Es ist eines jener Spiele, über das an den Wirtshaustischen noch in zehn Jahren erinnert wird. Eine Sternstunde des Hockeys in der Provinz. Endlich wieder einmal mit dem chaotischen Charme des Aussergewöhnlichen, den wir in der immer «seelenloseren» Welt des durchorganisierten Profisports vermissen.
Lange vor diesem alles entscheidenden Spiel gegen Rapperswil staut sich der Verkehr in Langenthal hinauf zum Schoren. Die Parkplätze sind hoffnungslos überfüllt und die Benzin- und Dieselkutschen müssen tief im Wald parkiert werden.
Vor den Stadioneingängen lange Kolonnen. Auch Verbandsgeneral Florian Kohler stellt sich artig in die Warteschlange. Niemand ist «hässig», niemand drängelt, niemand ist gestresst. Alle sind geduldig und freuen sich auf ein aussergewöhnliches Spiel – und das wird es in der Tat. Es wird ein grosses Hockeydrama aufgeführt – und rundum sind alle anständig. Eine freundliche Begeisterung. Auf dem Eis, auf den Rängen und bei der Pokalübergabe mit Bundesrat Johann Schneider-Ammann. Ausverkauft mit 4500 Fans? Kein Polemiker, wer vermutet, dass da mehr als 5000 drin waren.
Die Langenthaler beeindrucken im siebten und alles entscheidenden NLB-Finalspiel gegen die SCRJ Lakers mit ihrer Wucht, ihrer Energie, ihrer Leidenschaft, mit ihrer taktischen Disziplin und einem unerschütterlichen Selbstvertrauen.
Sie stecken einen frühen, haltbaren 0:1-Rückstand weg, spielen die Nervosität aus den Kleidern, wie ein Hund seine Flöhe abschüttelt, und geben im Schlussdrittel eine 3:1- und 4:2-Führung preis. Aber sie gewinnen das vielleicht dramatischste Spiel der mehr als 70-jährigen Klubgeschichte 79 Sekunden vor Schluss doch 5:4. Die zähen, mutigen Lakers halten mit gut organisiertem Lauf- und Tempohockey dagegen.
Im Schlussdrittel brechen alle taktischen Dämme und es gibt auf dem Planeten Hockey nicht manche zweite Liga, die ihre Meisterschaft mit einem solchen Feuerwerk des Spektakels, der Dramatik, aber auch der Hockeykunst zu vollenden vermag. Und Langenthals Präsident Stephan Anliker mag bei sich selbst wohl gedacht haben: Ach, könnte ich doch als GC-Präsident im Fussball einmal in Zürich solch einem grandiosen Schauspiel meiner Mannschaft beiwohnen ...
Die Saison ist aber noch nicht gelaufen. Nun geht es also wieder gegen Ambri um den letzten Platz in der höchsten Schweizer Hockey-Liga. 2012 war die Liga-Qualifikation, auch gegen Ambri, bloss eine Ehrenrunde. Ambri gewann die Serie 4:1. Weil Langenthal keine Aufstiegsambitionen hatte.
Geschäftsführer Gian Kämpf sagt, warum es damals im Frühjahr 2012 unmöglich war, mit aller Konsequenz die Promotion anzustreben. «Für den Aufstieg waren wir nicht bereit. Hätten wir aber im Falle eines Aufstieges verzichtet, wären wir nach den damaligen Reglementen in die vierte Liga relegiert worden, Ambri wäre trotzdem abgestiegen und ein anderer Klub – wohl Lausanne – wäre am grünen Tisch aufgestiegen. Wir wären dann mit einem Wiedererwägungsgesuch wohl auch wieder in die NLB aufgenommen worden.»
Nun ist vieles anders. Die Reglemente sind überarbeitet und geändert worden. Gian Kämpf sagt: «Würden wir jetzt auf den Aufstieg verzichten, müssten wir das nach dem letzten Spiel der Liga-Qualifikation bis um Mitternacht der Liga mitteilen. Wir würden dann für drei Jahre für die Liga-Qualifikation gesperrt.»
Der SC Langenthal kann es inzwischen wagen, in der Liga-Qualifikation voll auf Sieg und Aufstieg zu spielen. Intern haben die Langenthaler nämlich das Projekt NLA durchgerechnet. Die NLA ist machbar.
Die 40 wohlbestallten Kernaktionäre des Unternehmens haben grundsätzlich die Finanzierung eines NLA-Abenteuers zugesichert. Gian Kämpf sagt, notwendig seien für eine Saison betriebsfremde Zuschüsse in der Höhe von rund zwei Millionen Franken. Was eine Aufstockung des Budgets von etwas mehr als fünf Millionen (inkl. Nachwuchs) auf rund sieben Millionen bedeuten würde.
Das Risiko eines Aufstieges ist also gering: Wenn alle die Nerven behalten, steht der Klub im schlimmsten Fall in einem Jahr wieder am gleichen Ort wie jetzt: in der Liga-Qualifikation. Die zwei Millionen wären gut investiertes Geld – die erstmalige Präsenz einer Mannschaft aus Langenthal in der höchsten Fussball- oder Eishockeyliga wäre allerbeste Standort-Werbung und ein aufregendes Abenteuer.
Von der Liga hat der SC Langenthal bereits eine provisorische Bewilligung für den Spielbetrieb in der NLA mit Auflagen – das ist ja die Voraussetzung, um überhaupt die Liga-Qualifikation spielen zu dürfen. Voraussichtlich am Freitag wird der Klub im Rahmen einer Medienorientierung seine Haltung zum Aufstieg erklären.
Politisch ist also Langenthals NLB-Titelgewinn keine gute Nachricht für Ambri. Weil Langenthal nicht einfach «Nein» zum Aufstieg sagt. Entscheidend ist deshalb die Frage, ob Ambri gegen dieses Langenthal sportlich in Not geraten wird.
Was Ambri Hoffnung macht: Bereits 48 Stunden nach dem Erreichen des Saisonziels (NLB-Titel) müssen die Langenthaler die Batterien fürs erste Spiel am Donnerstag in Ambri wieder nachgeladen haben. Das ist, weil die Finalserie über sieben Partien gegangen ist, beinahe unmöglich. Denn anders als Langnau vor zwei Jahren ist der NLB-Titel nicht nur eine «Zwischenstation» auf dem Weg zurück in die NLA. Der Titel war das Saisonziel und entsprechend ist gefeiert worden. Langenthal ist nicht auf einer «Aufstiegsmission», wie das die letzten Aufsteiger Biel, Lausanne und Langnau waren. Langenthal kann es sich leisten, den Aufstieg zu verpassen.
Bei Ambri geht es hingegen um die Existenz. Die Entschlossenheit wird also grösser sein als bei Langenthal. Diese Entschlossenheit dürfte den Nachteil, ein Verliererteam zu sein, weitgehend kompensieren. Damit dürfte die psychologische Ausgangslage ungefähr ausgeglichen sein.
Was für Ambri sportlich Anlass zur Sorge gibt: Langenthal hat zwar nur einen ausländischen Spieler zur Verfügung (Topskorer Jeff Campbell ist verletzt) – aber inzwischen ersetzt der zähe Center Dario Kummer den Kanadier recht gut. Langenthal ist von Jason O’Leary exzellent gecoacht, defensiv gut organisiert und zelebriert ein einfaches, geradliniges, wuchtiges Powerhockey, das auch Ambris Abwehr aus den Angeln zu heben vermag.
Es gibt nur ein grosses sportliches Fragezeichen: Wie gut ist Torhüter Marco Mathis (28)? Der ehemalige Davoser Junior steht in seiner zweiten Saison als Nummer 1. In diesem siebten Finalspiel war er mit einer Fangquote von 87,5 Prozent höchstens NLB-Durchschnitt. Mit dem Marco Mathis dieses siebten Finalspiels kann Langenthal Ambri nicht beunruhigen. Um es salopp zu sagen: Langenthals Lottergoalie ist Ambris grösste und letzte Hoffnung.
Aber was, wenn Marco Mathis ab Donnerstag wieder sein bestes Hockey spielt? Ich habe ihn diese Saison schon ruhig und sicher wie einen NLA-Goalie gesehen. Und kein Schelm, wer mahnt, Ambris Sandro Zurkirchen habe diese Saison auch schon gespielt wie ein Lottergoalie ...