Das Interview wurde vor der letzten WM-Vorbereitungsphase im April geführt und erschien zuerst im Magazin «Slapshot».
Fredy Egli, Patrick Fischer war in den 1990er Jahren das vielleicht grösste Talent im EV Zug, er führte die Elite Junioren 1994 zum ersten Titel des Klubs. War er auch Ihnen aufgefallen?
Fredy Egli: Ich kann mich natürlich sehr gut an den Junioren Patrick Fischer erinnern. Er war immer figulant, locker und bereits bei den ersten Vertragsverhandlungen hat er sich sehr gut verkauft. Er war ein sehr guter Spieler mit klaren Vorstellungen.
Patrick Fischer, warum haben Sie Zug bereits 1997 verlassen?
Patrick Fischer: Ich war hin- und hergerissen. Jim Koleff hat mich schliesslich dazu überredet, mit ihm nach Lugano zu gehen (Zugs Trainer Jim Koleff wurde Manager in Lugano, A.d.R.).
Egli: Ja, wenn Koleff einen Spieler wollte, dann bekam er ihn. Sein Charme, seine Überzeugungskraft waren aussergewöhnlich.
Waren Sie böse, dass Patrick Fischer ging?
Egli: Nein, wenn ein Spieler gehen wollte, dann haben wir ihn nie zurückgehalten. Reisende soll man nicht aufhalten.
Dass die Reise von Patrick Fischer bis zum Posten eines Nationaltrainers führen würde, hatten Sie damals wohl nicht erwartet, oder?
Egli: Nein, aber ich wusste, dass er eine grosse Zukunft vor sich hat.
Fischer: Auch ich konnte mir nicht vorstellen, einmal Nationaltrainer zu werden. Ich war als Spieler nicht der Typ für eine Trainerkarriere. Ich war ein Luftibus. Ein Reifeprozess setzte erst mit 26, 27 Jahren ein. Als ich Captain in Davos wurde, fand ich Gefallen daran, Verantwortung zu übernehmen.
Egli: Ich erinnere mich noch eine Episode mit Patrick. An einem Samstagabend spielten wir in Olten und ich besuchte den Match mit ein paar Freunden. Ich war über unsere miserable Leistung so erbost, dass ich die Mannschaft am Sonntagmorgen um 10 Uhr zur Strafpredigt aufbot. Alle kamen und ich tobte und wetterte und kündigte einen Stopp der Lohnzahlungen an. Trainer Björn Kinding rechtfertigte sich, er habe ja keine Alternativen. Da habe ich gesagt: «Dann nimm halt den Giger und den Fischer.» Am nächsten Dienstag gegen Biel stürmten die beiden neben unserem Top-Ausländer Tom Fergus, beide machten ein Tor, wir gewannen und ich hob den Lohnstopp auf.
Fischer: Du warst selten in der Kabine, aber wir konnten jederzeit mit unseren Sorgen zu dir kommen. Und wenn wir etwas aus der Spur gekommen waren, dann hast du resolut die Marschrichtung wieder vorgegeben, ohne gegen einzelne Spieler persönlich zu werden. Wir waren eine extrem lebhafte Mannschaft und haben schon mal neben dem Eis über die Stränge geschlagen.
Haben Sie als Verbandspräsident auch mal bei Nationaltrainer Ralph Krueger in der Kabine getobt?
Egli: Nein. Er war eine stolze, selbstbewusste Persönlichkeit und hätte das nicht zugelassen. Er liess sich nichts sagen, und ich bedaure noch heute, dass es uns während meiner Amtszeit als Verbandspräsident in sechs Jahren nicht gelungen ist, seine Beziehung zu Davos zu normalisieren. Es lag an Ralph, aber auch an Arno Del Curto. Auch wenn beide vordergründig so taten, als gebe es keine Probleme – die Chemie stimmte einfach nicht.
Fischer: Das Problem war der Konflikt zwischen Ralph und Reto von Arx. Ich habe x-mal mit von Arx darüber geredet.
Egli: 2002 war ich als Präsident von Zug in der NAKO (die Nationalmannschafts-Kommission, die über die Belange der Nationalmannschaft entschied). Damals kam es bei Olympia in Salt Lake City zum Eklat. Ralph hat Reto von Arx und Marcel Jenni wegen Nachtschwärmerei nach Hause geschickt. Davos hat von Arx in Schutz genommen, er kam so in die Opferrolle und daraus hat sich dieser unlösbare Konflikt ergeben. Was uns zeigt, dass es rund um die Nationalmannschaft immer Diskussionen gegeben hat.
Patrick Fischer, vermissen Sie als Nationaltrainer eine starke Verbandsführung?
Fischer: Nein, Führung ist für mich Leidenschaft. Leidenschaft motiviert und wenn ich als Nationaltrainer mit Leidenschaft dabei bin, dann folgen mir die Spieler, unabhängig davon, wer beim Verband arbeitet. Ich weiss, dass der Verband oft kritisiert wird. Aber Leute, macht mal die Augen auf! Wenn wir sehen, was wir in den letzten 20 Jahren erreicht haben, dann müssten wir jeden Tag applaudieren. Vor 20 Jahren hatten die sechs Teams, die heute in der Weltrangliste vor uns liegen, einen riesigen Vorsprung. Als wir vor 20 Jahren erstmals Profis wurden, waren die Schweden schon Weltmeister. Wir haben also seither das Rennen gegen alle anderen Hockeynationen gewonnen. Die Verbandsführung kann also nicht so schlecht sein. Nicht so kritisch, Freunde! Die Nationalmannschaft macht Freude, manchmal mehr, manchmal weniger.
Egli: Ja, die Entwicklung ist erstaunlich. Als ich in Zug Präsident war, rümpften viele Spieler ob einem Nationalmannschafts-Aufgebot die Nase und erfanden die unglaublichsten Ausreden. Einer unserer Top-Verteidiger hat einmal mit der Begründung abgesagt, er müsse mit dem Hund zum Tierarzt. Ralph Krueger hat gegen viele und starke Widerstände diese Mentalität verändert und heute gibt es diese Probleme nicht mehr.
Fischer: Obwohl die Belastung der Spieler heute viel grösser ist als damals, hatte ich bis heute wirklich nie ein Problem mit Absagen.
Patrick Fischer, Sie haben den ganzen Aufstieg aus der internationalen Mittelmässigkeit an die Weltspitze miterlebt. Wann kam die Wende?
Ganz klar 1998 mit der ersten WM unter Ralph Krueger. Wir verloren die beiden ersten Spiele gegen die USA und Schweden. Wir waren völlig fertig und hatten alle Hoffnung verloren. Ralph ignorierte diese Niederlagen, glühte vor Optimismus und sagte: «Hey, wir müssen bloss die Franzosen mit drei Toren Differenz besiegen und sind wieder dabei.» Wir erkannten diese Chance, blickten nur noch vorwärts, die Energie kehrte zurück, wir schafften diesen Sieg mit drei Toren Differenz, besiegten anschliessend die Russen und schafften das Halbfinale. Von da an war alles anders. Wir waren noch nicht bei den Besten, auch noch nicht nach dem Wunder von St.Petersburg, als wir die Russen besiegen mussten, um ins Viertelfinale zu kommen. Es brauchte Zeit. Aber so ab 2003 kamen wir den Besten näher, und Ralph hatte uns auf die Weltkarte des Eishockeys gebracht.
Fredy Egli, hätten Sie als Verbandspräsident den Mut gehabt, Patrick Fischer zum Nationaltrainer zu machen?
Warum nicht? Wenn ich von jemanden überzeugt bin, dann gebe ich ihm eine Chance. Aber dann muss man hinter dieser Entscheidung stehen. Ich habe nie verstanden, wie man Kevin Schläpfer durch eine Anfrage hinter dem Rücken von Biel verheizt hat. Das war stillos. So etwas wäre zu meiner Zeit als Verbandspräsident nie passiert. Ich habe kürzlich mit Kevin gesprochen und ihm gesagt: «Der Faden in Biel ist in dem Moment gerissen, als du die Anfrage vom Verband ablehnen musstest und nicht Nationaltrainer werden konntest.» Er hat das bestätigt. Wie ich schon sagte: Reisende soll man nie aufhalten.
Wie kommt es, dass die Leistungen bei der WM so unterschiedlich sind?
Fischer: Die Ausgeglichenheit ist so gross, dass die kleinen Unterschiede oder ein unglücklicher Moment eine grosse Rolle spielen. Wir sollten die Dynamik nicht unterschätzten, die ein einzelnes Spiel im Mannschaftsport auslösen kann. Während einer Meisterschaft kann ich mit einer Mannschaft aus einer Baisse herauskommen. Bei einem WM-Turnier ist das viel schwieriger, ja fast unmöglich. Es geht dann oft um ein einziges Spiel. Ein Sieg in der letzten Partie bei der letzten WM in Moskau und wir wären mindestens auf Platz 6 gewesen. Ralph Krueger hat uns beigebracht, wie wir uns defensiv organisieren und ohne Puck spielen müssen, um das Spiel besserer Gegner zu blockieren. So sind wir weit gekommen. Seit ich im Amt bin, sage ich konsequent, dass wir lernen müssen, das Spiel mit der Scheibe stetig zu verbessern. Aber das ist ungleich schwieriger. Nicht jeder Stürmer kann sich auf WM-Niveau mit dem Puck durchsetzen. Aber wir müssen es versuchen, und es ist eine Herausforderung, die Balance zu finden.
Wir müssen sozusagen auf WM-Niveau offensiv laufen lernen?
Fischer: Ja, aber unsere Gegner machen ebenfalls grosse Fortschritte. Es wird beispielsweise erwartet, dass wir die Dänen wegputzen. Aber wir sind noch nicht soweit, dass wir einen Gegner wie Dänemark einfach wegputzen können. Die spielen jetzt so, wie wir damals unter Ralph Krueger. Aber wir sind gut genug, um alles erreichen zu können, wenn alles stimmt und wir an ein grosses Ziel glauben. Ralph hatte immer von einer Medaille gesprochen, als wir noch weit davon entfernt waren. Aber er hat uns dazu gebracht, dieses Ziel nie aus den Augen zu verlieren.
Egli: Bereits zu meiner Zeit als Verbandspräsident haben wir ganz klar das Ziel Medaille formuliert. Es ist entscheidend, ein hohes Ziel zu setzen und dann mit aller Kraft dafür zu arbeiten.
Fischer: Ich war 2013 in Stockholm im Trainerstab dabei. Wir setzten uns ein hohes Ziel. Wir wollten trotz zahlreicher Absagen das beste WM-Resultat aller Zeiten. Das schien eigentlich unmöglich. Aber es lief von allem Anfang an für uns. Wir begannen mit einem glücklichen Sieg gegen Schweden, die Dynamik wurde immer stärker, wir gewannen neun Mal in Folge. Ja, wir haben im Final dann versagt. Wir haben uns überschätzt, wir gingen überheblich in die Partie und nach einer 1:0-Führung waren wir unkonzentriert, liessen dumme Gegentore zu, ein paar von uns verloren die Nerven. Daraus haben wir gelernt: Wenn wir das nächste Mal das Finale erreichen, dann werden wir besser sein. Wir werden irgendwann Weltmeister. Das ist unsere Vision, das ist mein Ziel. Schliesslich haben es die Slowaken auch geschafft.
Werden die Leistungen der Nationalmannschaft zu kritisch beurteilt?
Fischer: Unser gesamtes Hockey wird zu kritisch beurteilt. Was wir erreicht haben, ist noch nie richtig geschätzt worden. International bekommen wir diese Anerkennung. Ich denke manchmal: «Was machen wir hier eigentlich?» Meine grösste Motivation ist es, dafür zu sorgen, dass wir endlich sehen, was wir mit der Nationalmannschaft leisten. Eine kritische Beurteilung kann auch Motivation sein und uns davor bewahren, selbstzufrieden zu werden.
Egli: Diese kritische Haltung uns gegenüber liegt in unserer Art. Wir sehen das auch in der Politik. Wir sind eines der erfolgreichsten Länder der Welt. Aber wenn wir die Berichterstattung verfolgen, könnten wir meinen, unsere Politik sei unfähig. An ein hohes Ziel zu glauben, ist unglaublich wichtig. Aber es gibt auch die Gefahr der Selbstüberschätzung.
Fischer: Diese mentale Komponente ist umso wichtiger, weil wir nie die gleiche Auswahl an Spielern haben wie die grossen Nationen und nur als Mannschaft gewinnen können. Die Mannschaftsleistung entscheidet. Das haben wir auch in Stockholm gesehen. Dort hatten wir nicht die bestmögliche Mannschaft und kamen doch ins Finale.
Egli: Wir haben insgesamt nur Spieler für zehn, nicht für zwölf NLA-Teams und deshalb war ich immer gegen eine Aufstockung auf zwölf Teams.
Die aber nicht mehr rückgängig zu machen ist.
Egli: Mir ist schon klar, dass es aus wirtschaftlichen Gründen diese 12er-Liga braucht. Aber ich bleibe dabei: Wir haben zu wenig Spieler für so viele Mannschaften und deshalb ist der sportliche Konkurrenzkampf in der Liga zu wenig hart.
Fischer: Wir haben nach wie vor nicht diese «Winning Mentality», diesen unglaublich starken Willen, keine Niederlage zu akzeptieren. Weil die Konkurrenz zu wenig gross ist. Ich ging in Kanada in die High School und im Camp für das Hockeyteam gab es 80 Spieler für drei freie Plätze. Da kommt es darauf an, wer zuerst an den Puck kommt. Koste es, was es wolle. Darum geht es: an den Puck zu kommen. Um jeden Preis. Wer mehr dafür tut und den stärkeren Willen hat, schafft es.
Sie schafften es sogar bis in die NHL.
Fischer: Ja. Während der WM im Lockout-Jahr 2005 kam mir der Gedanke: «Diese NHL-Spieler sind ja gar nicht so viel besser. Was die können, kann ich auch.» Also habe ich es versucht und sieben Monate später spielte ich in der NHL. Ich kam bei Phoenix ins Camp, schaute links und rechts, sah die Spieler und hätte eigentlich denken müssen: Gegen die habe ich keine Chance. Also schaute ich nicht nach links und rechts, sondern nur für mich und schaffte es.
Egli: Der Konkurrenzkampf beginnt bereits auf einer anderen Ebene: Es gibt bei uns nicht so viele Eltern, die ihre Kinder zum Hockey bringen wie in Kanada. Wir müssen uns also auch überlegen, wie wir mehr Kinder zum Hockey bringen.
Könnte es auch sein, dass in der Liga immer zu hohe Löhne bezahlt wurden?
Fischer: Damals in Zug sicher nicht. Zu deiner Zeit, Fredy, war Zug sehr leistungsorientiert. Das motivierte und spornte uns an. Wir wussten, wenn wir keinen Erfolg haben, dann spüren wir es beim Zahltag. Also mussten wir Gas geben. In Davos und Lugano habe ich das dann nicht mehr so extrem erlebt.
Egli: Wir haben gute Löhne bezahlt, wir mussten mit der Konkurrenz Schritt halten. Sonst hätten wir die Spieler nicht bekommen, um Meister werden zu können. Aber Geld war nicht alles. Ich hatte ein Erlebnis, das ich nie mehr vergessen werde. Wir wollten Mario Rottaris. Er sass bei mir im Büro, wir einigten uns auf die Vertragskonditionen und er bat um drei Tage Bedenkzeit. Dann rief er mich an und sagte: «Ihr Angebot ist finanziell zwar besser, aber Fribourg braucht mich jetzt mehr als Zug. Deshalb bleibe ich bei Fribourg.» Das hat mich sehr beeindruckt.
Sind die Löhne denn heute zu hoch?
Egli: Man hat schon zu meinen Zeiten gesagt, so geht es nicht weiter, und doch ist es immer weitergegangen. Aber es wird zunehmend schwieriger, Gelder aus der Wirtschaft zu bekommen. Heute wird ein Engagement viel kritischer beurteilt, es gibt nicht mehr einfach Geld aus der Sympathie heraus.
Das Interview entstammt dem Hockey-Magazin «Slapshot».