127 Weltcuprennen, 3 Siege, 4 weitere Podestplätze. 10 WM-Rennen, keine Medaille. 2 Olympia-Rennen, keine Medaille. So lautete die magere Ausbeute von Dominique Gisin vor der grossen Befreiung von Sotschi. Endlich das erste Edelmetall bei einem Grossanlass. Bei Olympia, in der Königsdisziplin Abfahrt.
OMG! Gold!!was für ein tag...thank you all for the wonderful support, it's a dream, only better because it's the reality!
— Dominique Gisin (@dominiquegisin) 12. Februar 2014
Dass Gisin an Grossanlässen bisher ohne Glück und Medaillen geblieben ist, hat vor allem einen Grund: ihre beinahe ewig anmutende Verletzungsmisere. Neun Knieoperationen hat die 28-jährige Engelbergerin bereits hinter sich.
Immer wieder stürzt Gisin, vor allem dann, wenn es um Medaillen geht. 2010 zieht sie sich nach einem Sturz in der Olympia-Abfahrt von Vancouver eine Gehirnerschütterung zu, in der WM-Abfahrt von Schladming 2013 bricht sie sich den Mittelhandknochen.
«Irgendwann beginnt man sich schon zu fragen, ob es für die ganz grossen Erfolge noch reicht», gibt sie zu. Nach jeder Zwangspause kommen Zweifel. Doch Aufgeben kommt für die Kämpferin nie in Frage. Auch nicht, wenn kurz nach einem Comeback der nächste Rückschlag folgt. Mit einer fast selbstverständlichen Beharrlichkeit und unglaublichem Willen kämpft Gisin sich Mal für Mal zurück.
Niemand hätte es ihr übel genommen, wenn sie den Bettel einfach hingeschmissen hätte. An Alternativen fehlt es ihr nämlich nicht. Gisin besitzt seit 2011 eine Fluglizenz, nachdem sie sogar die Selektion zur Ausbildung als Kampfjet-Pilotin überstand. Sie bestand den Numerus clausus in Medizin und begann ein Physikstudium, das sie dereinst fortsetzen will. Doch das hat noch Zeit.
Die Familie leidet bei jeder Verletzung mit. Mutter Bea musste die Tochter zum Arzt, zum Physiotherapeuten oder zur Akupunktur fahren. Die Grosseltern sind für Dominique immer eine grosse Stütze. Deshalb verwundert es auch nicht, dass die frischgebackene Olympiasiegerin sie im Zielraum mit Tränen in den Augen als erstes anruft.
«Immer alles geben, immer alles riskieren», lautet ihr Motto. Zuletzt tut sie sich damit aber immer schwerer. Ihr letzter Podestplatz im Weltcup liegt schon über zwei Jahre zurück. In dieser Saison klassiert sie sich zwar zehn Mal in den Top 12, über Rang 6 kommt sie aber nie hinaus. «Ich liess lieber einen halben Meter zu viel Platz als zu wenig, oder ging eher zu früh als zu spät aus der Hocke». Die Angst vor der nächsten Verletzung ist ständig in ihrem Kopf.
Bei Olympia kann Gisin die Angst aber verdrängen. Am grössten Tag ihrer Karriere kann sie endlich wieder Vollgas geben, die Grenzen ausloten und so die entscheidenden Hundertstel im äussert knappen Rennen herausholen. Der Olympiasieg kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Der goldene «Plämpel» um ihren Hals könnte den Knoten für die letzten Jahre ihrer Karriere endgültig gelöst haben.