Wir wollen uns nicht dem Verdacht aussetzen, billige Polemik zu machen. Daher erst einmal eindrückliche und harmlose Fakten.
Das Mass aller Dinge im Schweizer Nachwuchshockey sind die ZSC Lions. 22 Angestellte kümmern sich in der juristisch eigenständigen Nachwuchsabteilung mit dem Pensum von 16 Vollzeitstellen um 1133 Nachwuchsspieler (inkl. Mädchen/Frauen). Zurzeit spielen 91 hier ausgebildete Spieler in den Nationalligen.
Die Nachwuchsabteilung operiert mit einem Budget von 3,7 Millionen Franken und schreibt inzwischen schwarze Zahlen. Gerne wird die Mär verbreitet, die ZSC Lions würden ihre Spieler selber ausbilden. Das aber ist bloss Propaganda. Tief im Herzen sind die Macher der ZSC Lions immer noch vom EHC Kloten traumatisiert und nehmen, wenn möglich, lieber einen Junior aus Kloten als aus den eigenen Reihen in ihrer ersten Mannschaft auf.
Die Jahre des ewigen Klotener Ruhmes mit den vier Titeln hintereinander (1993, 1994, 1995, 1996) haben sich tief in die Seelen der Stadtzürcher eingebrannt. In diesen Jahren kämpfte der alte ZSC um seine sportliche und wirtschaftliche Existenz und war vom nächsten Meistertitel weiter entfernt als eine 1.-August-Rakete vom Mars.
In diesen wilden Jahren liess Kult-ZSC-Sportchef Guido Tognoni nach einem Derby-Sieg gegen Kloten schon mal Krawatten herstellen, um das historische Ereignis zu würdigen. Die Stadtzürcher waren traumatisiert vom eigenen Misserfolg und noch mehr vom Erfolg der Klotener. Das «Kloten-Trauma».
Heute sind die ZSC Lions gross und mächtig und reich. Sie lassen nach Siegen gegen Kloten nicht mehr Krawatten machen. Aber das «Kloten-Trauma» ist geblieben. Sie kaufen Klotener.
In der Garderobe der ZSC Lions fühlen sich die Klotener daher wohl: Torhüter Lukas Flüeler, die Verteidiger Christian Marti und Severin Blindenbacher sowie die Stürmer Roman Wick und – ab nächster Saison – Denis Hollenstein und Simon Bodenmann sind alle in Kloten ausgebildet worden. Der guten Ordnung halber sei noch erwähnt, dass Robert Nilsson, der wahre ZSC-Leitwolf, seine erste Lizenz in Kloten gelöst hat (deshalb gilt der Schwede nicht als Ausländer) und Drew Shore in der vergangenen Saison in Kloten stürmte.
Der Wunderglaube an die Wirkung der Klotener ist in der Organisation der ZSC Lions also gross und tief verwurzelt und hat bereits zum wohl grössten Missverständnis der neueren Hockeygeschichte geführt. Leonardo Genoni wollte im Herbst 2016 nicht beim SC Bern unterschreiben. Er hatte seine Ausstiegsoption im Vertrag mit dem HCD genützt, um nach Zürich zu wechseln. Aber ZSC-Sportchef Edgar Salis hatte kein Musikgehör. Obwohl ihm Simon Schenk, damals Sportchef der GCK Lions, dringend riet, mit Lukas Flüeler nicht mehr zu verlängern und Leonardo Genoni mit einem langfristigen Vertrag zu binden.
Salis wusste es besser. Gut ist, was aus Kloten kommt. Er verlängerte mit dem ehemaligen Klotener Junior Flüeler und wies Genoni – der in der Nachwuchsorganisation der ZSC Lions ausgebildet worden war (!) – die Türe. Ironie der Geschichte: Edgar Salis, der Mann, dessen Name untrennbar mit der grössten Fehleinschätzung der neueren helvetischen Hockeygeschichte verbunden ist, arbeitet heute bei den ZSC Lions als … Scout.
Der Wunderglaube an die Klotener hat nun auch Sven Leuenberger, den Nachfolger von Edgar Salis, zu einem neuen Fehlentscheid verführt: Er hat Denis Hollenstein ab nächster Saison für sage und schreibe fünf Jahre verpflichtet. Nun ist der Transfer sogar offiziell bestätigt worden. Das von Klotens Präsident verordnete «Schweige-Gelübde» liess sich nicht mehr halten. Eigentlich schade: Die Niederdorfoper ist zu Ende.
Fünf Jahre! Solche Rentenverträge haben zwar den Vorteil, dass der Jahreslohn etwas tiefer bleibt als bei einem kurzfristigen Kontrakt. Aber es gibt nicht eine Handvoll Schweizer Spieler, die die Machtfülle rechtfertigen, die ein solcher Vertrag innerhalb einer Sportorganisation mit sich bringt.
Denis Hollenstein ist ein Sportsmann ohne Fehl und Tadel. Er wird jeden Tag hart arbeiten, fleissig sein und sich bemühen, sein bestes Hockey zu spielen. Ich verneige mich, so tief ich es vermag, aber er ist halt kein Leitwolf. Er ist und bleibt ein hochkarätiger Mitläufer. Ein sehr guter, aber kein grosser Spieler. Die ZSC Lions aber brauchen grosse Spieler, wenn sie den SC Bern dauerhaft und erfolgreich herausfordern wollen.
Mit Denis Hollenstein hat nun Sven Leuenberger nach Simon Bodenmann (kommt ab nächster Saison für vier (!) Jahre vom SC Bern) den zweiten hochkarätigen Mitläufer eingekauft. Auch er ist Klotener, auch er ein sehr guter, aber kein grosser Spieler. So wie eben auch Lukas Flüeler ein sehr guter, aber kein grosser Goalie ist.
Nun hoffe ich inständig, dass Roman Wick die arg reduzierte Offerte von Sven Leuenberger annimmt und bei den ZSC Lions bleibt. Denn dann hätten wir nächste Saison den ersten echten «Zirkus-Sturm» in unserer Hockeygeschichte.
Auch wenn alle drei nominelle Flügel sind – ach, welch ein Spektakel wäre eine Linie mit Hollenstein, Wick und Bodenmann! Drei spektakelfähige Klotener, ideal für Schönwetterhockey zwischen September und März. Etwas weniger gut, wenn im März Playoff-Hockey gespielt wird. Aber das spielt keine Rolle. Lieber monatelang beste Unterhaltung von September bis März als bloss während ein paar Wochen im Frühjahr.
«Zirkus-Sturm»? Nun, Zirkusartisten sind da, um das Publikum zu unterhalten. Aber es ist nicht ihre Aufgabe, die Artisten zu führen oder gar innerhalb der Zirkus-Organisation die Verantwortung zu übernehmen.