Bauern demonstrieren für einen fairen Milchpreis – doch er sinkt immer weiter.Bild: KEYSTONE
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Die Schweiz ist ein Land der Kühe. Nur wie lange noch? Bauernvertreter schlagen Alarm: Sinkende Preise und lukrative Alternativen machen die Milchproduktion unattraktiv.
18.07.2015, 10:3118.07.2015, 11:44
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Landwirtschaft in der Schweiz ist in erster Linie Milchwirtschaft. Kühe prägen das Land und seine Szenerie. Käse ist das weltweit bekannteste Schweizer Nahrungsmittel. Schon Jeremias Gotthelf wusste um die Bedeutung des «weissen Goldes». Sein Roman «Die Käserei in der Vehfreude» – 1958 erfolgreich verfilmt – handelt von einer fiktiven Emmentaler Gemeinde, die aus purer Geldgier eine Käserei baut statt eine Schule, obwohl sie diese nötiger hätte.
Heute wäre dies undenkbar. Vielmehr fragen sich immer mehr Milchbauern, ob sich das Melken der Kühe noch lohnt. Denn die Preise sind im Sinkflug. Die bäuerliche Interessengemeinschaft für Marktkampf (BIG-M), eine Vereinigung von Milchproduzenten, spricht in ihrer jüngsten Mitteilung von einem «Milchdebakel». BIG-M-Präsident Martin Haab lässt sich mit markigen Worten zitieren: «Die aktuelle Agrarpolitik in der Schweiz ist auf dem besten Weg, die gesicherte Versorgung der Menschen mit dem Grundnahrungsmittel Milch zu gefährden.»
Markus Ritter schaut besorgt in die Zukunft.Bild: KEYSTONE
Droht im Milchland Schweiz der Milchnotstand? So weit würde Markus Ritter nicht gehen. Das Marktumfeld sei «sehr anspruchsvoll», sagt der Präsident des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV) und St.Galler CVP-Nationalrat. Man habe einen rekordtiefen Milchpreis, die Bauern erhielten noch 52 Rappen pro Kilogramm. Das entspreche dem Niveau von 1970 und reiche nicht aus, um die Kosten zu decken. «Das System funktioniert nicht mehr, und das bereitet uns allergrösste Sorge.»
Wechselkurs und Marktlage in Europa
Ein Hauptproblem sei die hohe Durchlässigkeit zum EU-Markt in Verbindung mit dem Wechselkurs, sagt Ritter, der als Biobauer in Altstätten selber Milchproduktion betreibt. 2007 wurde der Käsemarkt vollständig liberalisiert, weshalb die Bauern den «Frankenschock» durch die Aufhebung des Euro-Mindestkurses durch die Nationalbank genauso spüren wie andere Exporteure. «2007 betrug der Wechselkurs 1.67 Franken, heute sind es noch knapp 1.05 Franken», rechnet der Bauernpräsident vor.
Die Konsequenzen seien massiv: «Bei einem Kurs von 1.67 Franken würden die Bauern 71 Rappen für die Milch bekommen», sagt Ritter. Also rund 20 Rappen mehr als heute. Verschärft hat sich das Problem auch durch die Marktlage in Europa: Im April hat die EU ihre Milchquoten abgeschafft. Seither können die Bauern so viel produzieren, wie sie wollen. Bereits im Vorfeld kamen die Preise deswegen unter Druck. Eine ähnliche Entwicklung gab es in der Schweiz vor der Abschaffung der Milchkontingentierung 2009, auch sie sorgte für sinkende Preise.
Ein Bauer schliesst seine Kühe an die Melkmaschine an.Bild: KEYSTONE
Die Lage in Europa schlägt voll auf den Schweizer Markt durch. Bei deutschen Discountern zahlen die Konsumenten für den Liter Milch etwa gleich viel wie Schweizer Bauern dafür erhalten. Was den Einkaufstourismus anheizt. Allerdings sind die Perspektiven nicht nur schlecht. «Bei Markenprodukten wie Appenzeller Käse, Gruyère und Tête de Moine sei der Milchpreis um einiges höher, ebenso bei Biomilch», sagt Markus Ritter. In den anderen Bereichen aber sehe es düster aus.
China-Fantasien haben sich nicht erfüllt
Dabei ist es noch nicht lange her, da herrschte im Milchmarkt so etwas wie Goldgräberstimmung. «Die Welt dürstet nach Milch», schrieb die NZZ vor acht Jahren. Eine vermeintlich hohe Nachfrage im Wirtschaftswunderland China regte die Fantasien der hiesigen Milchbauern an. Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. «China konsumiert längst nicht mehr so viel Milch aus Europa wie erwartet», stellte «Die Zeit» fest. Der russische Importstopp wegen der Ukraine-Krise sorgt zusätzlich für ein Überangebot an Milch auf dem europäischen Markt.
In dieser Situation fragen sich immer mehr Milchbauern, ob sie weitermachen sollen. Denn es gibt «extrem attraktive Alternativen», sagt Markus Ritter. Bei rotem und weissem Fleisch und auch Eiern ist die Preisentwicklung gegenläufig zu jener bei der Milch. «Bei den Schlachtkühen haben wir die höchsten Preise seit 1995», sagt CVP-Nationalrat Ritter. Das macht ein Umsteigen attraktiv. In den Medien findet man Berichte über Bauern, die ihre Milchkühe verkauft und Hühner angeschafft haben. Sowohl mit Eiern wie auch mit Pouletfleisch lässt sich mehr verdienen als mit dem «weissen Gold».
Hühnerfarm in Dürnten: Eier und Pouletfleisch sind lukrativer als Milch.Bild: KEYSTONE
Das neue Direktzahlungsregime, das mit der Agrarpolitik 2014–2017 eingeführt wurde, kommt den Milchproduzenten ebenfalls nicht entgegen. Mit ihm wurden die Tierbeiträge aufgehoben. «Wegen den Direktzahlungen muss niemand Milch produzieren», sagt der Präsident des Bauernverbands. Das hat Folgen für die Menge. Obwohl sich die Zahl der Milchproduzenten in den letzten 20 Jahren halbiert hat (von rund 45'000 auf 22'000), blieb sie im gleichen Zeitraum ungefähr auf dem gleichen Niveau. Nun aber geht sie zurück. «Es wird mit jedem Monat weniger Milch geliefert als vor einem Jahr», stellt Markus Ritter fest.
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Eine Massnahme gegen die aktuelle Misere ist denn auch die Sensibilisierung von Milchverarbeitern und Handel, dass ihr Rohstoff zur Neige gehen könnte. Die Wirtschaftskommission des Nationalrats fordert ausserdem vom Bundesrat einen Bericht über die Situation und die Herausforderungen auf dem Milchmarkt.
Bei BIG-M begnügt man sich damit nicht. Die Bauern müssten «endlich faire und verbindliche Milchkaufverträge in den Händen haben». Das aber werde kaum geschehen, da dies «den Liberalisierungsturbos und Möchtegern-Umweltschützern zuwider läuft». Die selbsternannte Basisorganisation zeichnet ein düsteres Bild: «Wenn die Ställe erst einmal leer und die Melkmaschinen abgestellt sind, ist es für eine Korrektur endgültig zu spät.»
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