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Tripper auf dem Vormarsch: Schuld sind auch die Wünsche der Freier

Viele Männer bestehen bei Prostituierten auf Sex ohne Gummi.
Viele Männer bestehen bei Prostituierten auf Sex ohne Gummi.
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Tripper auf dem Vormarsch: Schuld sind auch die Wünsche der Freier

Die Ansteckung mit Tripper hat in der Schweiz zugenommen. Schuld sind die Freier: Ihre Abneigung gegen Gummis ist grösser als die Angst vor Krankheiten.
23.06.2016, 02:1026.06.2016, 16:09
Noemi Lea Landolt / nordwestschweiz
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Sie wollen Sex. Sofort. Möglichst günstig und am liebsten ohne Gummi. Freier auf dem Strich. «Das ist doch verrückt. Ich könnte krank sein. Aber sie versuchen es immer wieder», sagte eine Prostituierte in der SRF-Sendung «Rundschau». Journalisten des Politmagazins haben mit Sexarbeiterinnen auf dem Strassenstrich in Olten und in der Bordell-Szene im Kanton St.Gallen gesprochen.

Schnell wird klar: Immer mehr Männer verlangen Sex ohne Kondom und sind bereit, dafür mehr zu bezahlen. Eine unveröffentlichte Studie des Bundesamts für Gesundheit (BAG), aus der die Sendung zitiert, bestätigt die beunruhigende Entwicklung: «Aus den ersten Resultaten wird klar, dass die Mehrheit der Sexualarbeiterinnen Sex ohne Kondom haben», sagt Daniel Koch, Leiter der Abteilung übertragbare Krankheiten beim BAG.

Zwar sagen viele Prostituierte, dass ungeschützter Sex für sie nicht infrage komme. Die Realität auf dem Strich sieht jedoch anders aus: Oralsex gibt es ohne Kondom. Läuft das Geschäft schlecht, gibt es auch ungeschützten Sex. «Oft akzeptieren Sexarbeiterinnen ungeschützte Praktiken aus finanziellen Gründen», sagt Christa Ammann gegenüber der «Nordwestschweiz». Sie ist Stellenleiterin von Xenia, der Fachstelle für Sexarbeit in Bern. Wenn Prostituierte über mehrere Tage keine Kundschaft hatten und ihnen das Geld fehle, um die Fixkosten zu decken, sei es für sie schwieriger, abzulehnen.

Oft haben die Sexarbeiterinnen aber nicht einmal eine Wahl. Sie werden von den Männern hintergangen: «Ein hoher Prozentsatz von Männern bescheisst», sagt Daniel Koch vom BAG. «Die Anbieterinnen wissen gar nicht, dass es ohne Gummi passiert. Die Freier streifen das Kondom einfach kurz vor dem Eindringen wieder ab.»

Tripper auf dem Vormarsch

Keinen Gedanken scheinen die Männer in solchen Momenten an die Konsequenzen von ungeschütztem Sex zu verlieren, namentlich HIV, Chlamydien, Syphilis und Tripper. In der Schweiz ist die Ansteckung mit Tripper seit 2014 um 21 Prozent gestiegen. Im Kanton Basel-Stadt sogar um 64 Prozent. Dass die Ansteckungen zunehmend sind, liege sicher auch daran, dass mehr getestet werde, sagt Christa Ammann: «Es muss nicht mit einer effektiven Zunahme der Krankheiten zusammenhängen.»

Trotzdem sollte man sich schützen. Das gilt nicht nur für den eigentlichen Geschlechtsverkehr, sondern genauso für Oralsex: «Vielen Menschen – auch solchen, die nicht in der Sexarbeit tätig sind – fehlt das Wissen, dass sie sich auch bei Oralverkehr anstecken können», sagt Christa Ammann. Das Risiko werde unterschätzt. Zwar ist das Risiko, sich bei Oralverkehr mit HIV anzustecken, sehr gering: «Das Risiko für Ansteckungen mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten ist dafür viel grösser.»

Weil der Penis streikt

Warum aber bestehen Männer auf Sex ohne Gummi? Eine Prostituierte, die im Rheintal in einem Bordell arbeitet, sagt in der SRF-Sendung: «Bei vielen klappt das beste Stück zusammen, sobald man ein Kondom überzieht, weil sie es sich von zu Hause ohne Kondom gewohnt sind.» Die Abneigung gegen den Gummi scheint also grösser zu sein als die Angst vor Geschlechtskrankheiten.

Jetzt auf

Das sagt auch Andreas Lehner von der Aids-Hilfe Schweiz: «Viele Männer haben eine Aversion gegen das Benutzen von Kondomen.» Wenn sie auf den Strich gehen, würden sie vielfach Dinge ausleben, die sie in Pornos gesehen haben. «In Pornos ist die Frau Objekt, Sex ohne Gummi ist ein Bedürfnis», sagt Andreas Lehner.

Erst am Tag danach suchen diese Männer Hilfe in der Beratung der Aids-Hilfe: «Sie weinen dann, haben ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Frau und Angst, dass sie sich angesteckt haben», sagt Andreas Lehner.

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17 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Miicha
23.06.2016 04:07registriert März 2014
Wenn es dabei nur um die Männer ginge, wäre es ja noch das eine. Aber die Prostituierte und Frau zu Hause zu gefährden ist einfach nur das letzte. Aber mit einem anderen Körperteil außer dem Kopf zu denken bringt einen offensichtlich dazu.
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dracului
23.06.2016 07:16registriert November 2014
Das sind Auswirkungen unserer "oversexed and underfucked" Gesellschaft. Die Menschen sind auf der Suche nach Glück. Beziehungen, Familien und Jobs sind oft die Schmiede von Unglück, deren Auswirkungen sich auf sehr unterschiedliche Art zeigt. Lasst uns nicht moralisieren über die verantwortungslosen Männer und die Frauen im Gewerbe, sondern darüber nachdenken, wie wir einen natürlicheren Zugang zur Sexualität, zum Partner und im Zusammenleben erlangen können. Dort fängt der Kampf gegen die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten an und nur dort ist er zu gewinnen.
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Calvin Whatison
23.06.2016 08:40registriert Juli 2015
Sei kein Dummi, nimm ein Gummi.!!! 😂
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