Wirkt die Magie von Arno Del Curto noch? Wer diese Frage nach den vier Viertelfinal-Niederlagen gegen Biel stellt, kennt den HCD-Trainer nicht. Und den HC Davos erst recht nicht.
Arno Del Curto wird im Juli 62 Jahre alt. In seinem Wesen und Wirken gibt es keinen Alterungsprozess. Altersweisheit oder gar Altersmilde erst recht nicht. Er ist leidenschaftlich, besessen, verrückt wie am Tag seines Amtsantrittes beim HCD im Sommer 1996. Die Magie ist unverändert.
Und doch ist es nicht mehr so, wie es war. Beim ersten Titel unter Del Curto 2002 waren die wichtigsten Spieler seine Kumpels. Einige gar echte Rock'n'Roller und Rebellen wie der Chef. Der Trainer und die Spieler aufgewachsen und geprägt von der gleichen Kultur. Näher am Festnetztelefon als am Smartphone.
Zwischen 2004 und 2011, mit Titelgewinnen jedes zweite Jahr (2005, 2007, 2009, 2011), erreichte die moderne HCD-Kultur die Blütezeit. Nie vorher und nie nachher in der modernen HCD-Geschichte gehörten so viele Spieler zu den besten der Liga. Sie bilden einen inneren Zirkel mit einem Zusammenhalt, den landesweit keine andere Mannschaft der Neuzeit erreicht hat: die «Zeugen Del Curtos». Die Autorität des Trainer ist grösser geworden. Arno Del Curto ist mehr fordernde und fürsorgliche Vaterfigur als Kumpel.
Nie war die HCD-Chemie besser als in diesen wilden Jahren des Ruhmes. Die Mannschaft nie charismatischer. Die spielerische und taktische Überlegenheit und damit der Erfolg nie grösser.
2015 erzielt Reto von Arx im Hallenstadion gegen die ZSC Lions das Tor, das Davos den bisher letzten Titel beschert und tritt im Zorn von der HCD-Bühne ab. Die Symbolkraft dieses letzten Treffers kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Es ist der Schlusspunkt einer Ära. Und es dürfte auf Jahre hinaus der letzte Titelgewinn des Rekordmeisters sein. Mit Reto von Arx geht im Frühjahr 2015 der zweitletzte «Zeuge Del Curtos». Seither ist Andres Ambühl der letzte Mohikaner. Der letzte Vertreter des wahren Hockey-Glaubens.
Das Scheitern im Viertelfinal nun gegen Biel hat durchaus historische Dimensionen. Zum ersten Mal überhaupt ist Arno Del Curto in den Viertelfinals gegen eine «gewöhnliche» Mannschaft aus den Playoffs geflogen: gegen eine Mannschaft, die im Playoff-Zeitalter (seit 1986) nie Meister war. Unter Del Curto war der HCD zuvor in der ersten Playoff-Runde nur gegen mehrfache Meister aus dem Playoff-Zeitalter auf der Strecke geblieben: Gegen Lugano (1999), gegen die ZSC Lions (2000, 2004, 2012 und 2013) gegen den SC Bern (2001) gegen Kloten (2010 und 2014).
Aber nun ist der HCD gegen den «gewöhnlichen» EHC Biel im Viertelfinale untergegangen. Weil auch der HCD «gewöhnlich» geworden ist. Die «Zeugen Del Curtos», die einst die Liga Jahr für Jahr rockten, gibt es nicht mehr. Nur den Trainer aus dieser Zeit gibt es noch.
Die Spieler von heute kennen das Festnetztelefon bloss als Relikt. Wie die Generation von Arno Del Curto die Dampfeisenbahn. Der Altersunterschied zwischen dem Trainer und seinen Spielern ist grösser geworden. 41 und 39 Jahre sind es beispielsweise zwischen Arno Del Curto und seinen beiden Goalies Joren van Pottelberghe und Gilles Senn. Aus dem Kumpel der ersten Zeit, aus dem Vater der grossen Zeit, ist nun in der Neuzeit ein Opa geworden.
Aber Arno Del Curto hat sich nicht verändert. Er wird sich nicht verändern. Nur die Zeiten und die Spieler sind anders geworden. Eine neue Spielergeneration wächst heran, die den Erzählungen über die wilde Romantik der grossen HCD-Zeit, über dieses Zeitalter des alpinen Hockey-Rock'n'Rolls lauscht, als seien es Geschichten von Karl May. Und es ist eine Generation, die viel weniger talentiert ist als die «Zeugen Del Curtos». Der HCD hat nicht mehr die Mittel, um die Besten aus dem Unterland zu holen, auszubilden und dann jahrelang oben in den Bergen zu halten. Mit den Vertretern der «Generation Facebook» ist es nicht mehr möglich, noch einmal eine verschworene Gemeinschaft wie die «Zeugen Del Curtos» aufzubauen.
Und so verwandelt sich HCD von einem Spitzenteam, einem Titelanwärter, nach und nach in ein Ausbildungsteam und einen Aussenseiter im Titelkampf. Die sportliche Pleite gegen Biel ist spektakuläres Zeichen dieser schleichenden Entwicklung.
Der Unterschied zu den 1990er-Jahren: Damals hatte Del Curto beim HCD die Besten der neuen Generation in der Kabine versammelt: Mark Streit, Jan und Reto von Arx, Sandro Rizzi, Ivo Rüthemann, Andres Ambühl, Timo Helbling, Marc Gianola, Sandy Jeannin, Patrick Fischer.
Kein einziger der Jungen aus dem Team, das soeben gegen Biel viermal verloren hat, wird eine ähnliche Karriere machen. Noch immer kann der HCD an einem guten Abend Powerhockey spielen wie ein Meisterteam – so wie beispielsweise in der ersten Viertelfinalpartie in Biel (5:2-Sieg nach einem 0:2-Rückstand). Aber es sind geschenkte Abende. Für eine Dominanz der Liga reicht es nicht mehr. Das Eis ist dünn geworden. Fällt ein Leitwolf aus wie Andres Ambühl im Laufe der Serie gegen Biel, dann gehen die Lichter aus. Mit einem gewöhnlichen Trainer müsste der HCD sogar zum ersten Mal seit dem Wiederaufstieg (1993) um die Playoffs bangen.
Und so kehrt Arno Del Curto im Herbst seiner Karriere zurück zu seinen Ursprüngen. Er war schon immer lieber leidenschaftlicher Ausbildner als meisterlicher Bandengeneral. Lieber Aussenseiter und Desperado als Favorit.
Heute ist schon fast vergessen, dass er in den 1990er-Jahren der erste U20-Nationaltrainer war, der seinen Jungs die Angst vor den grossen Tieren, vor den Kanadiern, Russen, Schweden, Finnen nahm und den Grundstein zu jenem Selbstvertrauen legte, das die Voraussetzung dafür war, dass unsere Spieler die NHL erobern und bis in den WM-Final stürmen konnten.
Nun ist er wieder Abenteuer, Ausbildner, Aussenseiter, Desperado wie ganz am Anfang seiner grandiosen HCD-Karriere. Arno Del Curto in seiner besten Rolle. Präsident Gaudenz Domenig macht klar, dass es in den nächsten Jahren so bleiben wird. Dass grosseTransfers – wie zuletzt die Rückkehr von Andres Ambühl (2013) aus Zürich – nicht mehr finanzierbar sind. «Wir müssen in den Ausbau der Infrastruktur investieren.» Damit der HCD als Ausbildungsklub attraktiv bleibt.
Del Curto soll mindestens noch bis zur Jubiläumssaison bleiben. 2021 wird der HC Davos hundert Jahre alt. Mit einem Wegzug rechnet der HCD-Präsident sowieso nicht mehr. Arno Del Curto darf in Davos so lange Trainer und Sportchef bleiben, wie er mag. Sein Vertrag ist inzwischen ein gewöhnlicher Arbeitsvertrag, der jede Saison von beiden gekündigt werden kann. Gaudenz Domenig sagt: «Ich habe mit Arno abgemacht, dass er uns ein Jahr im Voraus seinen Übertritt in den Ruhestand ankündigt. Damit wir dann genug Zeit haben, einen neuen Trainer zu finden.»
Diesen Wunsch wird Arno Del Curto seinem Präsidenten nicht erfüllen können. Er kann nicht über seinen Schatten springen. Grosse, charismatische Persönlichkeiten wie er wachen eines Morgens auf und entscheiden von einer Minute auf die andere, dass es nun Zeit ist, von der Bühne abzutreten.
Und dann? Ganz einfach. Dann wird der HCD einen neuen Trainer suchen. Trainer kommen und gehen. Ein Klub wie der HCD bleibt in alle Ewigkeit bestehen.