Ralf Meile zeichnete die Erinnerungen des Stanley Cups auf und überprüfte, so gut es ging, die Echtheit der Anekdoten.
Frederik Arthur Stanley war ein guter Mann. Dem Lord habe ich es zu verdanken, dass ich zur begehrtesten Trophäe der Eishockey-Welt wurde. Denn hätte er mich 1892 nicht einem Londoner Silberschmied abgekauft und zum Pokal deklariert, wäre ich wohl in England geblieben und dort als dekorative Blumenschale verwendet worden. Meine Geschwister waren neidisch, als ich ihnen von meinem neuen Verwendungszweck erzählte.
Von Zeit zu Zeit bedaure ich allerdings mein an und für sich schönes Leben. Ich werde zwar gerne von verschwitzten, bärtigen Männern geküsst, geknuddelt und geherzt. Doch manchmal haben sie sich einfach nicht im Griff.
1905 zum Beispiel – da war ich ja noch ein Kind! – jagten mir die Ottawa Silver Seven einen tüchtigen Schrecken ein. Nach ihrem Triumph kam ein Spieler auf die glorreiche Idee, mich wie einen Fussball in den Rideau-Kanal zu kicken. Der war zum Glück gefroren und so wurde ich am nächsten Tag gerettet.
Dass ich als tierlieb gelte, nutzte Eddie Olczyk schamlos aus. Er gewann 1994 mit den New York Rangers den Titel und an dem einen Tag, den jeder Meisterspieler mit mir zu Gute hat, nahm er mich auf die Pferderennbahn mit. Dass er dort allerdings «Go For Gin», den Sieger des Kentucky Derbys, aus mir fressen liess, das nahm ich Ed übel.
Ich habe mich danach mit den Verantwortlichen der Liga unterhalten und sie haben verstanden, dass ich nicht alles mit mir machen lasse. Seither werde ich stets von einem Pokal-Wächter der NHL begleitet. Er trägt saubere weisse Handschuhe, wie ein Glacé-Verkäufer.
Mit den New York Rangers stehe ich übrigens sowieso etwas auf Kriegsfuss, das ist kein Geheimnis. Von ungefähr kommt das jedoch nicht! Aber ich kann mich noch sehr gut an 1940 erinnern. Sie hatten mich gewonnen und gleichzeitig den Madison Square Garden abbezahlt. Also hielten sie es für eine gute Idee, den Pfandbrief in meiner Schüssel zu verbrennen. Das machte mich sauer und dass die Spieler dann das Feuer mit ihrem Urin löschten noch viel mehr. Ich liess meine Kontakte spielen und sorgte dafür, dass bis zum nächsten Titelgewinn mehr als ein halbes Jahrhundert verging.
Leider war es nicht mein einziger Kontakt mit menschlichen Ausscheidungen. Schon öfter setzten Spieler ihre kleinen Kinder in mich, um Fotos zu schiessen. Dabei geht vor lauter Aufregung mal ein Tropfen durch die Hosen, das kann ich ja verstehen. Den Vogel schoss allerdings der Sprössling von Kris Draper ab. Denn der hinterliess sogar etwas Handfestes!
Da gefiel es mir schon besser, was Doug Weight für seine Kinder arrangiert hatte. Er füllte mich mit Glacé und verwandelte mich in einen riesigen Coupe. Natürlich habe ich auch davon gegessen; das war ja soviel, das fiel gar niemandem auf.
Weniger familientauglich war, was Mark Messier mit mir gemacht hat. Hahaha, der gute Mark. Der wusste, wie man eine Party feiert! Nahm mich mit in einen Strip-Club und spendierte mir einen Lap-Dance. Ich muss ihn wieder mal anrufen!
Habe ich dir schon einmal davon erzählt, wie ich einfach stehen gelassen wurde? Die Montreal Canadiens hatten 1924 eine Reifenpanne. Also nahmen sie mich aus dem Kofferraum, um an das Reserverad zu gelangen. Als sie die Panne behoben hatten, vergassen sie mich am Strassenrand. Wahnsinn, oder?
Apropos Montreal, Maurice Richard kennst du sicher. «The Rocket» durfte acht Mal mit mir jubeln, nach dem dritten oder vierten Mal bot ich ihm das Du an. Wir kannten uns also gut, deshalb tat es mir doppelt leid, als ich ihm zwei Zähne ausschlug. Maurice trank gerade aus mir, als ich irgendwie mein Gleichgewicht verlor und nach vorn fiel. Zum Glück lachte er bloss und sagte: «Hey Mann, du denkst ja nicht etwa, dass ich zum ersten Mal Zähne verloren habe.»
Oft nehmen mich Spieler mit ins Bett. Naja, ich bin kein Flittchen, passiert ist da noch nie etwas. Auch nicht unter der Dusche, wohin mich Steve Yzerman mitnahm. Er genoss es aber sehr, dass ich ihm den Rücken eingeseift habe.
Weit öfter als dass ich austeilte, musste ich einstecken. Zum Beispiel, als Guy Carbonneau die glorreiche Idee hatte, mich vom Balkon in den Swimming Pool zu werfen – und ihn verfehlte. Mann, hatte ich eine riesige Beule!
In der Villa von Mario Lemieux landete ich dann im Pool, Phil Bourque hatte mich unter den Arm genommen und war mit mir ins Wasser gesprungen. Rasch sank ich auf den Grund und ich brach mir einen Zeh. Und diese Stümper fixierten es bloss mit Klebband!
Auch mit einem anderen Element hatte ich schon zu kämpfen. Frag' mich nicht, was die Toronto Maple Leafs schon alles getrunken hatten, als sie mich 1962 in ein Feuer warfen. Sie behaupteten danach, mich mit Brennholz verwechselt zu haben. Mich! Den Stanley Cup! Zum Glück holten sie mich rasch genug aus den Flammen, ehe ich geschmolzen war.
Gerade kommt mir nochmals etwas mit Kindern in den Sinn. Ich wurde auch schon zwei Mal als Taufbecken verwendet. Mit der Kirche hab ich's zwar nicht so, aber das war trotzdem sehr schön. Sylvain Lefebvre, der als erster die Idee dazu hatte, spielte doch später noch bei euch in der Schweiz, oder?
Ich habe schlechte Erinnerungen an euer Land. Die Landschaft ist hässlich, die Menschen unfreundlich und was man da als Essen bezeichnet … Nein, hahaha, ich will dich nur aufziehen! Die Schweiz hat mir wunderbar gefallen. David Aebischer und Martin Gerber waren sehr nett zu mir und die Landschaft herrlich. Super, dass ich schon bald zurückkehren kann, denn einer von euch gewinnt in diesem Jahr in jedem Fall den Stanley Cup, weil in beiden Teams zumindest ein Spieler aus der Schweiz dabei ist.
Überhaupt ist es das schönste an meinem Leben, dass ich trotz meines hohen Alters noch so viel herum komme und die Welt sehe. Dan Paille nahm mich mit an die Niagarafälle, das war ein richtig tolles Erlebnis. Ich habe wirklich den besten Job der Welt!