«Sie können einfach nicht verteidigen», titelte die «Zeit» noch vor der Champions-League-Partie gegen Tottenham treffend. Tatsächlich ist die Abwehr von Borussia Dortmund fast schon konstant unkonstant. Obwohl der BVB offensiv riesige Qualitäten aufweist, verliert er derzeit Spiel um Spiel, weil das Defensivverhalten erschreckend schwach ist. Das wurde gegen Tottenham noch einmal sehr deutlich.
Das mit den Geburtstagsgeschenken haben die Dortmunder gestern sowieso falsch verstanden. Am Tag des 54. Geburtstages von Coach Peter Bosz, gab es die Geschenke statt für den Trainer nämlich für die Gegner. Die beiden Gegentreffer bei der 1:2-Heimniederlage gegen Tottenham wurden den Engländern quasi mit Schleife drum überlassen. Bei beiden Toren ist es allerdings kein individueller Fauxpas, sondern eine Kette von Fehlern, die zu den Gegentoren führte. Wir haben die beiden Treffer analysiert und einige Schwächen aufgedeckt.
Ein Ballverlust in der eigenen Hälfte führt zum Ausgleich durch Tottenham. Obwohl die Engländer hoch pressen, machen sie dies nicht mit der letzten Konsequenz. Die Mitte ist komplett offen und gäbe den Dortmundern genügend Platz, um einen gefährlichen Angriff zu lancieren. Spielt Andriy Yarmolenko hier den einfachen Pass auf Mario Götze oder Julian Weigl, sind bereits sechs Tottenham-Spieler vor dem Ball und dies 30 Meter vor dem Dortmunder Tor.
Ein Julian Weigl (33), der den Ball will, sieht anders aus als im Standbild oben. Der Mittelfeldspieler macht keine Anstalten, als wollte er das Leder von Yarmolenko, um einen schnellen Angriff einzuleiten.
Yarmolenko entscheidet sich statt dem Pass in die Mitte für den Haken und hat dann als Option nur noch Aussenverteidiger Jeremy Toljan. Viele Mannschaften steuern ihr Pressing bewusst auf die Aussenverteidiger. Denn während Innenverteidiger nach vorne, hinten, links oder rechts spielen können, haben die Aussenverteidiger auf einer Seite die Aussenlinie und dadurch eine Spielrichtung weniger, um einen erfolgreichen Pass zu spielen.
Tottenham macht genau das und stellt Jeremy Toljan zu. Im Moment, in dem er den Ball erhält und überlegt, was er machen soll, hat er keinen sicheren Pass, den er spielen kann.
Toljan hat drei Tottenham-Spieler um sich herum, dennoch versucht der Aussenverteidiger – was grundsätzlich lobenswert ist – die Situation spielerisch zu lösen.
Dabei hätte es in seiner Situation eine einfache, sichere Lösung gegeben: Den Ball lang, diagonal nach vorne zu schlagen. Erstens ist das Spielgerät dann aus der Gefahrenzone und selbst wenn der Ball nicht beim Mitspieler landet, können seine Teamkollegen mit offensivem Gegenpressing ihrerseits in der Hälfte von Tottenham einen Ballverlust provozieren. Auch wenn es nicht immer schön ist, lange Bälle gehören, speziell unter Druck, zum Fussball.
Danach spielt es Tottenham simpel, aber gut. Harry Kane wird vor dem Tor angespielt und sucht sofort den Abschluss. Dabei ist der 18-jährige Dan-Alex Zagadou viel zu passiv. Der Innenverteidiger hat eigentlich genug Zeit, Harry Kane am Abschluss zu hindern, statt eines Tacklings zum Ball bleibt Zagadou aber an Ort und Stelle und macht lediglich einen «Hofknicks». Harry Kane, der in seinem 38. Pflichtspiel 2017 zum 39. Mal trifft, hat dann die Qualitäten, die Lücke zwischen seinen Beinen zu finden und das 1:1 zu markieren. BVB-Torhüter Roman Bürki ist chancenlos.
Das 1:2 aus Dortmund-Sicht entsteht am Flügel. Dort hat Dele Alli eigentlich zwei Gegenspieler um sich. Eine Finte reicht allerdings, damit Mario Götze die Mitte aufmacht. Die Nummer 10 müsste viel eher Kollege Marc Bartra unterstützen und von dort Druck auf Alli machen. So lässt ihm Götze allerdings die Lücke, um sich – wenn auch glücklich – durchzuspielen.
Drei gegen sieben. Tottenham ist eigentlich deutlich in Unterzahl, weil sich Alli aber gegen Götze und Bartra durchtankt, ergibt sich dennoch eine Torchance.
Auch wenn es Dele Alli stark macht, Marc Bartra darf den Mittelfeldspieler niemals so in den Strafraum ziehen lassen. Wenn es mit fairen Mitteln nicht geht, muss hier halt das taktische Foul kommen. Das Zweikampfverhalten von Bartra ist in dieser Situation nicht Champions-League-würdig.
Im Strafraum hat Dortmund noch immer eine Überzahl. Weil Zagadou allerdings wieder Lehrgeld bezahlt und seinen «Hofknicks» macht, statt zu tacklen, muss Julian Weigl aushelfen und verliert in seinem Rücken Heung-Min Son aus den Augen.
Son hat im Umkreis von zwei Metern danach keinen Gegenspieler und versenkt das Leder perfekt im Winkel.
Das Kapitel K.-o.-Phase der Champions League ist für Dortmund nicht erst seit dem fehlerhaften Auftritt von gestern abgeschlossen, selbst um die Europa League muss der BVB aber noch zittern. Der Fokus ist allerdings sowieso auf den kommenden Samstag gerichtet. Dann trifft der BVB um 15.30 Uhr im «Revierderby» auf Schalke. Dass dies die wichtigere Partie als gegen Tottenham ist, haben die Fans mit ihrem Banner schon vor dem Spiel klargemacht.
Individuelle Fehler dürfen immer passieren. So wurden die Dortmunder Spieler nach der Partie demonstrativ von der Südtribüne gefeiert. Gegen Schalke werden Fehler aber unverzeihlich sein. Sollten sie dennoch kommen, wird es immer unwahrscheinlicher, dass Peter Bosz auch seinen nächsten Geburtstag noch als BVB-Trainer verbringt.