Diego Pablo Simeones nach hinten gekämmtes Haar muss mit reichlich Gel bedeckt sein, anders kann man die perfekte Frisur beim äusserst aktiv agierenden Trainer nicht erklären. An der Seitenlinie macht der aktuelle Trainer von Atlético Madrid den Anschein, als würde er jeden Moment selbst ins Geschehen eingreifen. Akribisch und mit grossem Engagement lebt der Argentinier das Spiel seines Vereins vor und übermittelt der Mannschaft seine Taktik, welche von den Spielern derzeit beinahe in Perfektion umgesetzt wird.
Die Marschrichtung ist klar: Kein Tiki-Taka à la Barcelona und kein Tempofussball à la Real Madrid. Wie schon als Spieler soll bei Simeone der Erfolg über den Kampf erfolgen. Atlético Madrid bietet derzeit den intensivsten Fussball der spanischen Liga und lässt dabei sogar die Dominatoren der letzten Jahre verzweifeln. Barcelona gelang gegen den Verein aus dem Süden Madrids nur ein Tor in drei Spielen. Und auch in der Champions League hat der «intensive, aber nicht brutale Kampf», wie Simeone sein Spiel nennt, den Glanz des grossen Barcelonas erblassen lassen.
Der vor gar nicht so langer Zeit noch selber aktive Simeone hat am Erfolg Atléticos grossen Anteil. 2011 übernahm der heute 34-Jährige als Notlösung das Amt als Trainer. In einer Zeit, als die «Rot-Weissen» sportlich kurz vor dem Abgrund standen. Doch nach Amtsantritt gewann man unter Simeone 2012 die Europa League und daraufhin den europäischen Super Cup. Neben einem fünften und einem dritten Rang in der Liga, folgte im letzten Jahr der Triumph im spanischen Pokal gegen Real Madrid. Spätestens seit dann ist klar, dass Simeone den Spielern den nötigen Kampfwillen vermittelt hatte, der seinen Spielern fehlte, um ganz vorne mitzuhalten.
Simeone hat in knapp zweieinhalb Jahren aus der Mannschaft ein Ebenbild von sich selbst geformt. Als Mittelfeld-Stratege führte er Atlético 1996 zum bisher letzten Meistertitel. 18 Jahre später hat Simeone jetzt die Möglichkeit, dies als Trainer zu wiederholen. Und zwar in der Manier des Spielers Simeone. Selten gab es ein Team, das den Charakter des Trainers mit solchem Stolz auf dem Platz repräsentierte wie Atlético Madrid.
«El cholo», wie Simeone auch genannt wird, war kein einfacher Gegner. Er spielte aggressiv, kompromisslos und wie Atlético heute an der Grenze des Erlaubten. Man betitelte ihn als Zerstörer und Provokateur. Ein defensives Bollwerk. Ein Wadenbeisser, wie es der Volksmund sagen würde. Nicht zuletzt wegen dem WM-Achtelfinal 1998: Damals provozierte der 106-fache argentinische Nationalspieler David Beckham derart, dass sich Englands Jungstar zu einer Tätlichkeit hinreissen liess. Rote Karte und das WM-Out waren die Folgen für Beckham und seine «Three Lions».
Atlético Madrid hat sich von Simeones Kampfgeist eine Scheibe abgeschnitten und in sein Spiel eingefügt. Trotz des zweitbesten Skorers der Liga, Diego Costa, basiert der Höhenflug auf der soliden Defensive. Mit 22 Gegentreffern führt Madrid diese Statistik an, was unter anderem auf den dritten Diego im Bunde, den Innenverteidiger Diego Godín zurückzuführen ist.
Nun steht Atlético Madrid vor einem Kapitel, das sich vor drei Jahren der kühnste Optimist im südmadrilenischen Lager nicht vorstellen konnte. Nach dem Sieg am vergangenen Wochenende führt «Atléti», wie die Fans ihren Verein bezeichnen, in der spanischen Liga drei Punkte vor Stadtrivale Real Madrid. «Die letzten fünf Runden sind fünf Finalspiele nacheinander», sagte Simeone gemäss FourFourTwo. Und auch in der Champions League bietet sich Atlético gegen Chelsea die Chance, zum ersten Mal in seiner Geschichte in den Final einzuziehen.