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Gesellschaft & Politik

Fall Carlos: Haftbedingungen waren nicht verfassungswidrig

Der 17-jaehrige Carlos beim Kampfsporttraining in Reinach BL, Screenshot aus der Sendung ''Reporter'' vom Sonntag, 25. August 2013 des Schweizer Radio und Fernsehen SRF. Die Resozi ...
Der damals 17-jährige Carlos beim Kampfsporttraining in Reinach BLBild: SRF

Untersuchung zeigt: «Carlos» wurde «diskriminierend und erniedrigend» behandelt

03.07.2017, 14:2203.07.2017, 16:55
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Keine Matratze, kein Hofgang, nur mit einem Poncho bekleidet: Zwar wurde der als «Carlos» bekannt gewordene 21-Jährige in der Untersuchungshaft in Pfäffikon ZH teilweise «objektiv diskriminierend und erniedrigend» behandelt, nicht aber konventions- und verfassungswidrig. So lautet das Resultat der Administrativuntersuchung. Dennoch gibt es personelle Konsequenzen.

Nationalraetin und Regierungsratskandidatin Jacqueline Fehr spricht an einer Wahl-Medienkonferenz der SP des Kanton Zuerich in Zuerich am Donnerstag, 5. Februar 2015. (KEYSTONE/Walter Bieri)
Zürcher Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP).Bild: KEYSTONE

Nachdem der Anwalt von «Carlos» Vorwürfe erhoben hatte, sein Mandant sei in der Untersuchungshaft in Pfäffikon schlecht behandelt worden, untersuchte der pensionierte Staatsanwalt Ulrich Weder im Auftrag der Zürcher Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) die Haftbedingungen des 21-jährigen Schweizers.

Nun liegen die Ergebnisse von Weders Berichts vor. Dieser wurde auch der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter in der Schweiz (NKVF) zugestellt. Eine Stellungnahme steht noch aus.

«Nicht konventions- und verfassungswidrig»

Weder kommt zum Schluss, dass «Carlos» vom 6. bis 26. Januar teilweise objektiv diskriminierend und erniedrigend behandelt worden ist, wie er am Montag vor den Medien in Zürich sagte.

Allerdings zeige eine gesamtheitliche Beurteilung, dass diese Behandlung nicht konventions- und verfassungswidrig war: Gemäss Weder wurde nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und nicht gegen die Schweizer Bundesverfassung verstossen.

Einerseits fehlte den Aufsehern «eine Diskriminierungs- und Erniedrigungsabsicht». Vielmehr hofften sie, dass «Carlos» sein Verhalten ändert und so auch die Haftbedingungen geändert werden können.

Andererseits macht Weder Sicherheitsüberlegungen für die Haftbedingungen verantwortlich, daneben aber auch eine Überforderung im Umgang mit dem «querulierenden, beschimpfenden, drohenden, renitenten, aggressiven und gewalttätigen» Mann.

Keine Unterwäsche und Matratze

Diskriminierend und erniedrigend ist für Weder, dass «Carlos» nicht auf den Hofgang durfte, ab dem 14. Januar keine Matratze mehr hatte und deshalb auf dem Boden schlafen musste, nur mit einem Poncho bekleidet war, keine Unterwäsche trug, immer Fussfesseln anhatte und nie duschen durfte.

Nicht zu beanstanden sind gemäss Weder die Einzelhaft, die Einschränkung des Besuchsrechts und das Verweigern von Lese- und Schreibmaterial. «Carlos» erhielt zudem grundsätzlich das gleiche Essen wie die anderen Gefangenen – bloss, sofern möglich, zwischen Brotscheiben serviert. Denn Geschirr konnte ihm nicht gegeben werden: Er zerstörte es oder verstopfte damit das WC.

Zelle nur zweimal geöffnet

Weder gab ausserdem zu bedenken, dass das Verhalten von «Carlos» eine «derartige Intensität und Hartnäckigkeit aufwies, wie es selbst jahrzehntelang im Haftvollzug tätige Mitarbeiter noch nie erlebt hatten».

Weder sprach von Drohungen mit Gewalt, mehrfachen Todesdrohungen, Spucken aber auch Sachbeschädigungen. So hatte der 21-Jährige, der momentan in einer psychiatrischen Klinik untergebracht ist, beispielsweise WC- und Lüftungsgitter verstopft. Diese Umstände würden die Haftbedingungen zwar nicht rechtfertigen, aber doch erklären.

«Es wurden Fehler gemacht»

Regierungsrätin Jacqueline Fehr, die am 7. Februar von den Vorwürfen erfuhr, sprach im Fall «Carlos» von einer neuen Dimension von Gewalt und Renitenz. Zudem wehrte sie sich gegen das Bild von «Carlos» als Opfer. «Er ist ein Gewalttäter», sagte sie. Das sei mehrfach vor Gericht festgestellt worden.

Gutachter hätten eine schwere dissoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, die in der Ausprägung und in Kombination mit anderen Defiziten es ihm bisher unmöglich machen, sein Aggressionspotenzial unter Kontrolle zu bringen und aus den Fehlern zu lernen.

Fehr gab aber zu, dass auch von Seiten Justiz Fehler gemacht worden sind, verneinte aber strafrechtlich relevante Handlungen. Die am schwersten wiegende Missachtung ist für Fehr die während Tagen fehlende Matratze.

Sie hat deshalb Massnahmen angeordnet, die teilweise bereits umgesetzt worden sind. So brauche es Sicherheitszellen, die nicht verwüstet werden können. Fehr spricht von 1 bis 2 Zellen im ganzen Kanton – für «Extremfälle».

Eine weitere Massnahme ist personeller Natur: Der Leiter des Untersuchungsgefängnisses Pfäffikon wird ersetzt. Die Trennung erfolgte einvernehmlich, wie Fehr betonte. Der Gefängnisleiter, der damals ganz neu im Amt war, will sich neu orientieren. (sda)

Video: reuters
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100 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Mia_san_mia
03.07.2017 15:39registriert Januar 2014
Unglaublich... Folter sagt er?? Ich frage mich was Leute, die wirklich gefoltert wurden, dazu sagen 🙈 Vor allem war sein Verhalten dort wirklich total daneben. Ein Freund von mir war auch ein paar Wochen am gleichen Ort und hat erzählt, dass es unglaublich war, was der Nacht für Nacht für einen Riesenlärm gemacht hat und damit die anderen Mitinsassen genervt hat...
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Ruffy
03.07.2017 15:03registriert Januar 2015
Der arme Junge <3 Mann sollte ihm eine Entschädigung zahlen.

*Achtung, dieser Beitrag kann Spuren von Ironie enthalten*
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MacB
03.07.2017 14:48registriert Oktober 2015
soll er mal seinen Opfern erzählen.
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