Noch am Dienstag hielt SP-Stadträtin Claudia Nielsen in einem Interview mit der NZZ ihre Wiederwahl für «sehr realistisch». Einen Tag später ist alles anders: Die Vorsteherin des Gesundheitsdepartements gibt an einer eilig einberufenen Pressekonferenz bekannt, nicht mehr anzutreten. Weniger als vier Wochen vor der Stadtratswahl. Als Grund gibt die 56-jährige fragwürdig verbuchte Arzthonorare an. Sie gehe zwar davon aus, dass kein böser Wille dahinter stand, übernehme aber die Verantwortung für die reglementswidrigen Verbuchungen. «Ich werde mein Amt bis zum Ende Legislatur ausüben und mich dann neuen Lebenszielen widmen».
Die Bekräftigung ihrer Wiederwahlchancen mutet im Nachhinein wie eine verzweifelte Durchhalteparole an. Nielsen galt schon länger als Wackelkandidatin, jetzt zieht sie die Reissleine.
Was bedeutet der Rückzug von Claudia Nielsen für die Zürcher Stadtratswahlen? Drei Fragen und drei Antworten.
«Unsere 4 für den Stadtrat» steht noch am Mittwochnachmittag auf der Website der Stadtzürcher SP. Daneben ein Bild von Claudia Nielsen neben den anderen bisherigen rot-grünen Stadträten. Kurz nach der Pressekonferenz am Mittwochmittag gab die SP in einem Communiqué bekannt, sich am Donnerstagabend über die weiteren Schritte zu beraten.
SP-Co-Sekretär Marco Denoth zeigte sich gegenüber watson überrascht vom Rückzug Nielsens. «Wir waren nicht informiert über ihre Entscheidung.» Man bedauere den Rückzug der «unermüdlichen Kämpferin und Galionsfigur» der stadtzürcherischen Gesundheitspolitik. Wer anstelle von Nielsen antritt, sei zum jetzigen Zeitpunk unklar. «Wir haben viele fähige Kandidaten, aber wir wollen nicht, dass diese ihren Namen in der Zeitung lesen müssen.» Zuerst müsse sich die Geschäftsleitung am Donnerstagabend treffen, um den weiteren Fahrplan zu besprechen. Aber, räumte Denoth ein, vieles stehe noch in den Sternen.
Falls die SP keine neue Kandidatin oder keinen neuen Kandidaten nominiert, könnte sie auch einen der bestehenden Kandidierenden zur Wahl empfehlen. In Frage käme etwa Nina Hüsser von der Juso. Wer allerdings jetzt schon Nielsen auf den Wahlzettel geschrieben hat, guckt in die Röhre. Diese Stimmen sind verloren.
In einer Umfrage der Sotomo vom Dezember erlitt Nielsen eine herbe Schlappe: Die amtierende Gesundheitsvorsteherin landete mit gerade mal 27 Prozent der Stimmen hinter allen bisherigen Stadträten und hinter den Herausforderern von den Grünen, Grünliberalen und der CVP. Sogar die beiden SVP-Kandidaten Susanne Brunner und Roger Bartholdi landeten in der Umfrage vor Nielsen.
Für Mauro Tuena war Nielsens Rückzug längst überfällig. «Wir haben die Schieflage im Gesundheitsdepartement seit langem angeprangert», sagt der Präsident der Stadtzürcher SVP. Nielsens Entscheidung sei nichts als konsequent. Jetzt gehe es darum, die Unordnung in den anderen rotgrünen Departementen anzugehen.
Dass sich mit Nielsens Rückzug die Ausgangslage für die Wahl vom 4. März gross verändert, glaubt Tuena nicht. «Aus unser Sicht ändert sich nichts, wir sind nach wie vor überzeugt, dass es Zeit ist für einen Richtungswechsel. Und wir sind überzeugt, dass wir es schaffen können.» Es wäre für die SVP der erste Stadtratssitz seit 1990. Eine 28-jährige Durststrecke.
War Nielsens Entscheid total eigenmächtig zustande gekommen oder wurde mit Druckmitteln nachgeholfen? Der «Tages-Anzeiger» spekuliert auf Letzteres. Nielsen sei durch die neuen Enthüllungen zu einer schweren Belastung geworden. Nicht nur ihre Wiederwahl sei gefährdet gewesen, «der rot-grünen Stadtratsmehrheit drohte ein Kollateralschaden». Jetzt hätten die rot-grünen Kolleginnen und Kollegen die «Notbremse gezogen».
Ob sich die kurzfristige Imagepolitur bei der Wählerschaft auszahlen wird, ist unklar. Die rot-grüne Stadtratsmehrheit hatte nicht nur mit Nielsens Führung des Gesundheitsdepartements zu kämpfen. Auch Richard Wolffs Umgang in der Causa Koch-Areal kostete dem rot-grünen Lager Sympathiepunkte.
Was sie mache, falls sie nicht wiedergewählt werde, wurde die Gesundheitsvorsteherin in der NZZ gefragt. Dann gehe sie in die Ferien. Jetzt hat Claudia Nielsen gut einen Monat länger Zeit, um die Ferien zu planen.
(wst)