Den SCL Tigers winkt die zweite Playoff-Teilnahme der Geschichte.Bild: KEYSTONE
Eismeister Zaugg
Werbetexter haben für Langnau den neumodischen Begriff «Hockey Country» geprägt. Wenn sich die SCL Tigers trotzdem weiterhin an die altmodischen Lehren ihres Dichterfürsten Jeremias Gotthelf halten, schaffen sie die Playoffs.
02.02.2018, 08:0502.02.2018, 09:02
Die SCL Tigers träumen vier Runden vor Ende der Qualifikation noch von den Playoffs. Dank Siegen, mühselig wie die Arbeit der Bergbauern. Erarbeitet im Schweisse des Angesichts. Siege als Dramen und nicht als Lustspiele auf der grossen Bühne des helvetischen Hockeys. Siege der Bescheidenheit, des Fleisses und des Willens. Nicht der Hoffart, des Talentes und der vollen Tresore.
- 1:0 in Lausanne
- 4:0 gegen Lugano
- 1:0 gegen Kloten
- 2:1 gegen Gottéron nach einem 0:1-Rückstand
- 2:1 gegen Davos nach einem 0:1-Rückstand
Ein Dialog während der zweiten Pause zwischen zwei den Tigern gutgesinnten Chronisten – einer ein Schreibknecht, der andere ein Tonknecht – erklärt uns die wundersame Wende vom 0:1 zum 2:1 gegen den grossen HC Davos.
Emanuel Peter und Roland Gerber bejubeln den Langnauer Ausgleich.Bild: KEYSTONE
Chronist I:
«Wenn wir auf offensive Nichtsnutze wie den Peter (Emanuel Peter – die Red.) und den Gerber Role (Roland Gerber – die Red.) angewiesen sind, können wir halt nicht gewinnen.»
Chronist II:
«Wahrlich, so ist es. Wo du recht hast, hast du recht. Der Peter und der Role sind die zwei grössten Transfersünden Rebers (Sportchef Jörg Reber – die Red.). Die könnten ja nicht einmal mehr bei Brandis (ein Team der MySports League – die Red.) mithalten. Eigentlich sollte der Reber mindestens einen Monatslohn der beiden aus eigenem Sack bezahlen.»
Die beiden lassen den tüchtigen Sportchef noch eine Weile lustvoll durch die verbale Röndle (= Kornfegemaschine mit Rüttelsieb), ehe sie sich dann wieder auf ihre Plätze begeben um dem Schlussakt des grossen Dramas beizuwohnen.
Im Schlussdrittel gleicht ... Emanuel Peter zum 1:1 aus. Auf Pass von ... Roland Gerber. Die Wende. Der Weg zum Sieg ist frei. Das Scheunentor zu den Playoffs wieder offen.
Sind die zwei vorher erwähnten Chronisten also hockeyfachtechnische Nichtsnutze? Nein. Es ist eine hockeytechnisch durchaus fundierte Qualifikation der beiden bereits 33-jährigen Stürmer. Sie hätten in keiner anderen NLA-Mannschaft auch nur den Hauch einer Chance. Es ist nämlich Emanuel Peters erstes Saisontor und Roland Gerbers erster Saisonassist. Offensive Nichtsnutze.
Playoffs in den eigenen Händen
Langnau gewinnt nun zum ersten Mal seit dem Wiederaufstieg Spiele unter maximalem Druck. Spiele, die sie gewinnen müssen, um eine Chance auf die Playoffs zu haben. Spiele, die sie in den vergangenen Jahren alle verloren haben.
Sie gewinnen diese Spiele inzwischen auch ohne ihre offensiven Titanen Antti Erkinjuntti, Thomas Nüssli oder Anton Gustafsson. Weil die offensiven Nichtsnutze weit über sich hinauswachsen und weil sich keiner für defensive Arbeit zu schade ist.
Und so ist nun nach diesem Sieg über Davos (2:1) alles einfach, klar und wahr. Wir müssen nicht mehr rechnen. Gewinnen die Langnauer nach der olympischen Pause die drei letzten Partien gegen Servette daheim, Kloten daheim und Kloten auswärts nach 60 Minuten, dann sind sie in jedem Fall in den Playoffs.
Coacht Heinz Ehlers die SCL Tigers tatsächlich zum zweiten Mal in die Playoffs?Bild: KEYSTONE
Mit Gott und den Zeugen Gotthelfs wird es gelingen. So pathetisch dürfen wir es schon sagen. Damit eine Mannschaft mit so wenig Talent, mit so vielen offensiven Nichtsnutzen wie die SCL Tigers die Playoffs erreichen, braucht es zwei Faktoren.
- Den Beistand der Hockeygötter. Ohne ein bisschen Glück wird es nicht gelingen. Glück haben die Tüchtigen.
- Die Zeugen Gotthelfs. Die Tüchtigen, denen die Hockeygötter das Glück gewähren, sind die Zeugen Gotthelfs. Die Bewohner der urbanen Zentren sollten nicht über Gotthelf spotten. Schon gar nicht jene aus Genf. Es gibt nämlich im Eishockey eine beklemmende Gegenwärtigkeit dieses altväterischen Titanen der Weltliteratur. Er hat in einem seiner Werke den idealen Dienstboten, also den Knecht beschrieben.
Was dem Bauern der Dienstbote, das ist Langnaus Trainer Heinz Ehlers der Defensivsoldat, der offensive Nichtsnutz. So wie der Bauer beim Einbringen der Ernte auf die Loyalität, den Fleiss und den Willen seiner Dienstboten, so ist Heinz Ehlers auf die Loyalität, den Fleiss und den Willen seiner spielerischen Dienstboten angewiesen.
Beim wortgewaltigen Jeremias Gotthelf lesen wir über die richtige Gesinnung im Hockey (die Textstellen sind nur mit ein paar Handgriffen der heutigen Zeit angepasst):
«Daher soll jeder, der in den Dienst von Heinz Ehlers tritt, das Defensivspiel nicht als eine Sklavenzeit und den Trainer nicht als Feind betrachten. Er möge die Defensivarbeit betrachten als Lehrzeit und den Trainer als Wohltäter und Förderer. Denn was sollten diese spielerisch Armen, das heisst die, welche nicht genug Talent haben, um beim SCB zu dienen, anfangen, wenn man ihnen in Langnau hinten keinen Platz im Team und keinen Lohn gäbe? In dem Masse, als sie dem Trainer und seinem System treu sind und der Trainer dank ihnen gewinnt, gewinnen sie selbst auch. Und dergestalt kommen sie in die Playoffs.»
Der Dichterfürst himself: Jeremias Gotthelf.bild: wikipedia
Der grosse Dichterfürst hat also schon vor mehr als 150 Jahren erkannt, was ein gutes Hockeyteam ausmacht. Wir lesen weiter an anderer Stelle:
«Wo Defensivarbeit noch etwas gilt, ein rüstiges Schaffen und Ringen eine Ehrensache ist, da sind auch die Untalentierten ein Zuwachs von Kräften. Sie sind freilich mühsam zu entwickeln wie Urland in Amerika. So wie man um so reicher ist, je mehr man urbar gemachte Äcker und tüchtige Defensivspieler zu verwenden hat, um so mächtiger steht man in der Welt da. Je mehr man Spieler wie Emanuel Peter und Roland Gerber pflegt und schätzt, desto inniger wird eine Mannschaft zusammenhalten. Jeder hat seinen Nutzen dabei, und das Zusammenhalten weckt und nährt den Mannschaftsgeist.»
So ist das also im «Hockey Country». Im Lande Gotthelfs. Die Zeugen Gotthelfs haben es jetzt bis auf die Zielgerade geschafft. Und wenn es Heinz Ehlers gelingt, den Geist Gotthelfs während der olympischen Pause wachzuhalten, dann werden die Emmentaler zum zweiten Mal nach 2011 die NLA-Playoffs bestreiten.
Garant für den Langnauer Höhenflug: Ivars Punnenovs.Bild: KEYSTONE
P.S. Torhüter hat es zu Gotthelfs Zeiten noch keine gegeben. Deshalb finden wir in seinen Schriften zu dieser ganz besonderen Spezies keine Weisheiten. Daher sei hier erwähnt: Gegen Gottéron und Davos war Ivars Punnenovs mit Fangquoten von 95,24 bzw. 96,00 Prozent der wichtigste Einzelspieler.
HCD, SCB, ZSC und? Diese Klubs wurden schon Schweizer Hockey-Meister
1 / 13
HCD, SCB, ZSC und? Diese Klubs wurden schon Schweizer Hockey-Meister
HC Davos: 31 Titel, 6 seit 1986; zuletzt Meister: 2015.
quelle: keystone / ennio leanza
Unvergessene Eishockey-Geschichten
Das könnte dich auch noch interessieren:
Der HC Davos führt in der Viertelfinal-Serie gegen Lausanne trotz klarer Feld-Unterlegenheit. Wie lange geht das noch gut?
Der HC Davos hat heute die Chance, die Viertelfinal-Serie gegen den Lausanne HC zu beenden und in den Playoff-Halbfinal vorzustossen. Dabei waren die Bündner an den Spielanteilen gemessen in fünf von fünf Spielen die unterlegene Mannschaft.