Herr Fluri, am Montagmorgen haben Sie die Wiedergutmachungs-Initiative lanciert. Bis im Herbst wollen Sie die 100'000 Unterschriften beisammen haben – Zeit hätten Sie 18 Monate. Warum so ehrgeizig?
Guido Fluri: Ja, wir sind ehrgeizig. Wir werden auf der Strasse viel mit den Leuten reden müssen. Es besteht ein grosser Erklärungsbedarf. Denn es ist klar: Welcher Unter-30-Jährige weiss noch, was eine administrative Versorgung ist?
Erklären Sie es uns.
Bis in die 1980er-Jahre wurden Jugendliche und junge Erwachsene in der Schweiz ohne Schuldspruch und Richterurteil weggesperrt. Die jungen Männer und Frauen wurden zur «Arbeitserziehung» in geschlossene Anstalten und Gefängnisse eingewiesen, weil sie ein angeblich «liederliches Leben» führten oder als «arbeitsscheu» eingestuft wurden. Erst in den 1980er-Jahren wurde dieses dunkle Kapitel geschlossen. Nun muss es endlich sauber aufgearbeitet werden.
Das war auch das Ziel des runden Tisches, an dem Sie mit dem Bundesrat diskutierten. Was kann die Initiative zusätzlich erreichen?
Die Gespräche waren gut, aber wir kommen nicht weiter, wenn die politische Mehrheit fehlt. Die Gräuel werden relativiert und teilweise sogar verneint. Den Betroffenen muss die Würde zurückgegeben werden. Dafür muss sich das Volk geschlossen und solidarisch hinter die Initiative stellen.
Die Initiative will eine wissenschaftliche Aufarbeitung und finanzielle Wiedergutmachung für die Betroffenen ermöglichen. Wie genau?
In der Schweiz leben rund 20'000 schwer betroffene ehemalige Verding- und Heimkinder, Opfer der sogenannten fürsorgerischen Zwangsmassnahmen. Für diese soll ein Fonds mit 500 Millionen Franken eingerichtet werden. Eine unabhängige Kommission prüft jeden Fall und verhindert so ein Giesskannenprinzip.
In Ihrem Initiativ-Komitee sitzen einige bekannte Persönlichkeiten – darunter zwölf namhafte Politiker von links bis rechts. Nur die SVP fehlt. Sind Sie enttäuscht?
Nein, enttäuscht bin ich nicht. Wir wollen nicht klagen. Wir wollen sie mit unserer Sensibilisierungskampagne auf unsere Seite bringen.
Der SVP-nahe Bauernverband wollte nichts von finanziellen Abfindungen für ehemalige Verdingkinder wissen. Das muss Sie doch stören.
Nun, der Bauernverband sollte unseres Erachtens seine Haltung überdenken. Dafür müssen wir viel Überzeugungsarbeit leisten.
Eine professionell geführte Organisation soll der Initiative zu schnellem Erfolg verhelfen. Sie bezahlen sogar Studenten, die Unterschriften sammeln.
Die Betroffenen können leider nicht mehr selber sammeln, viele von ihnen sind betagte Menschen. Je schneller die Unterschriften zusammenkommen, desto besser. Darum beginnen wir schon am nächsten Samstag. Weitere Kampagnen werden folgen.