Kaum jemand bestreitet, dass die Schweiz mehr Ärzte, vor allem mehr Hausärzte ausbilden muss. Heute sind unter den rund 4000 Ärzten, die jährlich ihre Arbeit neu aufnehmen, rund 900 Schweizer. Das sei zu wenig, findet der Bundesrat und will den Kantonen bei der Finanzierung des Medizinstudiums unter die Arme greifen. Dazu hat er letzte Woche 100 Millionen Franken versprochen. Ziel ist, die Zahl der Absolventen auf 1300 zu erhöhen. Der Bedarf ist damit zwar nicht gedeckt, dem Mangel wird aber entgegengewirkt.
Angesichts der Millionen, die in die Ausbildung investiert werden, scheint ein anderes Problem vernachlässigt zu werden: Viele teuer ausgebildete Ärzte verlassen den Beruf bereits nach wenigen Jahren wieder. Das Bundesamt für Gesundheit hat errechnet, dass rund jede fünfte Ärztin und jeder achte Arzt schon zehn Jahre nach dem Abschluss bereits nicht mehr praktizieren.
Es sei zwar gut, dass mehr Ärzte ausgebildet werden, sagt Simon Stettler, Geschäftsleiter des Verbands Schweizer Assistenz- und Oberärzte (VSAO). «Für uns ist es aber genauso wichtig, dass jene, die bereits ausgebildet sind, auch weiter ihrem Beruf nachgehen können.»
Ähnlich hält es der Verband Medical Women Switzerland (MWS): «Der Bund sollte nicht nur die Ausbildung fördern, sondern sicherstellen, dass die Berufsverweildauer steigt», sagt Geschäftsführerin Judith Naef. Sie weiss: «Da fehlen Massnahmen, es fehlt eine Strategie.»
Ein detaillierter Überblick, wie viele Ärzte sich aus welchen Gründen aus dem Berufsleben verabschieden, wird derzeit vom VSAO erarbeitet. Denn klar ist: «Wenn jemand aus familiären Gründen – oder auch freiwillig – Teilzeit arbeiten will, es aber nicht kann, dann scheidet die Person aus dem Arztberuf aus», sagt Stettler.
Konkret stellen sich Ärztinnen, die Kinder haben, zwei Probleme. Erstens fehlen Krippenplätze, die auf flexible Arbeitszeiten abgestimmt sind. Ärztinnen arbeiten in Schicht- und Nachtbetrieb und müssen Pikettdienst leisten. Bei einem Notfall können sie nicht einfach das Skalpell fallen lassen, um das Kind rechtzeitig in der Krippe abzuholen. Die Krippenbetreiber müssten viel Zusatzeffort leisten.
Naef kennt aber noch ein zweites Problem: Will sich eine Ärztin um ihre Kinder kümmern, kann sie nach wenigen Jahren nicht einfach wieder einsteigen. Naef: «Wer sich nicht weiterbildet oder praktiziert, verpasst rasch wichtige Entwicklungsschritte im Fachbereich.»
Für die Lösung beider Probleme ist die Mithilfe der Spitäler gefragt. Und da gibt es noch grosse Unterschiede, wie Simon Stettler sagt. «Gewisse Spitäler stellen bereits heute Betreuungsplätze für Kinder bereit oder unterstützen Frauen, die nach der Babypause wieder arbeiten wollen.» Zu ihnen gehört das Kantonsspital Aarau, das bereits 1988 eine Kita gründete, um den Personalmangel abzufedern.
Laut Mediensprecherin Andrea Rüegg wurde das Angebot kontinuierlich ausgebaut, weil das Spital es als Vorteil erkannte, um neue Fachkräfte anzuwerben. Auch Spitäler in Basel, Baden, Solothurn und Olten betreiben eigene Krippen. Über das Angebot einzelner Spitäler wissen die Ärzteverbände zwar Bescheid. Sie finden aber, das reiche nicht. «Die Dichte an Betreuungsplätzen mit flexiblen Arbeitszeiten muss grösser werden», fordert Naef. Allerdings stehe diesen Zielen die Spitalfinanzierung im Weg.
Das neue Gesetz verbietet den Kantonen, die Spitäler finanziell zu unterstützen. Deshalb müssten die Kinderkrippen theoretisch selbsttragend sein. Wegen längerer Öffnungszeiten und erhöhter Flexibilität ist das aber kaum möglich. Deshalb müsse die öffentliche Hand eingreifen, findet Naef. Sie ist überzeugt, dass sich mit dem wachsenden Frauenanteil unter der Ärzteschaft die genannten Probleme noch akzentuieren werden.