Begegnet man Mark Streit dieser Tage, dann sieht man einen Mann, der den linken Arm in einer Schlinge trägt. Er liess sich im November, kurz nachdem er offiziell seinen Rücktritt bekannt gegeben hatte, an der schon lange verletzten Schulter operieren. Jetzt ist diese Schlinge quasi das letzte Erinnerungsstück an eine grosse Eishockey-Karriere, die am 30. Oktober fast heimlich, still und leise, zu Ende gegangen ist.
Den letzten Kampf hatte er zuvor verloren. Die Montreal Canadiens lösten den Vertrag mit Streit nach lediglich zwei Spielen auf. Es war das unrühmliche Ende einer ruhmvollen Laufbahn, die man dem Berner gar nicht zugetraut hatte.
Am Anfang der Karriere von Mark Streit steht ein grosser Irrtum. Der Trainer von Streits Stammklub SC Bern, Bill Gilligan, kann die Leistungen des damaligen Elite-Juniors nicht wirklich einordnen und teilt ihm mit, dass er keine Verwendung sehe für ihn. Statt die Flinte ins Korn zu werfen, erwacht zum ersten Mal der Widerstandskämpfer in Streit. Er entscheidet sich, sein Glück bei Fribourg-Gottéron und später dann beim HC Davos unter Arno Del Curto zu versuchen.
In den drei Jahren in Davos entwickelt sich Mark Streit bereits in jungen Jahren zu einem starken Offensivverteidiger. Und mit dieser Entwicklung wächst in ihm auch der Wunsch, sein Glück in Nordamerika zu finden. Streit packt seine Utensilien und fliegt als 22-jähriger Schweizer Jungspund in die USA. Er tingelt in Tallahassee, Salt Lake City und Springfield durch zweit-und drittklassige Teams – und kämpft selbst dort um Anerkennung. Auf einen Nobody wie ihn hat niemand gewartet. In Salt Lake City verfrachtet man Streits Ausrüstung nach nur einem Einsatz in einem Müllsack vor die Garderobentür. Die Tugenden des Widerstandkämpfers sind erneut gefragt: «Ich legte in jenem Winter das Fundament für meine spätere NHL-Karriere», sagt er in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger».
Nach dem extrem lehrreichen Jahr in Nordamerika kehrt Mark Streit in die Schweiz, zu den ZSC Lions, zurück. Im Wissen, was es braucht, damit er sich seinen NHL-Traum doch noch erfüllen kann. In den fünf Jahren in Zürich eignet sich Streit genau die Eigenschaften an, die er für nötig hält, um bei einem neuerlichen Anlauf in Nordamerika erfolgreich zu sein. Er wird in der NLA zu einem dominierenden Offensivverteidiger und übernimmt als Captain auch eine Leaderfunktion.
Seine Entwicklung verläuft in Zürich genau so, wie er es sich erhofft. Mit der logischen Konsequenz, dass ihn die Montreal Canadiens erst draften und dann unter Vertrag nehmen. Die ersten Monate in der NHL sind für den Neuling aus der Schweiz aber vor allem von Zweifeln geprägt: «Ich hatte Spiele, nach denen ich dachte: Jetzt geht es ab ins Farmteam.» Doch im selben Mass wächst beim Berner die Erkenntnis, dass er diese einmalige Chance, die sich ihm in Montreal bietet, packen muss. «Ich realisierte, wie viel du im Leben erreichen kannst, wenn du es wirklich willst.» Es ist das Aha-Erlebnis, welches an der Basis für Mark Streits erfolgreiche NHL-Karriere steht. In dieser Phase entwickelt er auch unschweizerische Eigenschaften, die aber im alltäglichen Überlebenskampf in der NHL unverzichtbar sind: dominantes Auftreten, ausgeprägtes Selbstbewusstsein – und somit auch eine gewisse Arroganz, die ihn in der Schweiz bisweilen verbissen und distanziert wirken lässt.
In Montreal entwickelt sich Mark Streit in seinen drei Jahren nicht nur zu einem spielstarken Verteidiger, sondern wächst auch in der NHL in eine Leaderrolle hinein. Sein Wechsel zu den New York Islanders wirkt sich entsprechend finanziell vorteilhaft aus (er unterschreibt einen Fünfjahresvertrag, der ihm jährlich 4,1 Millionen US-Dollar einbringt). In seiner dritten Saison bei den Islanders wird er als erster Schweizer Eishockeyspieler zum Captain eines NHL-Teams ernannt.
In der NHL entwickelt sich Mark Streit zu einem der besten Verteidiger. Gleichzeitig kämpft er in der Schweiz um Anerkennung. Seine Auftritte mit der Nationalmannschaft an den Eishockey-Weltmeisterschaften stehen meistens unter einem unglücklichen Stern. Die bösartige Bezeichnung «Captain Minus» macht plötzlich die Runde. Ausgerechnet bei der Silber-WM in Stockholm 2013 fehlt er, was schliesslich sogar zur absurden Debatte führt, ob Mark Streit überhaupt Platz in der Olympia-Auswahl von Sotschi hat.
Widerstandskämpfer Streit lässt sich von solchen Voten nie beirren. Und wird für seinen Durchhaltewillen schliesslich auf die bestmögliche Art und Weise belohnt. Nach einem Transfer von den Philadelphia Flyers zu den Pittsburgh Penguins ist er im Juni 2017 Teil der Mannschaft, die den NHL-Titel, den Stanley-Cup, gewinnt. Für jeden Eishockey-Spieler eigentlich die wertvollste Errungenschaft. «Ich konnte mit Sidney Crosby und anderen Superstars zusammenspielen und holte den Stanley-Cup. Das war eine Riesenehre.» Dass er, der Tradition gehorchend, im August einen Tag mit der begehrten Trophäe in Bern im Beisein seiner Familie, Freunde und Fans verbringen darf, ist der krönende Abschluss einer grossen Karriere. Auch wenn sie schliesslich anders zu Ende geht als geplant.