Es gibt unglückliche, unverdiente, dramatische, überraschende oder ehrenvolle Niederlagen. Das 3:4 n. P. gegen Österreich ist eine Niederlage der anderen Art: selbstverschuldet, vermeidbar und schmählich. Sie geht auf das Konto des Trainers. Es war kein Betriebsunfall.
Der Coach kann weder Tore schiessen noch Tore verhindern. Aber der Coach ist das ultimative Alphatier. Er ist dafür verantwortlich, dass seine Jungs bereit sind, dass gewisse Mechanismen (Powerplay, Boxplay) funktionieren und die Chemie stimmt. Er kann Ebbe und Flut der Emotionen beeinflussen. Gute Coaches sind auch dazu in der Lage, während des Spiels entscheidende Impulse zu geben und beispielsweise in einer hektischen Schlussphase für taktische Ruhe und Ordnung zu sorgen.
So gesehen haben Glen Hanlon und sein Assistent John Fust beim WM-Auftakt auf der ganzen Linie versagt. Sie haben gegen Österreich einfach mal frisch drauflos spielen lassen. Die Trainer und die Spieler waren arrogant (obwohl das natürlich jeder bestreitet). Sie gingen davon aus, dass eine Niederlage gegen diesen Gegner eigentlich nicht möglich ist. Alle dachten und spielten in erster Linie offensiv.
Aber die Schweizer spielten viel zu wenig intensiv, geradlinig und zielstrebig, um offensiv die Entscheidung zu erzwingen. Sie zelebrierten offensives Operettenhockey. Einen Plan B, eine defensive Alternative, gab es nicht. Als es schliesslich darum ging, wenigstens den knappen Vorsprung (3:2) über die Zeit zu bringen, versagten sie. Die Unordnung auf der Bank und auf dem Eis nützte Österreich zum neuerlichen, zum finalen Ausgleich (3:3).
Dass John Fust in heiklen Situationen keine Hilfe sein kann, war zu erwarten: Er war schon bei der U-20-WM als Cheftrainer heillos überfordert. Aber was ist mit Cheftrainer Glen Hanlon?
Er ist kein Konzepttrainer und seine Teams tragen keine klar erkennbare taktische Handschrift. Der freundliche Kanadier hat auch nicht das Charisma von Ralph Krueger oder Sean Simpson. Das weiss er selber. Deshalb verzichtete er nach der Auftaktpleite gegen die Österreicher auf markige Sprüche.
Er hätte sich lächerlich gemacht. Seine ganze Körpersprache drückte Hilf- und Ratlosigkeit aus. Er ist mit der Situation überfordert und weil er das auch nicht verhehlt, geniesst er durchaus Sympathien. Alle mögen ihn. Ein netter, freundlicher Verlierer.
Was nun? Noch ist nichts verloren. Nur keine Panik! Noch kann alles gut werden. So gut diese Pleite gegen Österreich zum Wesen und Wirken von Glen Hanlon passt – wir sollten uns davor hüten, eine Niederlage zu dramatisieren. Das Tor in die Viertelfinals und darüber hinaus ist nach wie vor sperrangelweit offen. Diese Mannschaft hat so viel Talent wie das WM-Silberteam von 2013.
Wir haben also eine hochkarätige Mannschaft und der Verstand sagt: Mit diesen Spielern ist das Viertelfinale Pflicht. Die Niederlage gegen Österreich war einfach ein Betriebsunfall. Aber es gibt auch eine andere Seite. Wir sahen das Spiel, erlebten den Cheftrainer und unser Gefühl sagt: Mit diesem Mann droht uns die Relegation.
Wenigstens gibt es nun Klarheit. Es ist an den Leitwölfen im Team, die Dinge zu regeln und dafür zu sorgen, dass die Mannschaft fürs nächste Spiel gegen Frankreich (Sonntag, 20.15 Uhr) bereit ist. Im Falle einer Niederlage beginnt der Abstiegskampf.
Starke Spielerpersönlichkeiten können während einer kurzen Zeit – beispielsweise während eines Turniers – durchaus eine Mannschaft führen und die Leaderrolle übernehmen, die eigentlich der Coach ausfüllen sollte. Unser WM-Team hat keinen Vater an der Bande. Es braucht jetzt viele Stiefväter in der Kabine und auf dem Eis.
Nun wird sich zeigen, ob unsere Nationalmannschaft schon reif und stark genug ist für einen «Selbsterfahrungs-Trainer» wie Glen Hanlon, der seit Jahren erfolglos im Geschäft ist. Oder ob wir nicht genug Talent haben, um konzeptlos erfolgreich zu sein.
Schaffen wir die Viertelfinals, dann können wir sagen: Nach Ralph Krueger und Sean Simpson ist der freundliche Glen Hanlon genau der richtige Mann. Seine Wahl zum Nationaltrainer war ein kluger Entscheid. Wir verneigen uns.
Ob wegen oder trotz Glen Hanlon erfolgreich, spielt am Ende des Tages keine Rolle. Die letzte Wahrheit ist immer das Resultat. Im WM-Team von Prag stehen erfahrene Spieler wie Mark Streit, Félicien Du Bois oder Andres Ambühl und charismatische Leitwölfe wie Roman Josi oder Reto Suri. Männer, die wissen, wie kritische Situationen gemeistert werden können.
Wenn die Wende nicht gelingen sollte, dann ist sowieso nicht Glen Hanlon zu hinterfragen. Dann müssen wir jene ernsthaft in Frage stellen, die ihn als Nationaltrainer geholt haben.