Die welschen Journalisten erzählen eine Anekdote, die so wahrscheinlich stimmen dürfte. Wer Servette-Sportchef Chris McSorley anrufe, bekomme zur Antwort, man möge bitte über WhatsApp telefonieren. Der Grund: Servettes neue Besitzer überprüfen angeblich die Handy-Rechnung, um feststellen zu können, mit wem der Kanadier telefoniere.
Chris McSorley ist nämlich ein Sportchef ohne Kompetenz und darf ohne offizielle Erlaubnis der Klubbesitzer keine Auskunft geben, ja nicht einmal mit Chronistinnen oder Chronisten reden. Er darf beispielsweise nicht sagen, dass es wahr ist, dass er auf Geheiss von oben seit Wochen vergeblich versucht, Nathan Gerbe, Eliot Antoniette, Jonathan Mercier und Daniel Vukovic loszuwerden.
McSorley darf auch nichts zu den Gerüchten erzählen, dass er inzwischen selber eine Gruppe von Investoren gefunden hat, um wieder selber einzusteigen, sobald die famosen aktuellen nordamerikanischen Besitzer um Mike Gillies das Handtuch werfen. Und dass er fleissig an einem Farmteam-Projekt arbeitet – diesmal mit dem HC Sion als Basis, der in der dritthöchsten Liga an der Spitze steht. Vielleicht würde dann ja auch Christian Constantin einsteigen. Eine durchaus reizvolle Vorstellung.
Seit Chris McSorley seine Anteile am Klub an Präsident Hugh Quennec verkauft, sich im Gegenzug einen sieben Jahre laufenden Rentenvertrag gesichert, aber alle Macht verloren hat, liefert Servette den welschen Medien Tag für Tag Storys und Gerüchte. Mike Gillis, der ehemalige General Manager der Vancouver Canucks (NHL), ist der neue starke Mann.
Was Chris McSorley auch nicht erzählen darf: Servettes neuem Besitzer werde nun klar, dass es nichts mit einem Stadionbau und dem Hockey-Business auf die amerikanische Art wird. Deshalb hüte er sich, weiter Geld zu investieren und lasse seinen Sportchef «beschatten». Es scheint, dass Chris McSorley bewusst Fallen gestellt werden. Gerne würde man ihm offenbar nachweisen, dass er den erteilten Aufträgen nicht nachkommt. Um ihn und seinen exorbitant teuren Vertrag kostenneutral loszuwerden.
So amüsierte sich kürzlich ein NLB-Trainer über einen Anruf aus Genf. Chris McSorley habe ihn angerufen und um Auskunft über einen Spieler gebeten. Und McSorley habe ihn eindringlich ermahnt, diesen Anruf nicht zu vergessen – es könne sein, dass er einen Zeugen brauche. Se non è vero, è ben trovato. (Wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden.)
Verrückt. Servette liefert den welschen Medien seit Wochen eine Mischung aus Seifenoper, FBI-Roman, Finanzkrimi und sportlichem Drama.
Chris McSorley darf auch nicht erzählen, dass Mike Gillis und seine Freunde inzwischen offenbar den Rückzug planen und nur noch nach einer guten Ausrede suchen. Beispielsweise könnten sie vorbringen, dass sie eine öffentliche Ausschreibung des Stadionprojektes nicht mögen und deshalb nicht mehr mitmachen. Das wäre dann der grosse Augenblick für Chris McSorley, mit seinen Investoren unter Fanfarenklängen als weisser Ritter und Retter auf einem Schimmel wieder an die Macht zurückzukehren. Um Servette sozusagen neu auferstehen lassen. Mächtiger, reicher und schöner denn je.
Darauf warten die Anhänger, die den Kanadier als «Jesus Chris» verehren. Dass Chris McSorley die Stadt verlassen und für eine andere Organisation arbeiten oder nach Nordamerika zurückkehren könnte, wird in Genf sowieso ausgeschlossen. Und mit seinen Anhängern hoffen auch unsere Liga-Generäle, es möge so kommen und alles gutgehen.
Denn es gibt keinen Plan B, was zu tun wäre, wenn Servette auf einmal untergehen und die NLA nur noch aus elf Teams bestehen sollte. Auf entsprechende Fragen heisst es, man könne nichts tun, habe keinen Einblick in die entsprechenden Unterlagen der Servette-Buchhaltung. So wie immer, wenn es irgendwo kritisch wird.
Natürlich ist Chris McSorley offiziell untätig und tut nur, was ihm geheissen wird. Er reist nicht einmal mehr zu den Auswärtspartien. Gewährsleute melden, dass er jedoch inoffiziell rockte und rolle wie in den besten Tagen.
Ein «neues» Servette, wieder mit Chris McSorley an der Macht? Phantastisch? Realistisch? Zumindest nicht unmöglich. Allerdings darf ob all den Machtkämpfen die Gegenwart nicht vernachlässigt werden. Der Punktgewinn bei den ZSC Lions (2:3 n.V.) kommt da gerade zum richtigen Zeitpunkt.
Und auch dieses Spiel passte zum «Hollywood-Servette». Die Genfer sind mit Torhüter Remo Giovannini angetreten. Aus einem einfachen Grund: wichtiger als die Partie in Zürich ist das für die Playoff-Qualifikation wegweisende Spiel von heute Dienstag in Ambri. Robert Mayer, die Nummer 1, ist in Zürich geschont worden.
Vor dem Match fragte daher ein vorwitziger Chronist den Servette-Abgesandten im Rahmen der offiziellen Medienkonferenz, warum man mit einem Operetten-Torhüter antrete. Remo Giovannini war im Herbst arbeitslos. Deshalb hatte der ehemalige HCD-Junior vorübergehend beim französischen Erstligisten Bordeaux gespielt.
Ein Glück, dass in Zürich zurzeit eine Hockey-Niederdorfoper gespielt wird. Da passt ein Operetten-Goalie dazu – und Remo Giovannini war im montäglichen Operetten-Spiel im Hallenstadion bald einmal ein Hexer und einer der Väter des überraschenden Punktgewinns.
Oder war der ZSC miserabel? Nicht unbedingt. Die Zürcher haben mit ihrem skandinavischen Designer-Hockey grösste Mühe gegen Gegner, die sich auf einfaches Defensiv-Hockey beschränken. Bereits gegen die SCL Tigers setzte es eine schmähliche 2:3-Pleite ab.
Hiesse das Trainerduo bei den ZSC Lions Hans Widmer und Lars Jordi und nicht Hans Wallson und Lars Johansson, dann wäre es längst gefeuert worden. Noch leben die beiden Schweden vom meisterlichen Ruhm aus ihrem Heimatland. Wer in Schweden so erfolgreich war, wird doch auch Mittel und Wege finden, um die hochkarätigen ZSC Lions zu höchsten Höhen zu führen. Die Zürcher stehen ja auf Platz 2 – obwohl sie noch fast nie ihr bestes Hockey gespielt haben und eigentlich kaum in Bestbesetzung antreten konnten. Wie wird das sausen und brausen, rocken und rollen, wenn erst einmal alles zusammen passt!
Und so gibt es durchaus Parallelen zwischen den ZSC Lions und Servette: in Zürich hoffen Anhänger und Management auf die Wundertätigkeit ihrer Trainer und in Genf auf eine wundersame Rückkehr von «Jesus Chris» McSorley.