Leute, die Lage ist ernst. Der Eurovision steht vor der Tür, und es gibt nichts, womit wir das verhindern können.
Nicht, dass wir das wollten. Nein, denn der ESC ist manchmal grossartig, meistens peinlich und immer höchst unterhaltsam.
Nächsten Dienstag geht es mit dem ersten Halbfinal los, am Donnerstag mit dem zweiten und am Samstag, 12. Mai, dann, dann heisst es «Bem vindo, bienvenue and welcome to the Eurovision Song Contest 2018 in Lisbon!».
Damit du beim Zuschauen etwas klugscheissen kannst, haben wir hier eine Auswahl der 2018er-Beiträge aufgelistet und kommentiert.
Los geht’s mit der …
Also gut. Nun, dieses MMH-MMH wurde direkt von «No Diggity» von Blackstreet geklaut, die Komposition ist schmerzhaft berechnend auf Eingängigkeit geschustert und der Schlagzeuger hat einen Hipster-Bömbel. Aber das macht eigentlich nichts, denn die Gesangsperformance ist sehr stark. Was wiederum leider trotzdem egal ist, denn wie immer fehlt es der Schweiz an Sympathieallianzen in der European Broadcasting Union, weshalb ihr am Schluss schlicht zu wenige Punkte zur Verfügung stehen werden.
Ach, historisch ein ähnlich geschundener ESC-Kandidat wie die Schweiz! Doch heuer kann man Malta nicht vorwerfen, nicht das Allerbeste versucht zu haben. Okay, vielleicht ruft Ariana Grande an und will ihren Sound zurück, aber was die Dame Christabelle hier zum Besten gibt, kann sich hören lassen.
Kommen wir zu den Favoriten der englischen Wettbüros – historisch gesehen nicht der schlechteste Gradmesser. Dort werden unter anderem Italien ordentliche Chancen einberaumt. Und der Anti-Kriegs-Song von Ermal Meta und Fabrizio Moro ist … naja, … er ist wirklich gut, verdammt! Ob ESC 2018 das Jahr des sozialen Gewissens wird? Warten wir das Finale ab, denn dort erst tritt Italien als einer der Big Five (nebst Italien sind Grossbritannien, Frankreich, Deutschland und Spanien die Mitglieder mit dem grössten Anteil am EBU-Etat und deshalb für die Teilnahme an der Veranstaltung gesetzt) erst am Samstag antreten.
Schauen wir doch gleich bei den Big Five rein! Einst eines der Eurovision-Schwergewichte, scheint sich das Vereinigte Königreich seit etlichen Pleitejahren gar nicht mehr so richtig Mühe zu geben. Leider auch dieses Jahr nicht. Was schade ist, denn der Song wäre ziemlich eingängig und ordentlich leidenschaftlich – irgendwie wie der letzte britische ESC-Gewinn 1998 von Katrina and the Waves, «Love Shine a Light», nur mit House-Beat.
Frankreich, währenddessen, macht wieder einmal das, was Frankreich am besten kann: Französisch sein. Hey – keine blasse Ahnung, weshalb dieses Duo zur Zeit an zweiter Stelle bei den englischen Buchmachern steht. Nein, auch beim vierten Mal Reinhören nicht.
Deutschland? Deutschland hat einen Gschpürschmi-Lockenkopf ins Rennen geschickt, der drei Jahre zu spät den Millenial Whoop bemüht.
Und Spanien macht einen auf Liebes-Duett. Leider mit einem wenig überzeugenden Song. Und mit einem wenig überzeugenden Duo. Und auf Spanisch. Aber letztes Jahr hatte auch niemand mit der portugiesischen Ballade als Sieger gerechnet.
Einer der unsympathischsten Songs des Contests ist diese x-tausendste Inbesitznahme afroamerikanischer Kultur durch ein Weissbrot. Man kommt hier kaum dazu, über die Qualität des Songs zu sprechen, so aufsässig ist dieser musikalische Kolonialismus. Okay, dafür hat es ein Kamel im Video.
Finnland gebührt heuer die Ehre, am meisten den Gay Vote zu umgarnen. Classic Eurovision der tanzbaren Sorte. Wobei mit «classic» weniger Sandie Shaw mit «Puppet On a String» gemeint ist sondern mehr jene Schwedin mit der Ponyfranse, die vor ein paar Jahren gewann.
Bulgarien kommt mit einem dieser ebenso überambitionierten wie überproduzierten und deshalb etwas bemüht wirkenden Osteuropa-Dinger, die ausserhalb des ESCs nirgends funktionieren. Dort aber, … tja, dort will man einen Eindruck hinterlassen. Doch die Frage bleibt, wie das genau funktionieren soll, «to love beyond the bones»?
Na, toll. Norwegen hat den schlimmsten Song der Weltgeschichte geschrieben. Oder anders gesagt: Der doofe Geigenspieler ist zurück. «That’s How You Write a Song» hört sich auch so an, als hätte es dein Musiklehrer geschrieben.
Schweden ist wie immer ein Favorit. Dieses Mal mit klassischem Disco, … zu dem uns beim besten Willen kein einziger Kommentar einfällt.
Dafür hat Belgien Alanis Morissette aus der Versenkung geholt. Oder zumindest die flämische Version davon (die garantiert ebenso unironisch wie das kanadische Vorbild sein dürfte).
Estland liefert den obligatorischen ESC-Operngesangs-Song, der diesmal mit einem sehr beeindruckenden Coloratursopran auftrumpft und dem deshalb dieses Jahr der grösste Wow-Effekt gebührt. Hoch gesetzt bei den Buchmachern – vermutlich zurecht. Frau Nechayeva hat Potential.
Und der Über-Favorit 2018 ist Israel, das den hipsterigsten Mix aus Body Positivity, Hühnergackern und Fashion-Statements, das die Trenddestination Tel Aviv hergibt, ins Rennen schickt. Musikalisch gesehen ist der Song eigentlich bloss ein einziges Aneinanderreihen von akustischen Gimmicks, doch einen gewissen Charme kann man ihm nicht absprechen. Ordentlich eingängig ist er auch. Falsch liegen die englischen Buchmacher hier wohl nicht: Dieser Song ist ein Favorit. Dagegen spricht, dass Israel (ähnlich wie die Schweiz) keine traditionellen Verbündeten in der ESC-Punktevergabe vorweisen kann. Dafür spricht, dass es Israel trotzdem bereits dreimal geschafft hat. Letztes Mal mit einer Transgender-Dame. Zeitgeist ist ein flüchtiges Gut. Er mag in wenigen Monaten bereits ein anderer sein. Den derzeit aktuellen aber haben die Israelis perfekt eingefangen. Es könnte klappen.