Mehr als 800 der weltweit besten Spieler treten beim Olympischen Turnier 2018 nicht an. Weil sie in der NHL gebraucht werden. Erstmals seit 1994 werden wir 2018 ein Olympisches Turnier ohne NHL-Stars haben. Für die Schweiz ein Glücksfall.
The small countries that participate in the winter Olympics after hearing the news pic.twitter.com/xWn4GXThyC
— Gone Golfing (@Jaromir_Jagr) 3. April 2017
Die Statistik sagt uns, warum die erste Medaille seit 1948 (Bronze in St.Moritz) für die Schweiz 2018 möglich ist. Diese Saison spielen in der NHL
- 438 Kanadier
- 255 Amerikaner
- 85 Schweden
- 39 Russen
- 39 Finnen
- 35 Tschechen
Es sind die besten aus diesen Ländern. Sie stehen zwar bei der WM nie alle zur Verfügung. Aber die Grossen (Kanada, USA, Schweden, Finnland, Russland, Tschechien), die uns in der Regel vor der Sonne stehen, bilden ihre WM-Teams ganz oder teilweise aus NHL-Profis. Die Olympia-Teams sogar praktisch ausschliesslich mit Spielern aus der NHL:
Seit die Schweiz in die Weltklasse zurückgekehrt ist, hat es kein WM- oder Olympiaturnier ohne NHL-Spieler gegeben. Die neue Zeitrechnung in unserem Hockey beginnt mit dem Amtsantritt von Ralph Krueger im Herbst 1997 und dem WM-Halbfinal von 1998. Das letzte Olympische Turnier ohne NHL-Profis wurde 1994 in Lillehammer gespielt (ohne die Schweiz), die letzte WM 1995 in Schweden (mit der Schweiz als Absteiger).
Wir werden nächste Saison wohl auch 15 Spieler in Nordamerika unter Vertrag haben, die wir für das Olympische Turnier nicht aufbieten können. Wir können also argumentieren, dass 15 von 12'000 lizenzierten aktiven Spielern so viel ausmachen wie beispielsweise 39 von 30'000 bei den Finnen.
Doch diese Rechnung stimmt so nicht. Für die Nationalmannschaft kommen die Spieler aus der höchsten Liga in Frage. Um beim Beispiel von Finnland zu bleiben: Dort spielen 15 Teams auf höchstem Niveau. Bei uns sind es 12. Unser Reservoir für Nationalspieler ist also quantitativ nicht viel kleiner.
Nationaltrainer Patrick Fischer hat die einmalige Chance, das WM-Team die ganze Saison zur Verfügung zu haben. Dadurch ist eine taktische Schulung möglich, die es in der Neuzeit noch gar nie gegeben hat: bisher ist die Mannschaft unmittelbar vor den grossen Turnieren (Olympia und WM) jeweils durch wichtige Spieler aus Nordamerika ergänzt worden. Beim Olympischen Turnier von 2014 in Sotschi waren es beispielsweise neun (Hiller, Berra, Weber, Streit, Diaz, Niederreiter, Josi, Brunner und Moser) – also fast das halbe Team.
Nächste Saison werden uns voraussichtlich nur zwei NHL-Profis fehlen, die wir nicht ersetzen können: Roman Josi und Nino Niederreiter. Die Absenz der übrigen Nordamerika-Profis kann durch ein starkes, taktisch gut geschultes Kollektiv kompensiert werden. Und mit Leonardo Genoni steht der beste Schweizer Goalie fürs Olympische Turnier zur Verfügung. Das Vorbereitungsprogramm ist mit der bereits feststehenden Teilnahme am Spengler Cup vorzüglich.
Es gibt noch einen Hinweis darauf, was es ausmacht, wenn die Grossen ohne NHL-Profis antreten – die Champions Hockey League. Beim paneuropäischen Wettbewerb spielen die Schweizer Teams auf Augenhöhe mit den Finnen, Schweden, Russen und Tschechen. Und als die Russen noch dabei waren, gewannen die ZSC Lions die Champions League. Nun können wir argumentieren, dass unsere Klubs ausländische Verstärkungen haben. Das ist aber auch bei den Teams aus den anderen Ländern so.
Wie wir es auch drehen und wenden: der NHL-Verzicht ist für die Schweiz ein grosser Vorteil. Um es salopp zu sagen: Die NLA ist eine der besten Ligen ausserhalb der NHL – und eine Auswahl aus dieser Liga wird bei einem Olympischen Turnier ohne Spieler aus der NHL konkurrenzfähig sein. Welche Auswirkungen hat die Absenz der NHL auf die Spiele von 2018 insgesamt? Keine.
Es wird nicht ein Ticket weniger verkauft. Das olympische Turnier lebt von den Nationalmannschaften, von der nationalen Begeisterung und nicht von den Stars. Die Einschaltquoten werden in Nordamerika geringer sein – aber das bleibt ohne Auswirkungen auf die Spiele: die TV-Verträge sind nicht an eine NHL-Teilnahme gekoppelt. Für das IOC ist der Verzicht gar ein Geschäft: die immensen Kosten (mehr als 20 Millionen Dollar) für Versicherung und Unterkunft des ganzen NHL-Trosses entfallen. Wir können sagen: die NHL verzichtet aufs Olympische Turnier – na und?
Und warum verzichtet die NHL nach fünf Turnieren (1998, 2002, 2006, 2010 und 2014)? Ganz einfach: Weil sich die Teilnahme am Olympischen Spektakel in Asien für die NHL-Teambesitzer nicht rechnet. Das Argument, die NHL brauche diese globale Plattform, tönt für uns Europäer gut. Die Nordamerikaner interessiert es nicht. Die NHL ist eine rein nordamerikanische Liga. Sie setzt im heimischen Markt rund drei Milliarden Dollar um.
Eine NHL-Expansion nach Europa oder Asien ist noch nie über das Stadium von Planspielen hinausgekommen. Weil sich diese Expansion nicht rechnet. Das Interesse an der NHL wird in den grossen Hockey-Nationen durch eine Olympiateilnahme nicht grösser. Und in Ländern ohne Hockeymarkt (das sind die meisten Länder der Welt) bewegt eine NHL-Olympiateilnahme nichts. Einem Italiener, Spanier, Franzosen, Engländer, Brasilianer oder Mexikaner ist es herzlich egal, ob die NHL-Profis 2018 mitspielen oder nicht. Anders als beim Basketball gibt es für Eishockey, Football und Baseball keinen globalen Markt. Deshalb sind nur NBA-Profis bei Olympia dabei.
Aber ist nicht China der Markt der Zukunft? Wäre es nicht möglich gewesen, zu sagen: Eine Teilnahme an den Spielen von 2022 in Peking gibt es nur, wenn ihr auch 2018 mitspielt? Nein, diese Möglichkeit gibt es nicht. Wenn die NHL-Besitzer zum Schluss kommen, eine Teilnahme 2022 lohne sich, dann wird niemand die NHL-Profis daran hindern, mitzuspielen.
Die NHL ist die wichtigste, mächtigste, reichste und beste Liga der Welt. Sie ist nicht einmal Mitglied des internationalen Eishockey-Verbandes (IIHF). Sie kann es sich leisten, die Olympischen Spiele zu ignorieren. IIHF-Präsident René Fasel ist es trotzdem gelungen, die NHL fünfmal ans Olympische Turnier zu holen – die grösste sportpolitische Leistung seit der Gründung der modernen Spiele (1896).