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Der fiese Feind im Kopf: Die tragische Geschichte von Olten-Stürmer Ryan Vesce

Ryan Vesce
Vesce in Olten: Wann er dort wieder Eishockey spielen kann, ist unklar.Bild: bruno kissling/Schweiz am Wochenende

Der fiese Feind im Kopf: Die tragische Geschichte von Olten-Stürmer Ryan Vesce

Mitte Oktober wurde EHC-Olten-Ausländer Ryan Vesce von einem gegnerischen Check am Kopf getroffen und erlitt eine Gehirnerschütterung. Von dieser hat sich der Amerikaner bis heute nicht erholt. Nun bangt er sogar um die Fortsetzung seiner Karriere.
16.12.2017, 16:0916.12.2017, 17:10
Marcel Kuchta
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17. Oktober 2017: Es läuft die 36. Spielminute des Swiss-League-Meisterschaftsspiels zwischen dem EHC Olten und der EVZ Academy. Oltens Ryan Vesce führt den Puck, so wie er es schon Tausende Male während seiner langen Karriere als Eishockeyprofi getan hat. Er fährt mit hohem Tempo ins Angriffsdrittel. Lässt mit einer Körpertäuschung einen Gegenspieler aussteigen. Sucht einen besser postierten Teamkollegen, dem er die Scheibe zuspielen kann.

Dann passiert es: Plötzlich taucht von der Seite Cyril Oehen auf. Zugs Verteidiger will Vesce mit einem Check bremsen, trifft aber statt des Körpers den Kopf des Amerikaners. Vesce geht zu Boden, steht wieder auf und verlässt das Eis aus eigener Kraft, aber auf wackligen Beinen und sichtbar angeknockt.

Der verhängnisvolle Check gegen Oltens Topskorer Vesce.Video: streamable

Ryan Vesce weiss sofort, was passiert ist. Das Gefühl, als ob die Zeit stehen bleibt. Das Gefühl, dass die Umgebung wie in einer Wolke verschwindet. Das Gefühl, dass man sich selber in einer Art Taucherglocke befindet. Er hatte vorher schon zweimal erlebt, wie sich eine Gehirnerschütterung anfühlt. Nach dem Spiel kommt die erste Diagnose des Teamarztes: Es dürfte sich «nur» um eine leichte Variante handeln. Ein Verdikt, welches die nachfolgende Untersuchung bestätigt. Beim EHC Olten geht man davon aus, dass der Stürmer eine bis zwei Wochen ausfällt. «Glück gehabt», denken die Beteiligten angesichts dieser den Umständen entsprechend recht günstigen Prognose.

«Symptome noch genau gleich schlimm wie am ersten Tag»

16. Dezember 2017: Ryan Vesce ist seit jenem Zusammenstoss im Oktober nie mehr für den EHC Olten im Einsatz gestanden. Aus zwei Wochen sind mittlerweile zwei Monate geworden. Momentan weiss niemand, wohin die Reise gehen wird. Nur etwas steht fest: Vesce wird morgen ein Flugzeug in Richtung USA besteigen. Er lässt sich in einer Spezialklinik in Arizona behandeln. Die auf dem Papier «leichte» Gehirnerschütterung hat sich inzwischen als wesentlich komplizierter herausgestellt. Das Hauptproblem: Der Patient leidet an einer Verarbeitungsstörung im Gleichgewichtsorgan. Der Fall Vesce zeigt exemplarisch und eindrücklich, wie heimtückisch und unberechenbar diese Art von Verletzung ist, welche in den vergangenen Jahren im Eishockey rasant zugenommen hat.

Zwei Tage bevor er sich für gut zwei Wochen in seine Heimat verabschiedet, sitzt Ryan Vesce in einem Café in der Oltner Altstadt und erzählt von den schwierigen Momenten, die er seit jenem schicksalsträchtigen Tag im Oktober erleben musste. Vesce, von seinem Naturell her ein fröhlicher, offener Mensch, spricht leise. Die müden Gesichtszüge verraten, dass es ihm nicht gut geht. «Die Symptome sind auch jetzt immer noch genau gleich schlimm wie am ersten Tag», sagt er. Das Kopfweh ist ein treuer, aber unerwünschter Begleiter. Ebenso Schwindel, Übelkeit und unangenehmer Ohrendruck. An eine Rückkehr aufs Eis, dorthin, wo er sich am wohlsten fühlt, war zu keinem Zeitpunkt auch nur im Entferntesten zu denken.

Weihnachten zuhause in Florida

«Das Schlimmste ist, dass ich keine Fortschritte spüre», erzählt der 35-Jährige leicht resigniert. Wohl zeigen die Tests, die er regelmässig über sich ergehen lassen muss, dass die Verletzungen des Gehirns langsam heilen. Allein: Auf sein Wohlbefinden hatte das bisher keinerlei Einfluss. Vesce hat seine tägliche Routine, fährt mit dem Zug nach Zürich zum Spezialisten für Gehirnerschütterungen, wo er spezifische Übungen absolviert. Danach versucht er, sich zu Hause zu entspannen, und geht abends regelmässig bei den Familien seiner ausländischen Teamkollegen, Tim Stapleton und Jay McClement, essen.

Seine eigene Familie, Frau Kate sowie die Kinder Ava, Maylin und Charlie, ist bereits vor ein paar Wochen wieder nach Florida zurückgekehrt. Nicht nur, weil Ryan Vesce aufgrund seines Zustands Ruhe braucht. Sondern vor allem, weil die älteste Tochter wieder in ihre gewohnte Schule gehen sollte. «Als absehbar wurde, dass meine Verletzung langwierig sein könnte, haben wir uns zu diesem Schritt entschlossen», sagt Vesce. Immerhin: Über die Weihnachtstage wird er seine Liebsten wieder in die Arme schliessen können. Nach dem Abstecher nach Arizona wird er ein paar Tage in Florida verbringen. «Darauf freue ich mich. Ich hoffe, es hilft mir, wenn ich mal eine andere Umgebung habe.»

Calgary Flames ' Brett Kulak (61) checks Edmonton Oilers' Ryan Vesce (59) during the first period of an NHL hockey preseason game Monday, Sept. 26, 2016, in Edmonton, Alberta. (Jason Franson ...
Vesce (unten) bestritt 19 NHL-Spiele, spielte in der KHL und in Schweden.Bild: AP/The Canadian Press

Keine Familie, kein Eishockey, trübes Wetter – und als schlimmster Punkt: keine Anhaltspunkte, dass sich die gesundheitliche Situation bessert. Ist da die Gefahr nicht gross, dass man depressiv wird? Ryan Vesce überlegt und sagt dann entschlossen: «Nein. Solche Gedanken haben bei mir nicht Platz. Ich glaube daran, dass ich wieder zurückkehren kann aufs Eis. Dafür kämpfe ich jeden Tag. Und: Ich bin grundsätzlich ein sehr optimistischer Mensch.»

Foul nie angeschaut

Trotzdem: Die Unsicherheit, was die Zukunft bringen mag, lässt sich bei so einer Verletzung nicht verdrängen. «Ich weiss nicht, ob und wie es weitergeht. Und dann stellt man sich schon die Frage, was wäre, sollte ich nicht mehr Eishockey spielen können. Ich muss ja meine Familie irgendwie ernähren», bemerkt Vesce leise. Er weiss: Der unsichtbare Gegner im eigenen Kopf ist unerbittlich und vor allem total unberechenbar.

Verspürt er jetzt, in dieser schwierigen Situation, Wut auf den Spieler, der ihn am 17. Oktober ausgeknockt hat? «Nein. Körperkontakt gehört zum Eishockey. Und ich hoffe doch, dass er mich nicht mit Absicht am Kopf treffen wollte», zeigt sich Ryan Vesce nicht nachtragend. Die fragliche Szene hat er sich nie angesehen. «Ich wüsste nicht, was ich davon habe», sagt er lapidar. «Das würde nichts an meiner Lage ändern.»

Ob er die drei Spiele Sperre, die Cyril Oehen erhalten hat, nicht als zu milde Strafe empfindet? Vesce zuckt mit den Schultern. «Es liegt nicht an mir, das zu beurteilen. Wer weiss schon bei dieser Art von Verletzung, was das richtige oder falsche Strafmass ist?»

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10 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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samy4me
16.12.2017 16:31registriert Februar 2014
Gehirnerschütterungen sind einfach etwas brutales. Eishockey wird immer schneller und härter, es scheint kein Mittel gegen die sich häufenden Vorfälle mit Schäden im Kopf zu geben. Ein Spieler in Langenthal, er ist erst 22 Jahre alt, hatte bereits vier Gehirnerschütterungen. Er selber sagt er bange eigentlich fast bei Jedem Spiel etwas um seine Kariere, er hat Angst dass der nächste harte Check der eine zu viel sein könnte. Es gibt ettliche Fälle wie den von Vesce und viele Spieler haben sich davon nie erholt und verfielen in eine Depression, ich wünsche ihm nur das Beste.
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Hallo22
16.12.2017 17:31registriert Oktober 2016
Pierre Marc Bouchard hatte in seiner Karriere auch enorm viele Gehirnerschütterungen. Eigentlich schon brutal wenn man denkt,dass der wenn er keine Gehirnerschütterungen gehabt hätte ziemlich sicher noch in der NHL spielen würde (schaut euch mal dieses Highlightvideo aus seiner NHL Zeit an und ihr werdet sehen was für ein fantastischer Spieler er in seinen besten Zeiten als etwa 26jähriger war). Stattdessen kam er nach Zug und hat dann seine Karierre aus Angst vor weiteren Gehirnerschütterungen beendet. Solche Geschichten von eigentlich sehr talentierten Spielern gibt es leider viele.
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Sloping
16.12.2017 16:56registriert Oktober 2014
Die Gehirne von ehemaligen lebenden und toten Goons in der NHL wurden untersucht und es stellten sich aufgrund diverser Gehirnerschütterungen irreparable Gehirnschäden heraus. Das führte bei vielen zu chronischen Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen, die in zu vielen Fällen in Suiziden endeten. Die NHL Führung verharmlost die Thematik immer noch und verneint den glasklaren Zusammenhang.
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