Volk kommt, sind allerdings gering. So hat sich der Ständerat geschlossen dagegen ausgesprochen. Auch die vorberatende Nationalratskommission – inklusive einer Mehrheit der Freisinnigen – will davon nichts wissen.
Gregor Rutz hofft, dass der Positionsbezug der Economiesuisse in der politischen Mitte nun doch noch zu einem Umdenken führt. Für Regula Rytz wäre das verheerend. In Zeiten, in denen ein Christoph Blocher ein Zeitungsimperium aufkaufe und Fake News in aller Munde seien, sei ein unabhängiger, gebührenfinanzierter Service public wichtiger als jemals zuvor, findet sie.
Geht es nach den Initianten von «No Billag», dürfte der Bund künftig gar keine Empfangsgebühren mehr erheben oder Dritte damit beauftragen. Auch die Subventionierung von Radio- und Fernsehstationen wäre verboten.