Es war der Schockmoment des 4. Bundesliga-Spieltags: Im Spiel zwischen dem VfB Stuttgart und dem VfL Wolfsburg läuft die 84. Minute. Wolfsburg-Keeper Koen Casteels pflückt eine hohe Flanke in den Strafraum runter, springt dabei Stuttgarts Captain Christian Gentner mit dem Knie voraus ins Gesicht.
Gentner bleibt mit blutüberströmtem Gesicht minutenlang liegen. Das rechte Auge schwoll sofort zu, die Nase war verschoben. Ausserdem hatte der fünffache deutsche Nationalspieler seine Zunge verschluckt. Doch die schnell anwesenden Ärzte reagierten sofort und holten dem bewusstlosen Gentner die Zunge wieder aus dem Hals. «Das waren dramatische Momente, wir hatten Riesenangst, dass was passiert ist, was bleibende Schäden hinterlassen könnte», schilderte VfB-Trainer Hannes Wolf die Szene nach dem Spiel.
Stuttgart captain Christian Gentner hospitalized with "severe concussion" after this collision with Wolfsburg GK Casteels during #VfBWOB 😱 pic.twitter.com/HCWoOxX1Na
— DW Sports (@dw_sports) 16. September 2017
Am Abend folgte die Diagnose: Gentner hat sich beim Zusammenprall mit dem Benaglio-Nachfolger den unteren und seitlichen Augenhöhlenboden, das Nasenbein sowie den Oberkiefer gebrochen. Er wird in den nächsten Tagen operiert und dem VfB mehrere Wochen fehlen. Am Montag gab er selbst auf Instagram Entwarnung: «Zuallererst mal die wichtigste Info für viele, die sich Sorgen gemacht haben: Es geht mir sehr gut. Ich habe den einen oder anderen Bruch im Gesicht, aber nichts, was nicht wieder zu korrigieren wäre.»
Auch auf diesem Wege noch einmal gute Besserung, Christian! Drücke Dir die Daumen 👍🏼 #comebacksoon
— Koen Casteels (@koencasteels) 17. September 2017
Bereits unmittelbar nach Spielschluss gingen die Diskussionen los. Die zentrale Frage: Darf ein Torhüter so in einen Luft-Zweikampf gehen? Mit vollem Risiko und angezogenem Knie? Muss sich Gentner selber schützen? Oder ist es ohnehin ein Foul, wenn der Torhüter den Gegner mit dem Knie trifft?
Schiedsrichter Guido Winkmann bewertete die Szene während des Spiels als «unglücklichen Zusammenprall» und pfiff kein Foul. Auch Video-Schiedsrichter Deniz Aytekin griff nicht ein. DFB-Schiedsrichtermanager Hellmut Krug verteidigte seine Kollegen. Er taxierte die Entscheidung von Winkmann und Aytekin als «regeltechnisch grenzwertig, aber vertretbar».
Koen Casteels kommentierte seine Aktion nach dem Spiel so:
Anders sah es Ex-Schiedsrichter und Sky-Experte Markus Merk. «Das ist auf jeden Fall ein Foul. Und es es auf keinen Fall vertretbar» Casteels habe «sein Knie als Waffe benutzt» und hätte mindestens Gelb, wenn nicht Rot sehen müssen. So sah es auch Ex-Kollege Bernd Heynemann in der Talk-Sendung «Doppelpass».
Uneinigkeit herrschte im VfB-Trainerteam. Während Stuttgarts Torhütertrainer Marco Langner Casteels Aktion als «schulbuchmässig» taxierte, war es für Cheftrainer Wolf ein «klares Foul».
Und wo liegt nun die Wahrheit? Schwierig, hier eine den Regeln entsprechende, eindeutige Beurteilung abzugeben. Deshalb liegt die Wahrheit wohl im Auge des Betrachters.
VfB-Sportvorstand Michael Reschke glaubt, dass der Vorfall dennoch etwas Gutes mit sich bringt und zu einem Umdenken führen könnte: «Diese Situation wird nachhaltig sein. Ich glaube, dass Casteels im nächsten Spiel nicht noch einmal so eine Aktion haben wird und dass auch viele andere Bundesliga-Torhüter sich überlegen werden, wie sie in Zukunft rauslaufen, zumindest nicht in dieser letzten Aggressivität.»