Auf den Tag genau ein Jahr nach Roger Federer verkündete Novak Djokovic gestern, dass er seine Saison vorzeitig abbrechen und in diesem Jahr keine Turniere mehr bestreiten werde. Der Schweizer war nach seiner siebenmonatigen Pause wie ein Phoenix aus der Asche auf die Tour zurückgekehrt und hat seither alle grossen Turniere auf schnellen Belägen gewonnen. Darunter mit dem Australian Open und Wimbledon auch seine Grand-Slam-Titel Nummer 18 und 19.
Nun will es ihm Djokovic, der seit seinem French-Open-Titel 2016 in einer Krise steckt, also gleichtun. Die Zeit bis zu seinem Comeback im Januar will der 30-jährige Serbe nutzen, um die Probleme am lädierten rechten Ellbogen zu beheben. Wie Federer vor einem Jahr war Djokovic in Wimbledon körperlich beeinträchtigt, musste seinen Viertelfinal gegen Tomas Berdych wegen einer Knochenprellung sogar aufgeben.
Die Parallelen zu Federer sind unverkennbar und doch gibt es gute Gründe, weshalb es für Djokovic schwierig wird, ein ähnliches Fabel-Comeback hinzulegen, wie Federer es getan hat.
Es war ein dummer Ausrutscher. Am Tag nach dem Halbfinal-Aus beim Australian Open 2016 gegen Djokovic wollte Federer für seine Zwillingstöchter ein Bad einlassen, machte eine simple Bewegung und hörte auf einmal einen Knacks im Knie. Der Meniskus war gerissen, eine Operation unumgänglich.
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— Roger Federer (@rogerfederer) 4. Februar 2016
Der «Maestro» kehrte bereits zwei Monate später in Miami auf die Tour zurück. Zu früh, wie sich herausstellte. Er schleppte die Probleme mit in die Sandsaison bis nach Wimbledon, wo er handicapiert dennoch den Halbfinal erreichte. Federers Probleme schienen trotz angeknacktem Selbstvertrauen vor allem körperlicher Natur zu sein. Vor seiner Verletzung stand er in Wimbledon und beim US Open im Final, scheiterte zweimal knapp am damals übermächtigen Djokovic.
Etwas anders präsentiert sich die Situation jetzt beim Serben. Djokovic begründet seine Pause zwar auch mit einer Verletzung, Die Probleme mit dem rechten Ellbogen würden ihn schon seit anderthalb Jahren beeinträchtigen. Jetzt seien sie EBEN schlimmer geworden. Doch so richtig will man ihm die Begründung nicht abnehmen.
Bis Wimbledon machte Djokovic die Ellbogenprellung nie zum Thema, er wirkte zuletzt eher mental angeschlagen als körperlich. Nach Komplettierung des Karriere-Grand-Slams in Paris fiel Djokovic in ein Loch, sprach offen von Motivations- und Eheproblemen. Im Herbst tauchte mit Pepe Imaz ein mysteriös anmutender neuer Coach erstmals an seiner Seite auf, der Liebe und Frieden predigt. Wenig später trennte er sich aus dem Nichts von seinem kompletten Staff.
Djokovic verlor sein inneres Gleichgewicht, schien seinen Seelenfrieden unabhängiger vom sportlichen Erfolg gestalten zu wollen, was komplett in die Hose ging. Ohne seinen unbändigen Siegeswillen verabschiedete er sich bei den Grand Slams mit Ausnahme des US Open 2016 (Final-Niederlage gegen Wawrinka) stets früh, in 14 Monaten holte er nur noch drei Turniersiege.
Schon im Juni nach dem Viertelfinal-Debakel gegen Dominic Thiem bei Roland Garros dachte der «Djoker» über eine Pause nach, jetzt hat er sich dazu durchgerungen. «Quality time» wolle er mit seiner hochschwangeren Frau Jelena und Söhnchen Stefan verbringen und erst mal für einige Monate keinen Schläger in die Hand nehmen. Weiter geht es mit der Suche nach dem inneren Frieden. Ob er ihn ohne Tennis endlich findet?
Keine Frage: Federers Tennis hat von der langen Pause profitiert. Der Rekord-Grand-Slam-Sieger besann sich auf seine Stärken und feilte an seinen Schwächen. Vor allem die Rückhand konnte er in der Wettkampf-freien Zeit stark verbessern. Früher stets seine Achillesferse war die einhändige Backhand plötzlich eine Waffe, dank der er die Matches aus beiden Ecken dominieren konnte.
Ausser bei der Rückhand musste der «Maestro» an seinem Spiel wenig ändern. Sein Masterplan war nach wie vor der Gleiche: Gut zu servieren, von der Grundlinie zu diktieren und wenn möglich, die Punkte kurz zu halten. Sprich, mit offensivem Tennis den Gegner spielerisch dominieren. Grundvoraussetzung dazu war, ohne jegliche körperliche Beschwerden und zu 100 Prozent fit zurückzukehren. Wie Federer in den letzten Monaten immer wieder bestätigte, brauchte es dazu zwingend eine längere Pause. Schliesslich wird auch er nicht jünger, im Gegenteil: Am 8. August feiert er seinen 36. Geburtstag.
Ein völlig anderes Tennis als Federer spielt Djokovic. Er pflegte seine Gegner während seiner dominantesten Zeit regelrecht zu zermürben. Dank seinem Hochgeschwindigkeits-Tennis, seiner Ausdauer, dem unbändigen Kampfgeist und der gnadenlosen Effizienz brachte der «Djoker» jeden Ball zurück und trieb so sämtliche Gegner zur Verzweiflung. Konstant lief die Maschine Djokovic auf Hochtouren, jetzt ist sie erstmals wieder ins Stocken geraten.
«Ich werde die kommende Periode dazu nutzen, meinen Körper zu stärken und mich um manche Bereiche in meinem Spiel zu kümmern, um die ich mich in den vergangenen Jahren nicht so kümmern konnte», erklärte Djokovic gestern. Technisch kann und muss er sich in seinem Sabbatical allerdings nicht verbessern. An seinem Schlagrepertoire gibt es wenig auszusetzen. Vielmehr muss er die «Maschine Djokovic» wieder zum Laufen bringen, den nötigen Biss für sein mit viel Aufwand behaftetes Spiel wiederfinden.
Körperlich würde eine Pause von sechs bis zwölf Wochen genügen, teilten seine Ärzte mit. Doch Djokovic bricht die Saison trotzdem gleich komplett ab. Einerseits weil er weiss, dass er mit dem US Open den letzten grossen Saisonhöhepunkt ohnehin verpasst hätte, andererseits, weil ihm die längere Pause gut tun wird, um im Kopf wieder klar zu werden.
Ohne Federers Erfolge in diesem Jahr schmälern zu wollen: Bei seinem Fabel-Comeback durfte der «Maestro» auch auf eine gehörige Portion Glück zählen. Alles lief für ihn. Beim Australian Open erwischte er an Nummer 17 gesetzt eine harte Auslosung, mogelte sich in den ersten Runden dann auch mehr schlecht als recht durch.
Gegen Kei Nishikori hätte er im Achtelfinal durchaus auch verlieren können, im Viertelfinal traf er dann nicht auf die Weltnummer 1 Andy Murray, sondern auf dessen überraschenden Bezwinger Mischa Zverev. Im Halbfinal gegen Stan Wawrinka und im Final gegen Rafael Nadal brauchte er dann je fünf Sätze.
Was wenn Federer eines dieser Spiele verloren hätte? Wenn er nicht mit jedem Sieg neues Selbstvertrauen hätte tanken können? Wenn er sich im Ranking nicht schnell nach oben hätte arbeiten können? Wäre er trotzdem von Titel zu Titel geeilt? Fragen über Fragen, zu denen es natürlich keine Antwort gibt.
«Bei mir hat es funktioniert. Das bedeutet aber nicht, dass es auch bei allen anderen funktionieren wird», sagte Federer schon vor Djokovics Ankündigung seiner Auszeit. Wie Federer zu Beginn des Jahres wird auch der Serbe bis im Januar aus den Top 10 gefallen sein und wird deshalb bei seinen ersten Turnieren früh harte Brocken serviert bekommen. Jeder Sieg wird ihm den Einstieg erleichtern, doch eine Garantie dafür hat selbst Djokovic nicht.
Die ehemalige Weltnummer 1 plant deshalb langfristig. «Ich möchte in meiner Pause ein Fundament bauen für die nächsten fünf Jahre oder so», kündigte Djokovic an. «Ich will definitiv noch lange spielen.» Klingt wieder ganz nach Roger Federer.