Ratet mal, welches Restaurant in Zürich das Tripadvisor-Ranking anführt! Bestimmt so ein teurer Gourmet-Tempel, oder?
Zum Vergleich: In Bern ist es das schicke Restaurant Essort, das bei den Nutzern am besten ankommt. Von 236 Bewertungen bezeichnen 80 Prozent das Lokal als «ausgezeichnet».
Basel: Im Luxushotel Les Trois Rois, dem ältesten Hotel der Schweiz, verköstigt Spitzenkoch Peter Knogl seine Gäste im Restaurant Cheval Blanc. Ein 5-Gang-Menu kostet dort 210 Franken.
In Luzern steht das Feinschmecker-Restaurant Balances zuoberst auf der Tripadvisor-Liste:
Und welche Gourmet-Adresse führt in Zürich das Tripadvisor-Ranking an? Das Dolder, wohl? Das Equi-Table? Das Mesa?
Fehlanzeige. Ungeschlagen auf dem ersten Platz aller 1667 auf Tripadvisor registrierten Zürcher Restaurants ist – tataratäää –die Pizzeria La Fonte in Schwamendingen.
Yesss! In Schwamendingen, sozusagen dem Zürcher Pendent zum Berner Bümpliz oder dem Basler Claraplatz, befindet sich laut Tripadvisor das beste Lokal der Stadt. Stolze 637 Bewertungen hat La Fonte bereits erhalten. Davon fallen 93 Prozent entweder «ausgezeichnet» oder «sehr gut» aus. Nach einem Besuch in der Pizzeria schwärmen die Nutzer auf der Website von dem «wunderbaren Abend», dem «einzigartigen Erlebnis» und der «besten Pizza der Welt».
Haben wir da etwas verpasst? Wie kommt es, dass eine Pizzeria zuoberst in der Gunst liegt? Auf jeden Fall ist die Neugier geweckt, ein Tisch reserviert und das Date mit Oliver Baroni, dem Fresssack Feinschmecker-Spezialisten der Redaktion, klargemacht.
Wir fahren also, vorbei am Schwamendingerplatz, immer der 7er-Tramstrecke entlang, auf der Dübendorfstrasse Richtung Stettbach. Befinden wir uns hier überhaupt noch in der Stadt? Knapp einen Kilometer weiter ist die Stadtgrenze. Und dort, zwischen einer Tiefgarageneinfahrt und einem Physiotherapie-Studio, – das Restaurant La Fonte:
Giovanni Figoli, ein Mann von imposanter Gestalt mit mächtigem Bauch, gemütlichem Gang und freundlichem Gesicht weiss, wie man die Kundschaft um den Finger wickelt. Der Kalabrese sagt, er mache seit 33 Jahren Pizzen. Vorher in Regensdorf, seit zehn Jahren in Schwamendingen. «Ich kann nichts anderes, nur das. Ich weiss nicht mal wie man eine WhatsApp-Nachricht verschickt. Aber Pizza machen, darin bin ich gut.»
Inzwischen passe er nicht mehr in die Küche rein, sagt er und tätschelt sich den Bauch. Darum koche jetzt seine Frau, Rosa. Streng sei es aber nach wie vor. Seit etwa vier Jahren habe er abends jeweils eine volle Bude. «Das ist schon streng.» Beklagen wolle er sich deswegen aber nicht.
Bekannt geworden sei er durch Mund-zu-Mund-Propaganda. «Die Leute essen bei mir weil es einfach aber gut ist. Weil wir gute Produkte benutzen und nicht einfach beim Denner einkaufen», sagt Figoli. Doch welches Restaurant würde das nicht von sich behaupten? Könnte es sein, dass hinter dem guten Tripadvisor-Ranking von La Fonte gar ein Trick steht? Schliesslich ist es im Internet ohne Probleme möglich, schon für 170 Euro ein «Bewertungspaket» zu kaufen. Figoli winkt ab. Das interessiere ihn nicht und zudem habe er für so was das Geld nicht. «Ich bin ein armer Siech, ich wohne in Schwamendingen.» Die Leute kämen zu ihm weil sie wissen, was sie bei ihm bekommen. Dafür sei er dankbar. E basta.
Widerstand zwecklos: Ich war gezwungen, gleich beim Betreten des La Fonte jegliche Objektivität abzulegen, zu sehr fühlte ich mich an jene Restaurants erinnert, in denen ich mit meinem Nonno Mittag zu essen pflegte; dort, in den Dörfchen oberhalb von Verbania, fernab jeglicher Touristenpfade. Leicht überdimensionierte Ess-Hallen waren es, wo das Interieur etwas verjährt wirkte, aber noch nicht retro genug war, dass sie bereits wieder trendy wären.
Beim La Fonte ist alles freilich ein klein wenig moderner gehalten, dennoch werden bei mir ganz klar dieselben Checkpunkte abgehakt: Die Grissini (in Portionen-Plastikpackungen, nicht etwa irgendwelche Gourmet-Dinger) auf dem Tisch, die Servietten aus jenem dicken, harten Papier, ein paar TVs, auf denen im Mai garantiert ganztägig der Giro läuft, Schwarzweiss-Fotos alter Filmstars und dergleichen. Die weiteren Gäste parlieren auf Italienisch, das mit «weisch» und anderen Helvetismen dezent garniert ist. Es wirkt eben, um jenes nicht ganz unproblematische Wort zu gebrauchen, «authentisch».
Ein Blick auf die Karte bestätigt dies: Man beobachtet zwar die üblichen Konzessionen an das Einwanderungsland (etwa die Tatsache, dass Pasta als Hauptgang aufgelistet ist), stellt aber fest, dass die uritalienische Geschmacksrichtung vorgegeben ist.
Letzteres ist vor allem bei den Saison- und Tagesspezialitäten evident, wo man etwa spaghetti alla chitarra fatti in casa oder ravioloni con erbette oder – yeah! – polpette di melanzane findet, die ich alsgleich bestelle. Aber bevor wir die Bestellung aufgeben können, stellt uns Giovanni schon mal eine Bruschetta als Gruss aus der Küche hin, mit der Erklärung, seine Frau meinte, er soll etwas weniger essen und die Gäste dafür etwas mehr.
Bald folgen die polpette di melanzane, die erwartungsgemäss fein sind (dass eins innen noch ein wenig kalt war, lassen wir durchgehen) und mit Focaccia serviert werden. Und schon merke ich, dass ich ein wenig unklug ausgewählt habe, denn als Hauptspeise habe eine der Pizza-Variationen von der Saisonangebot-Tafel bestellt, die wieder Auberginen vorweist. Wurst und Champignons sind auch noch dabei und die Pizza ist sehr, sehr gut; der Boden ist neapoletanisch – ergo nicht hauchdünn, aber ordentlich kross.
Kollegin Serafini macht die bessere Wahl (eigentlich hatte ich auch mehr Lust auf etwas anderes als Pizza, doch Sara drängte mich dazu, schliesslich heisst es «Pizzeria» La Fonte, weisch). Ihre ravioloni ripieni con erbette waren so richtig, richtig superlecker. Man wähnt sich in Italien. Ansonsten bleibt noch zu erwähnen, dass der Espresso vorzüglich (und kurz) war und der Limoncello offeriert. Geil.
Kann La Fonte mit den Edel-Italienern in Downtown Zurich mithalten, mit ihren Leinen-Tischtüchern, üppigen Interieurs und ihren Etepetete-Kellnern (die by the way oftmals Spanier oder Portugiesen sind, sich aber den Käseschweizern als Italiani veri verkaufen)? Nun, wir wollen nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Was die Schwamendinger Fressbeiz vielen anderen voraus hat, ist eine urige Glaubwürdigkeit.
«La Fonte, die italienische Quelle, die aus dem Herzen entspringt», steht an dem Schaufenster vom Restaurant geschrieben. Wir finden: Das stimmt.