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Keaton Jones: Die unfassbare Geschichte – in 4 Schritten

Keaton Jones bewegt das Internet – den Überblick hat aber irgendwie niemand. 
Keaton Jones bewegt das Internet – den Überblick hat aber irgendwie niemand. bild: twitter

Mehr 2017 geht nicht: Die unfassbare Geschichte des weinenden Keatons – in 4 Schritten

Ein emotionales Video, Millionen Likes, Stars und ein abgebrochenes Crowdfunding – die Geschichte des weinenden Keaton Jones hat alles, was das Jahr 2017 ausmacht.
13.12.2017, 13:0213.12.2017, 21:06
Corsin Manser
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Keaton Jones ist ein Junge aus dem US-Bundesstaat Tennessee. 

Und das ist dann auch schon fast alles, was man in dieser Geschichte mit Garantie sagen kann. 

Der Rest ist 2017, aber sowas von. 

Aber beginnen wir von vorne.

Das Video

Am Anfang steht, wie so oft dieses Jahr, ein Video das viral geht. Darin zu sehen ist ein Junge, der unter Tränen erzählt, wie er in der Schule gemobbt wird. Seine Mitschüler hätten Schinken in seine Kleider gestopft und Milch über seinen Kopf gegossen. «Sie sagen, ich sei hässlich und hätte keine Freunde», schluchzt er. 

Veröffentlicht wird das Video von seiner Mutter Kimberly Jones, welche darin ebenfalls zu hören ist. Sie habe mit ihrem Post darauf aufmerksam machen wollen, was Mobbing auslösen könne, schreibt sie auf Facebook. Doch an der tatsächlichen Motivation der Mutter bestehen bereits Zweifel. Doch dazu später.

Die Solidarisierung

Via Twitter verbreitet sich das Video in Windeseile. Die View-Zahlen schnellen rasant die in Millionenhöhe. Medien rund um den Globus berichten über das Kind aus Tenessee; Experten geben ihre Einschätzungen zum Thema Mobbing ab.

Auch die Stars springen auf das Thema auf. Katy Perry schreibt auf Twitter: «Das hat mein Herz gebrochen. Seid nett zueinander.» Justin Bieber wendet sich in einer Videobotschaft auf Instagram an den Jungen: «Dieses Kind ist eine Legende, sein Name ist Keaton.» Snoop Dogg – oder wie auch immer er sich gerade nennt – will in Keaton «einen Freund fürs Leben» gefunden haben. 

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Viele Promis laden Keaton zu einem Treffen ein oder bieten sogar an, seinen Bodyguard zu spielen. Die Einladung von Football-Spieler Jarrett Guarantano nimmt der Junge an; zusammen lassen sie sich vor der Theke einer Fastfood-Bude ablichten. «Dieser Kerl ist sehr speziell, er hat mein Leben für immer verändert», schreibt der Sportler auf Twitter. Die Retweets steigen flugs in die Zehntausende.

Gleichzeitig wird eine Crowdfunding-Kampagne lanciert, um Geld für Keaton zu sammeln. Nach dem Motto: «Ich weiss, Geld kann nicht die Antwort auf dieses Problem sein, aber ...» Auch dieses Anliegen geht viral, in drei Tagen werden über 55'000 US-Dollar gesammelt. 

Die Rassismus-Vorwürfe

Doch dann bekommt die Geschichte plötzlich einen völlig anderen Dreh. Denn im Netz verbreitet sich die Meldung, dass Keatons Mutter fremdenfeindlich ist. Auf ihrer Facebook-Seite sind Fotos zu sehen, auf denen sie und ihre Freunde mit der Konföderierten-Flagge posieren. Sie gilt für viele als Symbol für Rassismus.

In den sozialen Medien sorgt ein weiterer Post von Keatons Mutter für einen Aufschrei: Ende August soll sie einen Eintrag geschrieben haben, die US-Amerikaner sollen sich nicht so über Sklaverei und Rassismus aufregen. Ganz klar ist es nicht, auf was sie sich in ihrem Facebook-Eintrag bezieht, doch der Post wurde zwei Wochen nach den Krawallen von Charlottesville verfasst. Eine junge Frau verlor damals ihr Leben, weil sie von einem rechtsradikalen Amokfahrer tödlich verletzt wurde.

Und plötzlich trudeln in Kimberly Jones' Mailbox nicht mehr nur Aufmunterungen herein, sondern auch wüste Beleidigungen. Sie entscheidet sich, ihren Facebook-Account auf «privat» zu stellen. Die Screenshots verbreiten sich dennoch.

Zu diesen Stunden schlägt ein weiterer Facebook-Post ein wie eine Bombe. Ein gewisser Lincoln Anthony Blades fasst die Ereignisse zusammen, wie sie in seinen Augen abgelaufen sind. Sein Fazit: Das Kind wurde nur deswegen gemobbt, weil er seine Mitschüler «Nigger» genannt habe und diese sich gewehrt hätten. Dies wurde so auf Kimberly Jones' Facebook-Seite geschrieben, bevor sie diese auf privat stellte. 

Im Nu avanciert Blades seinerseits zur kleinen Internet-Prominenz. In nur zwölf Stunden wird sein Post rund 100'000 Mal geteilt.

Die komplette Verwirrung

Doch plötzlich ist der Facebook-Post von Blades verschwunden. Er selber behauptet auf Twitter, Facebook habe ihn gelöscht.

Derweil sagt Kimberly Jones bei «Good Morning America» auf «ABC News», sie habe das Foto von Keaton und der Konföderierten-Flagge zwar gepostet, doch sie seien überhaupt keine Rassisten, das sei nur lustig gemeint gewesen. «Jeder, der uns kennt, der weiss das.» Aber ja, sie würde den Post wieder rückgängig machen. 

Doch alle wollen ihr das nicht abkaufen. Auf Twitter und Facebook beklagen sich viele darüber, dass eine rassistische Mutter nun tausende Dollar und massenweise Unterstützung erhalte – unter anderem von schwarzen Superstars. 

Dann gibt es aber auch jene, welche unter dem Hashtag #Standwithkeaton weiter Partei für den Jungen ergreifen. Er könne ja schliesslich nichts für die Gesinnung seiner Eltern. 

Die Crowdfunding-Aktion, die bereits über 55'000 US-Dollar gesammelt hatte, wurde jedenfalls gestoppt. Der Urheber der Aktion stand gar nicht mit der Mutter von Keaton in Verbindung. Und solange er sich nicht sicher sei, ob das Geld auch in die richtigen Hände fliesse, wolle er nicht weitersammeln. 

Vielleicht hat er ja von den Gerüchten gehört, dass Keatons Mutter das Ganze nur inszeniert hat, um an Geld zu kommen. 

Vielleicht aber auch nicht.

Sicher ist nur: Keaton Jones ist ein Junge aus dem US-Bundesstaat Tennessee.

Und wir haben das Jahr 2017. 

Video des Tages: Venezuela kann seine Bürger nicht mehr vorsorgen

Video: srf
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38 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Dharma Bum(s)
13.12.2017 13:36registriert Dezember 2017
Geil. Richtig 2017: Hauptsache Empörung. Egal für was oder für wen, einfach mal: Jammer, Jammer, Jammer ...

Fazit: Social Media Nutzer sind verdammte Lemminge
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raues Endoplasmatisches Retikulum
13.12.2017 13:29registriert Juli 2017
Und wir lernen, wenn es wiedermal heisst "Das Internet feiert X wegen Y" oder "X hat Y gemacht und nun gibt es einen Shitstorm" scrollen wir am besten einfach weiter. Twitter und Facebook sind Biasblasen ohne Ende und sobald der Hypetrain oder wütende Mob lossmarschiert ist es schon zuspät. Es geht nicht um den Warheitsgehalt oder "das grosse Ganze" sondern um möglichst medientaugliche Geschichten. Sehr gut ist armes Opfer, böser Täter, klares gut/böse, Dichotomie in einer immer komplexeren Welt. Genau was der Geist nach einem anstregenden Tag voller Ambivalenz braucht.
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Statler
13.12.2017 13:49registriert März 2014
Gestern «The Orville» geschaut. Ein Planet mit einer Art «Twitter»-Demokratie, in der die Mehrheit der «Likes» bestimmt, wer verurteilt wird und wer nicht.
... die Parallelen zur Tennessee-Geschichte (und vielem Ähnlichem, das z.Zt. im Netz abgeht) sind verblüffend - und beängstigend...
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