Wenn wir gerne Verschwörungstheorien mögen, dann erklären wir den SCB-Systemausfall im letzten Drittel gegen Ambri, der aus einem 5:0 ein 5:4 machte, so: Das Stadion ist ausverkauft, das Spiel nach zwei Dritteln entschieden (5:0) und langweilig. Also telefoniert SCB-General Marc Lüthi in der zweiten Pause in die Kabine hinunter, lässt von Captain Eric Blum den Trainer an den Apparat holen und befiehlt: «Kari, die Leute langweiligen sich, sorge für etwas Abwechslung».
Gesagt getan. Nach knapp 53 Minuten steht es nur noch 5:4. Ein tolles Spektakel. Aufregung, Hektik, Spannung. Allerbeste Unterhaltung mit einem siegreichen Happy-End (6:4).
Aber so war es ganz sicher nicht. Der SCB geriet gegen Ambri in echte Not. Was sich an einer Szene erkennen lässt: Simon Bodenmann springt nach seinem 6:4 vor Freude und Erleichterung am Plexiglas hoch, als hätte er einen entscheidenden Treffer in den Playoffs erzielt. Emotionen lügen im Eishockey nicht.
Mit der SCB-Überlegenheit ist ein wenig wie mit den Minustemperaturen. Es gibt eine tatsächliche und eine gefühlte Minustemperatur. Wenn der Wind weht, haben wir das Gefühl, es sei kälter als das Thermometer anzeigt, weshalb in Nordamerika in den Wetterprognosen auch die «gefühlten» Temperaturen angegeben werden.
Weil der SCB die Qualifikation (und den Titel) schon im Vorjahr gewonnen hat, weil sich die Berner im Spätsommer gleich mit 12 Siegen in den ersten 15 Runden wieder an die Spitze gesetzt haben und weil schon seit Oktober klar ist, dass sie die Qualifikation erneut gewinnen werden, haben wir das Gefühl einer ewigen, totalen, von den Hockeygöttern gegebenen Überlegenheit.
Heimsieg! Der #SCBern gewinnt gegen den @HCAP1937 mit 6:4. Heutiger Best-Player beim SCB ist (klare Sache 😉) Dario Meyer mit seinem Hattrick. #bärnrockt 🤘🏻 pic.twitter.com/5uJ05E5nz3
— SC Bern (@scbern_news) 27. Januar 2018
Die Statistik, also das Thermometer, sagt uns allerdings, dass die tatsächliche SCB-Überlegenheit bei weitem nicht so gross ist wie die gefühlte. Und beispielsweise weit von Dominanz der ZSC Lions entfernt, die im Frühjahr 2014 die Qualifikation mit 20 Punkten Vorsprung auf Gottéron beendeten. Berns Vorsprung auf Zug beträgt «nur» sechs Punkte. Und damit sind wir bei der Erklärung, wie es sein kann, dass gegen Langnau und Biel ein 3:0 nicht zum Sieg reichte und warum der Meister soeben gegen Ambri nach einem 5:0 noch ins Zittern geraten ist.
Der SCB verdankt seine Dominanz nicht in erster Linie seinem überlegenden Talent. Sondern einer im 21. Jahrhundert nie mehr gesehenen taktischen Überlegenheit. Die SCB-Überlegenheit ist das Resultat der Arbeit von Kari Jalonen. Die ZSC Lions, Lugano oder Zug haben nicht viel weniger Talent. Aber weniger gute Trainer.
Kari Jalonen hat den SCB zu einer «Hockeymaschine» gemacht. Aber die einzelnen Teilchen sind nicht viel besser als die Teilchen, aus denen die Konkurrenz ihre «Hockeymaschinen» zusammenbaut. Die Abstimmung, Präzision und Disziplin, die Details machen die Differenz. Die Superiorität des Titelverteidigers ist also vor allem taktischer Natur. Nur wenn auch im taktischen Maschinenraum alles passt, dreht, läuft, rattert und knattert ist der SCB gross, mächtig und unbesiegbar.
Im Grunde ist der SCB nichts anderes als eine Luxusausgabe der ... SCL Tigers. Der Unterschied zwischen der Spielanlage der SCL Tigers und jener des Meisters ist gar nicht so gross, wie man vermuten könnte.
Beim SCB wird «Heinz-Ehlers-Hockey» lediglich mit den besseren und teureren Einzelspielern wuchtiger und erfolgreicher umgesetzt. Wenn bei den Langnauern auch nur einer der Feldspieler nicht bei der Sache ist, gerät die ganze Systemherrlichkeit in Gefahr. Ein, zwei Fehler führen in die knappe Niederlage. Weil die Emmentaler nicht genug offensives Talent und physisches Durchsetzungsvermögen haben, um eine Entscheidung notfalls mit fünf oder sechs Treffern zu erzwingen.
Was Unvermögen in Langnau, das ist Arroganz in Bern. Wenn es zu einem Systemausfall kommt, weil die Jungs nicht mehr richtig bei der Sache sind, dann ist in der Regel nicht ein uneinholbarer Rückstand die Folge. Sondern das leichtsinnige Verspielen eines scheinbar sicheren Vorsprungs. Am spektakulärsten am Samstagabend gegen Ambri. In etwas mehr als zehn Minuten wird aus einem 5:0 und 5:4
Wie dünn das Eis für den Meister sein kann, sehen wir auch aus einer Frage: Wo wäre der SCB ohne Dario Meyer (21)? Der SCB-Junior ist ein Hinterbänkler, der von Kari Jalonen längst gewogen und für die NLA als zu leicht befunden worden ist. Deshalb war eine Vertragsverlängerung für Alex Chatelain bisher noch kein Thema. Nun hat Dario Meyer einen gefühlten Weltrekord aufgestellt. Der Trainer teilte ihm gegen Ambri im ganzen Match gerademal 5 Minuten und 7 Sekunden Eiszeit zu. Am wenigsten von allen Spielern.
Hier der #Hattrick von Dario Meyer #SCBern #bärnrockt 🤘🏻 pic.twitter.com/XA1mHhr9Iy
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Aber das «offensive Stiefkind» hat aus einem Minimum ein Maximum herausgeholt und dreimal getroffen. Zum 1:0, 3:0 und 4:0. Seine ersten Treffer in dieser Saison. Ohne seine Tore hätte der SCB verloren.
Nach dem Spiel sagt Meyer brav sein Sprüchlein auf. Dass er sich freue, dass seine Vertragssituation jetzt kein Thema sei. Beim SCB hüten halt seit dem legendären verbalen Ausraster von Thomas Rüfenacht nach der Heimniederlage gegen Lugano (4:5 n.P. am 16. September) alle die Zunge und vermeiden polemische Aussagen wie der Teufel das geweihte Waser. Man habe «den Fokus» verloren und das dürfe nicht mehr vorkommen sind nach der Partie so ziemlich die kernigsten Aussagen von Meyers Teamkollegen.
Trainer Kari Jalonen ist nach dem Spiel gegen Ambri guter Laune. Sieg ist Sieg. Vor allem ist es «Januar-Hockey.» Der Titel wird nicht jetzt ausgespielt. Er sagt, nun sei die Zeit, Fehler zu korrigieren und Lehren zu ziehen. «Wer in dieser ausgeglichenen Liga nicht konzentriert bei der Sache ist, verliert.» Man habe dieses Nachlassen teamintern immer und immer wieder thematisiert. Und so dürfte er über das missglückte Schlussdrittel gegen Ambri (1:4) gar nicht so unglücklich sein. Wieder einmal ist auf dem Eis eindrücklich bestätigt worden, was er in der Kabine predigt.
Weil die Titelverteidigung nur möglich ist, wenn die SCB-Maschine funktioniert, beschäftigt sich Kari Jalonen bereits mit der olympischen Pause. Elf Spieler – die bessere Hälfte der Mannschaft – werden ihm nicht zur Verfügung stehen. «Ich hatte als Trainer noch nie eine solche Situation.» Sorgen bereiten dem ehemaligen finnischen Nationaltrainer nicht die elf olympischen Helden. Das olympische Turnier werde nicht zu viel Energie kosten. «Sie werden durch das Turnier eher Energie gewinnen und in guter Form zurückkehren. Wir müssen nur darauf achten, dass die Zeitverschiebung so schnell wie möglich verarbeitet ist.»
Sorgen bereiten Kari Jalonen die Spieler, die hierbleiben. «Wir müssen Mittel und Wege finden, um im Training eine hohe Intensität zu haben.» Denn die Jungs aus der «zweiten Hälfte» der Mannschaft können ihre Aufgabe in den Playoffs nur erfüllen, wenn sie schnelle Beine haben und eine hohe Spielintensität entwickeln. Sie sind für das spielerisch Grobe zuständig, das beim SCB in den Playoffs nicht zu kurz kommen darf.
Wie kann gut und intensiv trainiert werden, wenn die elf Besten fehlen? Kari Jalonen hat klare Vorstellungen. «Die erste Woche haben wir trainingsfrei. Dann werden wir die Mannschaft im Training wenn möglich mit fünf Spielern aus unseren Elitejunioren und fünf Spielern aus der MySports League ergänzen.»
Stars aus der höchsten Amateur-Liga für den Schweizer Meister? Der SCB-Cheftrainer sagt: «Warum nicht? Wir haben ein paar Namen im Kopf.» Man wolle einen Pool mit zehn Spielern aus der MySports League bilden und fünf davon sollen jeweils zum Training kommen. Er denke an Spieler, die schon immer mal davon geträumt haben, einmal mit dem SCB trainieren zu dürfen. Nun könne man diesen Traum wahr werden lassen. Als «SCB-Trainingshelfer» kommen Cracks aus den Teams rund um Bern in Frage: Brandis, Wiki-Münsingen, Thun oder Düdingen.
Sportchef Alex Chatelains Begeisterung für diese originelle Idee ist nicht gerade gross. «Ja, es stimmt, wir haben intern darüber gesprochen. Aber wir haben noch keine Klubs angefragt. So einfach ist die Sache nicht, in der MySports League werden ja während der olympischen Pause bereits Playoffs gespielt.» Die Playoffs beginnen am 17.Februar.
Beim Titelverteidiger dreht sich in den nächsten Tagen also fast alles darum, die Trainings-Intensität und -Disziplin während der olympischen Pause zu bewahren. Wenn die Faktoren Intensität und Disziplin beim SCB nicht stimmen, wird es, wie wir soeben gesehen haben, sogar gegen ein Team wie Ambri schwierig.
Der SCB ist eben nicht so gut, wie alle meinen.