Ein Platz war in den WM-Viertelfinals vor dem letzten Spiel der Gruppe A noch zu vergeben. Deutschland und Lettland wiesen vor dem Direktduell gleich viele Zähler aus. Es kam also zur «Belle». Wer siegt, ist weiter. Friss oder stirb. Ein Spiel, das alles entscheidet. Da kann alles passieren. Und es passierte «alles».
Deutschland erwischte vor 18'797 Zuschauern in Köln den besseren Start. Die Tore fielen aber erst im zweiten Drittel. David Wolf und Dennis Seidenberg trafen innert 27 Sekunden zum 2:0 (32.). Lettland jedoch wehrte sich, glich aus und ging 3:52 Minuten vor Schluss 3:2 in Führung.
Der Treffer läutete die dramatische Schlussphase ein. Deutschland drückte auf den Ausgleich, Lettlands Arturs Kulda musste 126 Sekunden vor Schluss wegen Spielverzögerung auf die Strafbank, Keeper Philipp Grubauer machte 78 Sekunden vor dem Ende einem sechsten Feldspieler Platz.
Lettland wehrte sich nach Kräften, Torhüter Elvis Merzlikins überzeugte erneut. Doch 33 Sekunden vor Schluss war auch der Lugano-Keeper geschlagen. In einem heillosen Durcheinander drückte Felix Schütz schliesslich den Puck zum 3:3 über die Linie. Lettland-Trainer Bob Hartley konstatierte mit eisiger Miene: Verlängerung.
In der Overtime war Lettland besser, ein Treffer fiel aber nicht. Genauso wenig wie nach den ersten fünf von sechs Penaltyschützen.
Dann kam Frederik Tiffels. Und traf. Die Halle flippt aus. Deutschland schafft auch bei der achten Heim-WM die Viertelfinalqualifikation. Dramatischer hätte es nicht sein können.
Ausgerechnet Tiffels. Der 21-jährige Kölner ist als Einziger (noch) nicht Profi. Er spielt an der Western Michigan University, wo er Wirtschaftsökonomie studiert. Parallel dazu ist der Flügel im NCAA-Team engagiert. Dort heisst sein Trainer Andy Murray. Dieser führte Kanada dreimal zu WM-Gold und tauscht sich regelmässig mit Deutschland-Trainer Marco Sturm aus.
Sturm, der in Miami lebt, sagt: «Frederiks Entwicklung habe ich in den vergangenen beiden Spielzeiten genauer verfolgt, und er hat sich seine Chance verdient.» Erst im April wurde der Amateur zum Nationalspieler. Selbst seinen Teamkollegen war er da noch völlig unbekannt, wie Felix Schütz vor der WM zugab: «Er ist ein richtig guter Skater, aber, ehrlich gesagt, kannte ich ihn bis vor kurzem gar nicht.» Jetzt ist Freddie der ganzen Nation bekannt.
Doch Tiffels schaffte es mit seiner forschen und mutigen Art in das 25-Mann-Kader. An der WM kam er regelmässig zum Einsatz und traf zweimal. Er ist der Shootingstar des DEB-Teams. Dass er aber zum entscheidenden Penalty antrat, hätte Co-Trainer Geoff Ward fast verhindert. Ward riet Bundestrainer Sturm von der Nomination ab. Aber dieser meinte nach der Partie: «Ich hatte einfach das Gefühl, dass die drei ‹Spezln›, die immer zusammen sind, die Richtigen waren.» Die «Spezln», das sind neben Tiffels die ebenfalls 21-jährigen Dominik Kahun und NHL-Star Leon Draisaitl.
Tiffels konnte sein Glück nach der Partie kaum fassen: «Das war schon wunderschön. Ein geiler Moment für mich, aber auch für das ganze Team.» Einen Vertrag hat er für die neue Saison nicht. Die Transferrechte liegen bei den Pittsburgh Penguins. Die WM dient Tiffels als Schaufenster, um seinen Traum vom Profivertrag zu erfüllen.
Zuerst steht jetzt am Donnerstag aber der Viertelfinal gegen Turnierfavorit Kanada an (20.15 Uhr). Tiffels sagt: «In einem Spiel kann alles passieren.»