Alleine in diesem Jahr sind in der Schweiz 111 Brauereien gegründet worden. Kann man von einem Trend sprechen?
Marcel Kreber: Auf jeden Fall. Allerdings muss man erwähnen, dass die meisten dieser Braustätten zwischen 0 und 50 Hektoliter Bier brauen. Sie sind zwar im «Verzeichnis der steuerpflichtigen Inlandbrauereien» der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) geführt, weil das Gesetz das so verlangt. In der Regel sind es nebenberufliche Brauereien.
Dass heisst, die Schweizer brauen sich mehr und mehr ihr eigenes Bier?
Genau. Es ist ein Hobby, das um sich greift. Das Bier ist in diesem Sinne sinnlicher und szeniger geworden. Ein selber gebrautes, exklusives Bier für die Freunde, ein Bier aus dem Quartier, das trifft den Nerv der Zeit. Und es befruchtet die Brauszene.
Wieso?
Eigenproduktionen und Kleinbrauereien sind meist flexibler als grössere Brauereien. Rasch können diese neue Rezepte umsetzen und entsprechende Biere anbieten. Bei grösseren geht das logischerweise nicht so schnell. Zudem kommt auch der Anspruch, qualitativ hochstehende Biere mit entsprechender Vielfalt zu brauen. Die Kleinen haben den Markt vor allem in den letzten zehn Jahren belebt. Die Grossen der Branche reagierten ihrerseits auf die gestiegene Nachfrage. Heute haben diese entsprechend mehr Sorten im Angebot. Der Markt der Spezialitätenbiere wächst weiter.
Was ist denn vor zehn Jahren passiert?
Der Craftbeer-Trend aus den USA hat bei uns definitiv Fuss gefasst. In den USA begannen kleinere Brauereien schon vor 20 Jahren vermehrt auf Spezialitätenbiere zu setzen. Diese Bewegung schwappte nach Europa und auch in die Schweiz. Es ist in diesem Sinne eine globale Entwicklung, die zur aktuellen Schwemme von lokalen Bieren führte. Mittlerweile gelten diese lokalen Spezialitäten als urban. In Zürich gibt es Bars, in welchen man über 50 verschiedene Biersorten bekommt.
Trinken 20-Jährige anders Bier als 50-Jährige?
Zum einen fragen die 20-Jährigen vermehrt nach Spezialitätenbieren, während die ältere Generation hauptsächlich Lagerbier trinkt. Heute wird ganz allgemein weniger Alkohol getrunken.
Können Sie das belegen?
Ja, die Zahlen sind vom Bund bestätigt. Die Bevölkerung wächst ständig, der Bierkonsum bleibt indes mehr oder weniger gleich. Im abgelaufenen Braujahr 2015/16 sank der Ausstoss um 0,6 Prozent auf 4,62 Millionen Hektoliter. Noch nie wurden in der Schweiz so wenige alkoholhaltige Getränke getrunken wie heute.
Woher kommt das?
Es ist eine Mischung aus vielem. Es hat ein grosser gesellschaftlicher Wandel stattgefunden: Wir haben heute dieses ausgeprägte Gesundheitsbewusstsein, es herrscht bisweilen ein regelrechter Körperwahn, zudem leben wir in einer Leistungsgesellschaft. Dass wir dieses Interview über den Mittag führen, ist das beste Beispiel dafür. Früher hätten wir Pause gemacht, uns hingesetzt und bei einem Mittagessen vielleicht ein Bier getrunken. Dazu kommen die Smartphones, durch die wir ständig abgelenkt und erreichbar sind, sowie die sozialen Medien. Die Menschen haben heute schlicht und einfach weniger Zeit, Restaurants zu besuchen oder in Ruhe ein Feierabendbier zu geniessen.
Das muss für Ihre Branche beunruhigend sein. Was können Sie dagegen tun?
Gegen gesellschaftliche Trends kommen wir nicht an. Aber wir haben es selber in der Hand, den Ruf des Biers zu verändern, zu verbessern. Das geschieht bereits. Bier-Sommeliers sind keine Seltenheit mehr. Das wertet das Bier auf. Bier ist jahrtausendealtes Kulturgut, das es immer wieder neu zu entdecken gilt. Das realisieren immer mehr Schweizer.
Können Sie uns ein solches Bier nennen? Eines, das wir aktuell unbedingt probieren müssen?
Da gäbe es viele. Es ist die Vielfalt, die es ausmacht. Ich habe einen Bierkeller, wie andere Weinkeller. Ich trinke das Bier, das zum entsprechenden Anlass passt. An einem warmen Sommerabend ein Weizen, zum Braten eher ein dunkles Bock-Bier.