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Neulich haben die Kollegen von der Sport mal wieder ordentlich draufgehauen. Haben Real Madrids Mittelfeldspieler Martin Ödegaard eine »totale Verschwendung« genannt. Stöhnten über die Lethargie des jungen Norwegers, über seine Entwicklung, seine Statur, seine Technik, über alles eigentlich. Meinten, er würde den Durchbruch bei Real nie schaffen, und kamen zu dem Schluss, dass die Geschichte, die eigentlich als Fussballmärchen angelegt war, in einem »riesigen Fiasko« geendet sei.
Nun muss man solch vernichtenden Urteile in Spanien immer im Kontext sehen, schliesslich hat jede Zeitung ihren Lieblingsklub, und der heisst im Fall von »Sport« nicht unbedingt Real Madrid.
Trotzdem: Auch andernorts kann man dieser Tage lesen, dass irgendetwas bei der Programmierung dieses norwegischen Superfussballers schief gelaufen ist. Bislang lief Ödegaard, der Anfang Ende 2014 von so ziemlich jedem europäischen Topklub gejagt wurde und Anfang 2015 nach Madrid wechselte, nur ein einziges Mal für Reals erste Mannschaft auf – am letzten Spieltag der vorletzten Saison spielte er 32 Minuten. Ansonsten spielt er für die B-Elf (Real Castilla), wo es auch nicht so richtig rund läuft.
Die AS echauffierte sich mal, weil Ödegaards Verpflichtung das Nachwuchsteam »aus dem Gleichgewicht gebracht« habe. Als er nach Madrid kam, stand Castilla auf dem ersten Platz der Segunda Division B (3. Liga), die Saison schloss sie im grauen Mittelfeld ab.
Diese Woche meldete sich der niederländische Fussballtrainer und Fitnessguru Raymond Verheijen zu Wort. Er glaubt, dass der Junge bei Real übertrainiert wurde. »Es macht mich traurig zu sehen, wie die Karriere des norwegischen Top-Talents Martin Ödegaard den Bach runtergeht«, sagt er. »Die Tatsache, dass er mit acht bis zehn Einheiten pro Woche als Kind total übertrainiert war, könnte der Grund sein, warum er mit 17 nur 1,76 Meter gross ist.«
Wenn man die Fülle an Berichten verfolgt, könnte man glauben, Ödegaard würde schon zwanzig Jahre bei Real spielen und demnächst seine Karriere beenden. Aber: Martin Ödegaard ist gerade mal 17 Jahre alt. Ein Kind noch. Ödegaard dürfte nicht mal alleine Auto fahren und den letzten Rambo-Teil nur in einer gekürzten DVD-Fassung ansehen. Auf seiner Instagram-Seite postet Ödegaard Selfies, auf denen er in die Kamera blickt, als habe er gerade mit seiner Lego-Eisenbahn gespielt.
Als Jamie Vardy 17 war, kickte er noch in einer Hobbyliga. Miroslav Klose war froh, wenn er gelegentlich für die erste Mannschaft des SG Blaubach-Diedelkopf auflaufen durfte. Selbst ein Frühentwickler wie Marco Reus spielte in dem Alter noch bei Rot Weiss Ahlen – in der zweiten Mannschaft.
Bei Reus sprach niemand davon, dass seine Karriere eine Verschwendung oder ein Fiasko sei. Im Gegenteil. Man konnte lesen, dass dieser Spieler am Vorabend einer grossen Karriere steht.
Bei Martin Ödegaard ist die Sache also anders. Zum einen liegt das an der besonderen Zeitrechnung beim spanischen Rekordmeister, denn wer dort nicht innerhalb von wenigen Wochen so funktioniert, wie es die Entwickler versprochen haben, wird ratzfatz aussortiert. Andererseits ist Martin Ödegaard einer von diesen Spielern, die man »Wunderkind« nennt. Einer wie Lionel Messi. Einer, der mit seinen Füssen spricht. Seit seiner Geburt.
Bloss: Das Wunder ist bislang ausgeblieben, und wenn man den Experten mit ihren Analysen glaubt, bleibt dafür auch kaum noch Zeit. Der Junge ist doch schon 17 Jahre alt. Greisenhaft beinahe. Dass er überhaupt noch laufen kann! Von Messi-Referenzen liest man schon länger nichts mehr, und wenn die Bezeichnung Wunderkind fällt, dann nur, weil sie so aberwitzig erscheint. Wie damals bei Freddy Adu.
Tatsächlich kann man Parallelen zwischen Ödegaards und Adus Karriere finden. Auch Adu, der einst mit seiner Familie aus Ghana in die USA ausgewandert war, wurde zum kommenden Weltstar hochgejubelt, bevor er überhaupt ein Profispiel gemacht hatte. Auch Adu wirkte wie ein Spieler, der von Wissenschaftlern in einem Geheimlabor erfunden wurde und bei dem die zahlreichen Scouts Schnappatmung bekamen, wenn sie ihn beim Spielen beobachteten.
Er war einer, der den Fussball grundlegend verändern würde. Glaubte man. Und deswegen turnte er, noch nicht mal volljährig, durch die Welt der Stars und Superstars. Er drehte Werbeclips mit Pelé, unterschrieb einen Millionen-Vertrag mit Nike, er sass bei Jay Leno oder David Letterman neben Showgrössen wie Alec Baldwin oder Britney Spears. Dort erklärte er den Amerikanern, was Fussball ist, und zur Anschauung balancierte er den Ball in seinem Nacken, während er sich das T-Shirt aus- und wieder anzog. Die Vorsitzenden der Major League Soccer jubelten. Sie sagten, Adu sei grösser als Fussball: Popstar, Pionier, Revolutionär, Botschafter, alles in einem.
Ähnlich fing die Sache auch bei Ödegaard an. Als der damals 15-Jährige im Sommer 2014 in der norwegischen Nationalelf debütierte, überschlugen sich die Journalisten mit Lobeshymnen, und der Wahnsinn nahm seinen Lauf. Sein Vater erklärte später mal, dass es in dem halben Jahr vor Ödegaards Wechsel zu Real nur zwei Tage gab, an dem kein Berater bei ihm angerufen habe.
Im Dezember 2014 spielte er auch mal beim FC Bayern vor. »Er ist ein absolutes Ausnahme-Talent, das erkennt man«, sagte Karl-Heinz Rummenigge damals. »Er ist sehr weit für sein Alter.« Es sind Sätze, die sich so ähnlich in der Biografie Adus finden lassen. »Selbst ein Blinder auf einem galoppierenden Pferd erkennt sein Talent«, sagte DC-United-Trainer Ray Hudson im Frühjahr 2004. Adu spielte da noch im Reserveteam von DC.
Real bekam also den Zuschlag für Ödegaard. Carlo Ancelotti und Florentino Perez liessen den Jungen mit seinem Vater mit einem Hubschrauber nach Madrid einfliegen. Und sie versprachen dem Vater eine Stelle aus Juniorentrainer.
Vielleicht bemühten sich die Real-Granden so sehr um den Jungen, weil sie, trotz Ronaldo, auch bei Real Madrid von einem eigenen Messi-Märchen träumten: ein Junge, Linksfuss, 1,70 Meter damals, schulterlanges Haar, der aus seinem kleinen Städtchen, Drammen in Norwegen, in die grosse Welt aufbricht, um den Fussball zu revolutionieren. Vielleicht wollte Real aber einfach nur auf dicke Hose machen und den hunderten Mitbietern mal zeigen, dass der Klub jeden Spieler der Welt bekommt, wenn er die Muskeln spielen lässt. Kritiker vermuten jedenfalls, dass Ödegaards Transfer nichts weiter als ein Prestigekauf war. Eine Figur, die von A nach B bewegt wurde.
Mittlerweile steht alles still bei Ödegaard, während alles um ihn herum – die Mitspieler, die Medien, der Fussball an sich – in einem höllischen Tempo vorbeirast. Bei Real kommt er an den Superstars nicht vorbei, und es findet sich partout kein neuer Verein. Zuletzt sollen ein paar Bundesligisten an einem Transfer interessiert gewesen sein, Hoffenheim, Leipzig oder der HSV. Am Ende konnte aber niemand das üppige Jahresgehalt des Norwegers zahlen. Vor wenigen Tagen platzte ein Leihgeschäft mit dem französischen Klub Stade Rennes.
Auf seiner Instagram-Seite hat Ödegaard vor einigen Wochen ein Foto von LeBron James gepostet. Daneben der Slogan: »Always believe«. Wieder so eine Parallele zu Adu. Als der nach einer jahrelangen Odyssee vor einem Jahr beim finnischen Klub Kuopion PS landete, postete er ein Churchill-Zitat: »Erfolg ist die Fähigkeit, von einem Misserfolg zum anderen zu gehen, ohne seine Begeisterung zu verlieren.«
Dann gibt es da noch ein Mannschaftsbild von der norwegischen Nationalelf. Dazu der Satz: »Ich freue mich auf euch!«
Die Spieler stehen dort im Marienlyst-Stadion in seiner Heimatstadt Drammen. Es sieht aus, als hätte jemand die Zeit in diesem Bild angehalten. Ödegaard steht still. Seine Mitspieler stehen still. Und im Stadion wird es vergleichsweise ruhig gewesen sein. Es passen gerade mal 9000 Zuschauer hinein. Vielleicht gefällt es Odegaard deswegen ganz gut.
Einziger Schönheitsfehler des Fotos: Darauf ist die U21 Norwegens zu sehen – und für die wird er auch am Wochenende spielen. Bei der A-Nationalelf wurde er vorerst aussortiert.