Filippo Leutenegger hat eine Mission: Nächsten März will der FDP-Mann Corine Mauch (SP) vom Thron stossen und Zürcher Stadtpräsident werden. Zumindest was die öffentliche Sichtbarkeit betrifft, hat Herausforderer Leutenegger die Amtsinhaberin bereits überflügelt. In den letzten Monaten stieg seine Medienpräsenz sprunghaft an, wie ein Blick in die Schweizerische Mediendatenbank zeigt:
Kein Wunder: Der ehemalige Chefredaktor des Schweizer Fernsehens versteht es wie kein Zweiter, in der Presse von sich reden zu machen. Was andere Politiker viel Geld kostet, bekommt Leutenegger umsonst – massenhaft Aufmerksamkeit. Ein Lehrstück in Sachen Gratis-Wahlkampf in fünf Schritten:
Schon seit geraumer Zeit sorgten Unstimmigkeiten im Zürcher Amt für Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) für Schlagzeilen – ohne nennenswerte Konsequenzen. Im Mai dieses Jahres geht es dann plötzlich Schlag auf Schlag. Nach einem Bericht der NZZ über falsche Abrechnungen gerät ERZ-Direktor Urs Pauli zunehmend unter Beschuss.
Leutenegger präsentiert sich als Aufräumer: Er stellt Pauli frei und erstattet Anzeige wegen Verdachts auf ungetreue Amtsführung. An einer kurzfristig anberaumten Medienkonferenz wartet er mit pikanten Details auf. So habe sich Pauli 2012 einen Luxus-Dienstwagen angeschafft – einen BMW im Wert von 127’000 Franken. An einer weiteren Pressekonferenz gibt Leutenegger bekannt, dass im ERZ-Gebäude ein geheimer Safe entdeckt worden sei. Inhalt: 215’000 Franken und 2200 Euro in Bar, in Couverts sortiert. Die schwarze Kasse bestehe mutmasslich bereits seit 15 Jahren, so Leutenegger.
Die Geschichte dreht weiter, die Schlagzeilen für Leutenegger sind nicht immer nur positiv. Das Image des Aufräumers hat er aber auf sicher. Als seine Stapi-Ambitionen bekannt werden, würdigt die NZZ seinen Leistungsausweis unter anderem mit den Worten:
«Die gravierenden Mängel beim städtischen Entsorgungsamt ERZ, die vor seiner Zeit als Stadtrat begannen, deckte er offensiv auf, und er lässt sie nun gründlich untersuchen.»
Zürich fährt Velo! Im Juni eröffnet Leutenegger stolz die neuen Ausleihstationen für E-Cargo-Bikes. Die Transportvelos, mit denen bis zu 100 Kilogramm schwere Lasten von A nach B gebracht werden können, passten «perfekt zu den Bedürfnissen der urbanen Gesellschaft», schwärmt Leutenegger und fährt für die versammelten Medienleute Probe. Und diese sind begeistert: «Ein bisschen Kopenhagen in Zürich» und ähnlich lauten die Titel der Artikel, stets versehen mit einem grossen Bild des radelnden Filippo.
Zwei Wochen später kann Leutenegger bekanntgeben, dass der jahrelang blockierten Einführung eines städtischen Veloverleihsystems nun nichts mehr im Wege steht. Filippo schwingt sich erneut auf den Sattel für die Fotografen. «Endlich kommt das Züri-Velo!», jubelt der «Tages-Anzeiger». Zwischen den beiden Velo-Events eröffnet Leutenegger auf dem E-Trotti das Elektro-Rennen «Wave Trophy».
Weniger erfreut ist Leutenegger, als sich der mobile Veloverleih oBike über Nacht in Zürich breit macht. Nachdem er die asiatische Firma zunächst gewähren lässt, greift er im August durch und fordert oBike auf, seine Flotte zu verkleinern. Diese pariert. Anlässlich seiner Stapi-Kandidatur schrieb die NZZ:
«In der Verkehrspolitik wagt er es, über den Tellerrand zu blicken und visionäre Ideen zu entwickeln.»
Zunächst ist es nur ein frommer Wunsch: «Jetzt muss Filippo Leutenegger ran», schreibt die «NZZ am Sonntag» Anfang Juli. Die Präsidenten der bürgerlichen Parteien hätten sich geeinigt, das Stadtpräsidium anzugreifen. Was den Wunschkandidaten betrifft, sind sie sich einig.
Dieser lädt die Medien tags darauf zu sich nach Hause ein und bestätigt zwischen Kronleuchter und Bücherregal offiziell seine Ambitionen. Die Fotografen sind begeistert, in seinem «Loft mit Blick auf einen lauschig-grünen Innenhof» («Tages-Anzeiger») ist Leutenegger maximale Aufmerksamkeit sicher.
Der Titel, mit dem die NZZ vor der Pressekonferenz ihren Artikel über Leuteneggers mutmassliche Ambitionen überschrieben hat, bewahrheitet sich:
«Das Schlachtross galoppiert wieder»
Leutenegger packt an. Im Kurzarmhemd stellt er Anfang August mit einer entschlossenen Bewegung den ersten von 20 Sonnenschirmen auf dem Sechseläutenplatz auf. «Der Platz ist ja wunderbar», scherzt Filippo vor den versammelten Journalisten, «aber bei Sonne kann man hier nicht sitzen. Eher Pizza braten.» Nicht nur die NZZ würdigt daraufhin «Filippos charmante Schattenspender».
Die Medien bleiben am Ball. Sie rapportieren, wie der Wind den Schirmen, entgegen der Zusicherung der Herstellerfirma, übel mitspielt. Als die Stadt mitteilt, dass sie die Schattenspender wieder abräumen lässt, erfahren die Leser dies per Push-Nachricht auf dem Handy. Doch Zürichs «Schattenminister» («Tages-Anzeiger») gibt noch nicht auf. Auf dem Münsterhof lässt er riesige, von einer Künstlerin entworfene Sonnensegel installieren. Auch diese halten dem Gewitter nicht wirklich stand.
Das mag peinlich sein. Doch niemand kann Leutenegger vorwerfen, tatenlos zuzusehen, wie Zürichs Bürger in der Sommersonne schwitzen. Wie sagte es die NZZ im Artikel, aus dem auch die obigen Zitate stammen, so schön?
«An Quartierversammlungen stellt sich «Filippo», wie er sich überall jovial vorstellt, regelmässig den Sorgen der Bevölkerung.»
Explosion! Ein Feuerball steigt empor – und ein behelmter Feuerwehrmann kämpft machtlos dagegen an. Nach diesem dramatischen Intro warnt Filippo Leutenegger mit ernster Miene vor einer «Kostenexplosion» in der AHV. Das Video der Rentenreform-Gegner ist seit dem Wochenende im Netz.
Offensichtlich eine Win-win-Situation: Der Schweizerische Gewerbeverband, der hinter der Kampagne steckt, profitiert von Leuteneggers Promi-Bonus – auch wenn die Vorlage dessen Tiefbau- und Entsorgungs-Departement nicht tangiert. Leutenegger seinerseits bleibt im Gespräch. Punkto Medienpräsenz hat der Stapi-Anwärter die Amtsinhaberin Corine Mauch bereits im April überholt.