Der letzte Trainer, der in Ambri wirklich etwas bewegt hat, in der Kabine und im Umfeld, war ein Schweizer. Roland von Mentlen, immer mehr Philosoph als Antreiber, aber ein Mann mit Weitsicht und oft von den Zeitgenossen verkannt. Der mit einer Tessinerin verheiratete Ostschweizer weckte Ambri 1988 aus dem Dornröschenschlaf, vertrieb die Komplexe, nur ein Provinzklub zu sein und die von ihm in anderthalb Jahren geweckten Geister trieben Ambri bis hinauf auf die höchsten Gipfel, bis ins Playoff-Finale von 1999. Heute lebt Roland von Mentlen nach wie vor in der Leventina und versteht sich mit Luca Cereda sehr gut.
Was ist Ambri? Woher kommt Ambri? Wohin will Ambri? Auf diese Frage fanden die Nachfolger von Roland von Mentlen keine Antwort mehr. Die Trainer kamen aus Russland (Jakuschew), Schweden (Hober), aus Tschechien (Cada), sie waren NHL-Generäle (Pagé, Constantine), Kanadier (Lefley, Huras, Pelletier, Laporte), kanadisch-schweizerische Doppelbürger (Kossmann) – und sie alle scheiterten. Weil sie Ambri als gewöhnliches Hockeyunternehmen sahen und die Seele dieses Hockeyunternehmens nicht verstanden.
Symbolisch dabei die bis heute originellste Aufforderung zur Trainerentlassung: Ein erboster Anhänger warf einen Reisekoffer aufs Eis um Benoit Laporte zum Gehen aufzufordern. Da es bei den heutigen Eingangskontrollen wohl nicht möglich ist, einen Koffer in ein Stadion zuschmuggeln, hatte diese Aktion wohl die heimliche Billigung des Managements.
Der grosse Hockey-Populist Filippo Lombardi führt Ambri seit 2009 und über 400 Spielen – länger als jeder seiner Vorgänger seit dem Wiederaufstieg von 1985. Die Kritik, er verstehe das Wesen und Wirken des Eishockeys noch immer nicht, mag etwas für sich haben. Doch er ist als CVP-Ständerat ein «Animal Politique». Spät, nicht zu spät ist er nun zu den Wurzeln Ambris zurückgekehrt und hat zwei Männern aus dem Tal, zwei Einheimischen die Führung der sportlichen Abteilung anvertraut. Luca Cereda wird Trainer, Paolo Duca Sportchef. Die beiden 35-jährigen Leventiner bilden das jüngste Führungsduo in der Geschichte unseres Hockeys.
Luca Cereda war 1999 der zweite Schweizer Erstrundendraft nach Michel Riesen. Er machte aus gesundheitlichen Gründen keine grosse Spielerkarriere (Herzoperation), war aber immerhin 2004 mit dem SCB Meister. Mit 26 wechselte er ins Trainergeschäft und hat diesen Beruf von Grund auf erlernt. Diese Saison war er Trainer bei Ambris Farmteam «Ticino Rockets».
Paolo Duca kehrte nach Wanderjahren (ZSC Lions, Zug), 2007 nach Ambri zurück und war zuletzt zehn Jahre lang Captain des Teams. Ein Kultspieler.
Es gibt nichts, was gegen den Erfolg von Luca Cereda und Paolo Duca spricht. Die beiden kennen unser Hockeygeschäft und wissen, wie Ambri funktioniert. Und Luca Cereda hat wie kein anderer in Ambri erkannt, dass es eine bessere Leistungskultur braucht. Nun kann er diese Erkenntnis in die Tat umsetzen und beispielsweise ein echtes Sommertraining einführen. Und Paolo Duca wird sich nicht von jedem Agenten bei den Lohnverhandlungen so über den Tisch ziehen lassen wie sein komplett überforderter Vorgänger Ivano Zanatta.
Die Ernennung von Luca Cereda und Paolo Duca ist – wie könnte es bei einem Präsidenten wie Filippo Lombardi anders sein – auch ein genialer sportpolitischer Schachzug. So wird Ambri zur wahren Alternative des grossen Geldclubs Lugano. «Il Ticiono è biancoblû» («Das Tessin ist blau-weiss») – so sagen die Fans und meinen damit: Ambri repräsentiert das Tessin, Ambri ist der wahre Klub der Tessiner – und grenzen sich so gegen den Erzrivalen aus Lugano ab. Und nun führen zwei Tessiner die Helden in den wunderschönen blau-weissen Jerseys – war mag da Ambri noch die Legimitation absprechen, der wahre Klub der Tessiner zu sein? Und wer daran zweifeln, dass Filippo Lombardi und nicht Fabio Abate der wahre Ständerat des Kantons Tessin ist?
Was Luca Cereda und Paolo Duca die Arbeit erleichtern wird: im ganz besonderen medialen Klima des Tessin sorgen alleine ihre Namen und ihre Herkunft «bisshemmend» auf die Chronisten. Seit Jahren ist es in Ambri Brauch, für die Spieler und gegen die ausländischen Trainer zu sein. Das funktioniert jetzt nicht mehr – wer gegen den Trainer und den Sportchef aus dem Tal der Leventina polemisiert, erhebt seine Stimme gegen die Kultur Ambris, ja, begeht «hockeytechnischen Ladnesverrat».
Eine Erfolgsgarantie gibt es auch mit dem neuen Führungsduo nicht. Aber das Marketing, die Finanzierung der neuen Arena, das «Einsammeln» von Geld, wird nun viel einfacher und mit Luca Cereda und Paolo Duca wird es möglich, eine Strategie der Bescheidenheit zu verkaufen. Mit Luca Cereda und Paolo Duca wird Ambri nicht mehr allein von Siegen und Niederlagen leben – nun ist Ambri endlich wieder mehr als ein Hockeyunternehmen. Ambri ist wieder ein Kulturgut geworden – so wie es die SCL Tigers im Emmental sind.