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Du willst nur das Beste? Voilà:
Frau Lang, Sie leben in Berlin und nehmen
hier regelmässig an der Verlosung
eines Grundeinkommens für ein Jahr
teil. Angenommen, Sie gewinnen die
tausend Euro im Monat, was würde sich
ändern?
Harryet Lang: Zunächst wäre es für mich eine
grosse Entspannung. Ich beziehe aktuell
«Hartz 4 Aufstocker», das ist die Sozialhilfe
für Selbständige. Konkret muss ich
dafür zweimal im Jahr alles offenlegen,
was bei mir reinkommt. Also was mein
Leben kostet und wofür ich Geld ausgebe.
Da kommt man sich ganz nackt vor, es
ist ein demütigender Prozess. Doch ohne
dieses Geld könnte ich meiner Arbeit als
Modedesignerin gar nicht nachgehen.
Ein Grundeinkommen würde viel von diesem
finanziellen Beschaffungsstress wegnehmen.
Wer stellt bei der Verlosung das
Geld zur Verfügung?
Der Verein «Mein
Grundeinkommen» sammelt per Crowdfunding
das Geld. Es sind viele Privatpersonen,
die spenden, was ich grossartig
finde. Immer wenn 12'000 Euro zusammen
sind, werden sie an eine Person vergeben.
Damit macht der Verein auf die
Idee des Grundeinkommens in Deutschland
aufmerksam. Dabei muss jeder Teilnehmer
angeben, was man mit dem
Grundeinkommen anfangen würde. Ich
las bei anderen Personen, dass sie wieder
einmal Ferien mit der Familie machen
möchten oder dass sie Zeit brauchen, um
ein Buch zu schreiben.
Angenommen, Sie hätten finanziell
eine stabilere Basis, was würden Sie als
nächstes tun?
Ich würde ein Grundeinkommen
nutzen, um mein Geschäft voranzutreiben,
das seit 2010 im Aufbau ist.
Im Moment kann ich es mir beispielsweise
nur selten leisten, die Produktion meiner
Kollektion auszulagern. Hätte ich bedingungslos
1000 Euro im Monat zur
Verfügung, ich würde dies tun. Zusätzlich
würde ich eine Person anstellen, die meine
Produkte bei Boutiquen vermarktet.
Ich könnte mich dann wieder stärker auf
das Entwerfen von neuen Kollektionen
konzentrieren.
Das Grundeinkommen würde Ihnen
also erlauben zu investieren.
Genau.
Jetzt lebe ich von einem Tag zum nächsten,
muss alles selber organisieren und praktisch
alles selber machen. Das raubt mir
unglaublich viel Zeit. Das ist aber teilweise
auch meiner Haltung geschuldet, dass,
wenn ich etwas nähen lasse, ich die Arbeit
hier in Berlin vergebe – mit entsprechender
Kostenfolge. Und mittelfristig möchte
ich dann neben der fairen Produktion auch
noch Biostoffe nutzen. Dafür fehlt mir aber
im Moment einfach das Geld.
Was nennen Sie eigentlich Ihr Vermögen?
Ein Zimmer voll von Schnittmustern,
die ich über die Jahre entwickelt
habe. Es wäre aber schön, wenn ich ein
kleines, richtiges Finanzpolster anlegen
könnte. Das würde mir erlauben, relaxter
an gewisse Themen heranzugehen.
In Berlin gibt es viele Menschen, die mit
wenig Geld auskommen. Studenten,
aber auch Personen mit einem Projekt,
das Zeit braucht, aber kein Geld einbringt.
Wie organisiert man sich hier,
damit es klappt?
Wir tauschen viel mehr
Dinge und Dienstleistungen – helfen uns
gegenseitig aus. Fotografiert wer meine
Modeschau, dann biete ich ihm als Gegenleistung
ein oder zwei Stücke aus meiner
Kollektion an. Wenn ich mehr Geld hätte,
würde ich die Leute liebend gerne bezahlen,
das ist ja klar. Aber es geht vielen wie
mir, und so sind wir gewohnt, in Naturalien
oder Gegenleistungen zu denken und
zu zahlen.
Erleben Sie diesbezüglich Berlin anders
als die Schweiz?
In der Schweiz ist
diese Haltung weniger verbreitet. In Berlin
kommen die Menschen oftmals gar
nicht anders über die Runden. Ich glaube
auch, dass Leute mit wenig Geld in der
Schweiz stärker an den Rand der Gesellschaft
gedrückt werden als in Berlin. Hier kann ich auch mit sehr wenig Geld an fast
allem teilhaben. So gibt es zum Beispiel
viele kostenlose oder extrem günstige
Kulturangebote, freie Eintritte in Museen,
Festivals und vieles mehr, was eine Grossstadt
wie Berlin zu bieten hat.
Was hat diese Berliner Lebensart mit
Ihnen gemacht?
Wenig Geld macht
kreativ, und man fällt bewusstere Entscheide.
So habe ich zum Beispiel die
Schneiderschere, die ich 1996 als Abschiedsgeschenk
bei einem Praktikum erhalten
habe, heute immer noch im Einsatz.
Es braucht keine neue, ich behandle
sie einfach mit Sorgfalt und schleife sie
immer wieder nach. Ich will an dieser
Stelle aber etwas klarstellen: Zwischen
wenig Geld und zu wenig Geld gibt es
einen grossen Unterschied. Ein bescheidener
Lebensstil kann die Kreativität beflügeln.
Ein Leben unter dem Existenzminimum
führt aber zur Verzweiflung.
Inwiefern würde ein Grundeinkommen
eine Gesellschaft verändern?
Den Menschen
würde es besser gehen, und das
meine ich insbesondere psychisch. Und
die Menschen wären weniger gestresst.
Dadurch würde das, was man tut, auch
besser. Ich merke das auch bei der Mode:
Wenn ich entspannt an die Sache herangehen
kann, ist das Resultat einfach besser.
Weiter würden die Leute vermehrt
das tun, was sie wirklich gut können – und
nicht das, was am meisten Geld bringt.
Gerade in der Schweiz sitzen viele in Jobs,
die sie zwar nicht mögen, die aber gut
bezahlt sind. Das verstehe ich nicht so
richtig.
Würden Sie in die Schweiz zurückkehren,
wenn dort ein Grundeinkommen
eingeführt würde?
Eher nicht. Ich würde
den Schweizern zwar ein Grundeinkommen
gönnen, auch wenn andere Länder
dieses wohl nötiger hätten. Warum ich
aber nicht zurückkehren würde: Ich bin
in Berlin zuhause. Dieses Jahr hatte ich
nach sechzehn Jahren eine kurze Zeit
wirklich Heimweh nach der Schweiz und
fühlte mich für ein paar Monate hier in
Berlin nicht mehr so wohl. Dann bin ich
in einen neuen Kiez gezogen und hab
mich wieder in diese Stadt verliebt. Was
ich aber nicht weiss, mich jedoch noch
interessieren würde: Sieht das Grundeinkommen
in der Schweiz vor, dass es wirklich
alle erhalten? Also auch jene, die ein
grosses Vermögen haben oder extrem viel
verdienen?
Ja, das ist die Idee.
Hmm, das ist irgendwie
unfair. Zugleich: Es kann ja auch jede
Person, der es finanziell sehr gut geht, aus
irgendwelchen Gründen in Not geraten.
Und dann bekommt man heute Sozialhilfe.
Das Grundeinkommen dreht das
um, und man bekommt in jedem Fall, egal
ob es einem gutgeht oder nicht, einen definierten
Betrag. Wer es nicht braucht,
kann es zum Beispiel auf die Seite legen
für schlechtere Zeiten, oder es anlegen
oder den Betrag für einen guten Zweck
spenden. Doch, das macht schon Sinn.
Sie leben seit vielen Jahren in finanziell
prekären Verhältnissen. Haben
Sie eigentlich ein Motto, das Sie durchs
Leben trägt?
Mein Motto ist: Klar kann
ich das – ich hab’s nur noch nie gemacht.
Ich habe bereits einige Male im Leben
wirklich krasse Entscheide getroffen. Mit
13 bin ich von zuhause ausgezogen und
mit 23 nach Berlin ausgewandert, ohne zu
wissen, was mich hier erwartet. Meine
Pläne haben sich immer wieder geändert.
Zuerst wollte ich Journalistin werden.
Dann merkte ich, dass mich Modedesign
so sehr interessiert, dass ich meine ganze
Arbeitskraft darauf fokussieren möchte.
Solange ich in prekären Verhältnissen
lebe, werde ich deshalb auch an der Verlosung
zum Grundeinkommen teilnehmen.
Drücken Sie mir die Daumen.