Die ZSC Lions bieten uns im Herbst 2017 ein vergnügliches Schauspiel. Es wird entweder als Drama oder als Lehrstück in die Geschichte unseres Hockeys eingehen. Arbeitstitel: «So stützt man einen Trainer.» Längst wird das Wirken des glücklosen Bandengenerals Hans Wallson intern kritisch analysiert. Nach aussen geniesst er hingegen Rückendeckung durch alle Böden hindurch.
Wäre der Trainer der ZSC Lions nicht der Schwede Hans Wallson, sondern der Kanadier John Wall oder gar der Schweizer Hans auf der Maur, dann wäre er längst gefeuert worden. Aber bei den ZSC Lions hat ein neues Zeitalter begonnen. Das schwedische. Also ist der schwedische Trainer gut. Man möge nicht auf so unbedeutenden September-Resultaten wie einem 1:6 in Lugano oder einem 1:2 gegen Gottéron herumreiten. Am zweitmeisten Tore kassiert? Na und? Abgerechnet wird im nächsten Frühjahr. Punkt. Schluss.
Aber Hans Wallson ist nicht gut. Oder zumindest nicht gut genug. Mit einer der teuersten Mannschaften Europas ist er in den letzten Playoff-Viertelfinals kläglich an Lugano gescheitert und nun miserabel in die neue Saison gestartet. Es ist ein wenig wie beim Märchen um des Kaisers neue Kleider. Alle sehen, dass der Trainer-Kaiser nackt ist. Aber niemand wagt es zu sagen.
Der neue Sportchef Sven Leuenberger trägt keine Verantwortung für den sportlichen Kurswechsel von der autoritär-kanadischen auf die antiautoritär-schwedische Linie, die nun in die zweite Saison geht. Er hat sein Amt erst im Frühsommer angetreten. Der Wechsel von der nordamerikanischen zur schwedischen Philosophie ist auch nicht zu kritisieren.
Sven Leuenberger hat die ganze Problematik der ZSC-Problematik in den letzten Tagen entlarvt. Unbeabsichtigt. Er wird nach der Pleite gegen Gottéron (1:2) über die Qualitäten dieses Gegners befragt. Er erklärt, es sei gegen eine so geschickt organisierte Mannschaft schwierig zu spielen. Und er läutert kenntnisreich die kluge Taktik von Trainer Mark French.
Kurze Zeit später äussert sich der ZSC-Sportchef in anderem Zusammenhang zur Trainersituation bei den ZSC Lions. Er führt aus, es sei eben nicht so einfach, ein neues System einzuüben. Das brauche Zeit. Seine Botschaft: Wir sind auf dem richtigen Weg. Lasst uns in Ruhe arbeiten. Wir werden es auf die Reihe bekommen – und dann rockt es. Gut Ding will Weile haben.
Der arglose neutrale Beobachter denkt: Bei Gottéron funktioniert also die Taktik. Bei den ZSC Lions hingegen nach wie vor nicht. Gottéron-Trainer Mark French ist erst seit ein paar Wochen im Amt. Hans Wallson hat hingegen bei den ZSC Lions zusammen mit seinem Assistenten Lars Johansson bereits die zweite Saison begonnen. Wie kann es sein, dass ein Trainer seinen Jungs in ein paar Wochen ein neues System beibringen kann und ein anderer nach mehr als einer Saison noch immer nicht?
Hans Wallson ist nicht irgendwer. Er hat zusammen mit Lars Johansson in Skelleftea (Schweden) alles gewonnen. Wer so durchschlagend erfolgreich war, sieht keinen Grund an einem neuen Ort seine Methoden neuen Gegebenheiten anzupassen. Diese Haltung – «Hier bin ich, ich bin der Grösste, ich kann nicht anders» – dürfte der Kern des ZSC-Problems sein.
In seinem Auftreten mahnt Hans Wallson irgendwie an eine schwedische Antwort auf ... Mike Keenan. Die Methoden mögen gänzlich andere sein. Der Kanadier personifizierte in seinen grossen Zeiten (Stanley-Cup-Sieger mit den New York Rangers) den autoritären Führungsstil. Hans Wallson setzt dagegen auf die Selbstverantwortung der Spieler.
Aber in der Überzeugung, im Besitze der Wahrheit zu sein, ähneln sich die beiden. Mike Keenan hatte in Philadelphia, Chicago und New York Erfolg und scheiterte mit den gleichen Methoden in St.Louis, Vancouver, Boston, Florida und Calgary. Teilweise kläglich. Erst in Russland war er wieder erfolgreich. Hans Wallson war in Skelleftea erfolgreich – und in Zürich bisher mit den gleichen Methoden noch nicht.
Für einen Trainer, der in der NHL oder in Schweden erfolgreich war, gibt es in der Schweiz keine Erfolgsgarantie. Auch Guy Boucher, in Bern schmählich gescheitert und gefeuert, musste es erfahren. Der Kanadier ist nach Bern in die NHL zurückgekehrt und schaffte es mit Ottawa im letzten Frühjahr bis in den Conference-Final.
Eine Episode gibt einen Hinweis auf das Wesen und Wirken des ZSC-Trainers. Im Spätsommer 2016 tritt Hans Wallson bei der Medienkonferenz zur Champions Hockey League auf. Anders als seine Vor- und Nachredner verzichtet er demonstrativ auf ein Mikrofon und füllt mit seiner Präsenz ohne technische Hilfsmittel den Raum. Das mag in Schweden beeindrucken. Bei uns wirken solche künstlichen «Charisma-Beschleuniger» eher, na ja, lächerlich. Durch selbstbewusstes Auftreten zu beeindrucken ist wahrscheinlich in keinem anderen Hockey-Land so schwierig wie in der Schweiz.
Gelingt es Hans Wallson doch noch, mit seinem interessanten Mix aus charismatisch-autoritärem Auftreten und antiautoritären Ideen die Spieler zu begeistern und der Mannschaft eine Identität zu geben? Nach wie vor wissen wir nicht so recht, was die ZSC-Lions eigentlich wollen. Es fehlt die taktische Konstanz und es ist nicht erkennbar, was denn nun gespielt werden soll. Eher defensiv? Eher offensiv? Das Spektakel findet in der gegnerischen Zone zu oft draussen in den Ecken statt vor dem Tor statt. Wenigstens sorgen spielerische Highlights zwischendurch für ein kurzes Wetterleuchten. Die ZSC Lions sind mindestens so talentiert wie die meisterlichen Berner.
Hans Wallson ist an einem kritischen Punkt angelangt. Er kann immer noch ein meisterlicher Held werden. Oder er scheitert als schwedischer Hockey-Clown. Viel Zeit bleibt ihm nicht mehr. Im nächsten Akt des grossen ZSC-Schauspiels wird im Hallenstadion entweder der Triumphmarsch aus der Oper Aida gespielt – oder die Hockey-Götterdämmerung.