Die Staatsanwaltschaft fordert höhere Strafen, die Verteidigung teilweise Freisprüche: Das Zürcher Obergericht hat sich am Dienstag mit einem Ehepaar beschäftigt, das seine Kinder systematisch – beispielsweise mit Schlägen oder eiskalten Duschen – züchtigte. Eines der Kinder starb dabei. Am Abend wurde ein Urteil gefällt. Für den Vater wurde das Strafmass erhöht.
In erster Instanz verurteilte das Bezirksgericht Zürich den Ehemann im September 2015 unter anderem zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren wegen eventualvorsätzlicher Tötung. Das war für die Staatsanwaltschaft zu wenig, und sie ging – wie auch das Ehepaar – in die Berufung.
Die Staatsanwaltschaft forderte am Dienstag vor dem Zürcher Obergericht eine Erhöhung der Freiheitsstrafe auf 14 Jahre. Das sei angesichts der Gefühllosigkeit des Beschuldigten, den egoistischen Beweggründen sowie fehlender Einsicht und Reue angemessen.
Der Mann hatte seine acht Wochen alte Tochter im Februar 2013 unter Sofakissen und Decken begraben, um sie ruhigzustellen. Dabei erlitt sie einen Kreislaufstillstand, ausgelöst durch Sauerstoffmangel und Überhitzung und verstarb.
Der Verteidiger verlangte hingegen, dass sein Mandant «von jedem Tötungsvorwurf freizusprechen ist». Er habe für Luftschlitze gesorgt. Zudem habe er die Tochter, als sie stark schwitzte, kalt abgeduscht. «Er dachte, er hätte alle Risiken beseitigt», sagte der Verteidiger. Er habe zudem das Zudecken schon mehrfach angewandt und deshalb gedacht, dass die Methode funktioniere.
Ausserdem leide sein Mandant an einer narzisstischen Störung. Er habe seine Handlung aufgrund fehlender Empathiefähigkeit nicht als Problem wahrgenommen. Die Tat wäre ohne diese Persönlichkeitsstörung nicht denkbar gewesen, zeigte sich der Verteidiger überzeugt.
Die Schuldfähigkeit seines Mandanten sei erheblich beeinträchtigt. Er forderte deshalb, dass der Angeklagte aus dem vorzeitigen Strafvollzug, in dem er sich schon über 800 Tage befindet, zu entlassen sei.
Auch die bedingte Freiheitsstrafe der Ehefrau will der Staatsanwalt erhöht sehen: Er beantragte statt 14 nun 24 Monate. «Die Strafe der Erstinstanz ist zu tief», sagte er. «Die sadistischen Beweggründe der Beschuldigten müssen zu einer deutlichen Erhöhung der Strafe führen.»
Die Verteidigerin der Frau, die in erster Instanz wegen Verletzung der Fürsorgepflicht, mehrfacher Körperverletzung durch Unterlassung sowie wegen mehrfacher Tätlichkeit verurteilt worden ist, forderte hingegen teilweise einen Freispruch. Vom Vorwurf der Verletzung der Fürsorgepflicht sei sie freizusprechen.
Ihre Mandantin sei damals überzeugt gewesen, dass die angewendeten Massnahmen die Kinder «in die richtige Richtung führen werden». Inzwischen zeige sie Reue und wisse, dass die körperliche Züchtigung nie hätte passieren dürfen. Ausserdem attestiere ihr aktueller Psychotherapeut, dass sie nicht schuldfähig sei.
Am Dienstagabend hat das Zürcher Obergericht entschieden: Es hat die Freiheitsstrafe für den Mann, der seine Kinder systematisch züchtigte, leicht erhöht. Es verurteilte ihn wegen eventualvorsätzlicher Tötung seiner zehn Wochen alten Tochter zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren. Das Bezirksgericht hatte ihn mit 9 Jahren bestraft. Das Obergericht hat noch nicht entschieden, ob auch dessen Ehefrau verurteilt werden soll. Das Gericht will zunächst ein neues psychiatrisches Gutachten einholen. Dieses soll abklären, ob die Frau überhaupt schuldfähig ist. In erster Instanz war sie vom Bezirksgericht Zürich unter anderem wegen Verletzung der Fürsorgepflicht zu einer bedingten Strafe von 14 Monaten verurteilt worden.
Das streng religiöse Ehepaar wandte harte Methoden bei der Erziehung ihrer zwei Kinder an. Eiskalte Duschen gehörten ebenso dazu wie Ohrfeigen, heftige Schläge mit Holzkellen und Teppichklopfer. In der Familie herrschte gemäss Gericht «ein Klima der Angst», da man brave und ruhige Kinder haben wollte.
Als ihr Mann in Haft war, gebar sie noch ein drittes Kind. Es lebt, wie seine Schwester, bei einer Pflegefamilie. (sda)