Okbaab Tesfamariam ist ein scheuer Mann. Tritt er vor sein Publikum, wird seine Stimme aber plötzlich laut und deutlich, seine Haltung richtet sich auf. Er ist überzeugt von seiner Aufgabe: Tesfamariam will den Flüchtlingen in Zürich die Integration vereinfachen.
Tesfamariam, 34, stammt aus Eritrea. Er kam vor acht Jahren als Flüchtling in die Schweiz. Zwei Jahre später war klar, dass er hier bleiben würde. Sein Asylgesuch fiel positiv aus. Seither hat er eine Lehre als Logistiker absolviert, eine Stelle im Zürcher Stadtarchiv angetreten und ein eigenes Integrations-Projekt auf die Beine gestellt: Tesfamariam ist der Initiant der Stadtführung «Zürich mit den Augen eines Flüchtlings», die er in Zusammenarbeit mit dem Verein «Architecture for Refugees» durchführt.
Das Konzept der Tour: Der Eritreer erzählt, wie er die Stadt sieht, welche Orte für Asylsuchende in Zürich wichtig sind und auf was für Hürden sie in Integration und Bildung stossen. Eingeladen sind alle, besonders erwünscht ist während der Stadtführung ein reger Austausch zwischen Einheimischen und Immigranten. Denn das sei bitter nötig. Tesfamariam: «Die Schweiz ist eine sehr geschlossene Gesellschaft.»
Hier die fünf Orte, die für die in Zürich wohnhaften Flüchtlinge laut Tesfamariam besonders wichtig sind.
Die Pestalozzi-Bibliothek ist öffentlich. Innerhalb der Bücherei kann jeder die vorhandenen Medien gratis konsumieren. Das sei für Flüchtlinge super, sagt Tesfamariam. «Die Bibliothek ist ein Ort, an dem viel für die Integration getan werden kann.» Hier würden Flüchtlinge mit Deutschbüchern die Sprache erlernen und mit Schweizern in Kontakt treten. Die Kinder könnten sich währenddessen Bilderbücher anschauen und sich mit Spielzeug amüsieren. Tesfamariam: «Vielen Flüchtlingen ist es aber auch unangenehm, hierher zu kommen. Sie haben das Gefühl, sie würden stören, und schämen sich.»
Ein zentrales Problem der Flüchtlinge sei das Lange warten auf ihren Asylentscheid und die damit verbundene Langeweile, so Tesfamariam. «Ist ihr Asylgesuch hängig, dürfen sie ja nicht arbeiten.» In den Asylheimen sei es oft eng und es herrsche keine angenehme Atmosphäre. Geld, um sich die Zeit zu vertreiben, hätten sie auch nicht. So kämen viele Flüchtlinge an den Zürcher Hauptbahnhof. «Der HB ist ein öffentlicher Ort mit Sitzplätzen und man ist vom Regen geschützt – der ideale Ort für Flüchtlinge, um sich mit ihren Freunden zu treffen.» Anstatt sich über die «rumlungernden» Flüchtlinge zu ärgern, plädiert Okbaab deshalb für mehr Verständnis seitens der Einheimischen.
25 Jahre nach Räumung des Platzspitz wird der Park von Flüchtlingen geschätzt. Die ehemalige Drogen-Hochburg sei beliebt, weil sich hier besonders an schönen Sommertagen die Misere des eigenen Schicksals vergessen liesse. «Es ist schön hier, es hat reichlich Platz, um zum Beispiel auch Sport zu treiben, und – es hat öffentliche Toiletten.»
Die Autonome Schule sei jedem Flüchtling, der in Zürich lebt, ein Begriff, sagt Tesfamariam. «In allen Kursen, die hier angeboten werden, sind sie willkommen.» Die Teilnahme ist kostenlos, die Leute die sich hier engagieren, tun es unentgeltlich. «Hierher kommt sowohl der libysche Doktorand wie der afghanische Handwerker.»
Im Containerdorf für Asylbewerber in Altstetten leben zurzeit rund 140 Menschen. Die Flüchtlinge, die hier leben, könnten sich glücklich schätzen: «Sie wurden nicht wie viele andere in unterirdische Zivilschutzanlagen ohne Tageslicht einquartiert.» Und dennoch sei das Leben hier nicht einfach. Das Containerdorf steht zwischen den Strichboxen der Sexarbeiterinnen und einer riesigen Mobilfunkantenne. «Das ist natürlich sehr bedauerlich, da sie so keine Nachbarn haben, um Kontakte zu knüpfen und sich zu integrieren.»
Am schwierigsten sei aber die Tatsache, dass die Leute hier auf engstem Raum zusammenleben müssen. Das könne besonders problematisch werden, wenn zwei Familien von verfeindeten Ländern nebeneinander wohnen, so Tesfamariam. Der häufigste Streitgrund im Containerdorf bleibe aber die geteilte Waschküche.